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Offener Brief eines Präsidiumsmitglieds an die Mitglieder des Präsidiums des Zentralrates in Deutschland

01.Januar 1970 | Pressemitteilung |

Eindruck einer rein politischen Repressalie durch das Gericht des Zentralrates

Sehr geehrte Damen und Herren Präsidiumsmitglieder des Zentralrates der Juden in Deutschland,
liebe Freunde,

als deutsche Juristin fällt es mir schwer, diese Zeilen zu schreiben, da ich uneingeschränkt an die Rechtsstaatlichkeit in unserem Land glaube. Aber aus gegebenem Anlass kann ich nicht mehr schweigen.

Seit Montag dieser Woche werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich bei den Entscheidungen des Gerichts des Zentralrates um eine rein politische Repressalie gegen die Berliner Gemeinde handelt.

Gericht des Zentralrats hat unter Verstoß gegen die eigene Gerichtsordnung entschieden

Als langjähriges Präsidiumsmitglied und Rechtsdezernentin hatte ich die Überarbeitung der Gerichtsordnung des Zentralrates in der Satzungskommission mitbegleitet. Bereits damals wurde Marc Grünbaum als Präsident des Oberen Schieds- und Verwaltungsgerichts des Zentralrats zu der Frage angehört, welche Veränderungen aus seiner Sicht notwendig wären. Bereits damals konzentrierte sich sein Vortrag ausschließlich auf die Berliner Gemeinde. Bereits damals kam mir das sehr seltsam vor. Wir haben uns in der Satzungskommission sodann eindeutig darauf geeinigt, dass die Gerichtsbarkeit des Zentralrates unbedingt eine freiwillige Gerichtsbarkeit bleiben muss, um die Souveränität der Gemeinden nicht zu gefährden und deshalb nur zur Anwendung kommt, wenn es kein eigenes unabhängiges Schiedsgericht in der jeweiligen Gemeinde gibt. Das wurde auch so in der neuen Gerichtsordnung festgeschrieben. Leider hat das Gericht des Zentralrates trotz der eindeutigen Formulierung in der Gerichtsordnung das Verfahren zur Wahl in der Berliner Gemeinde rechtswidrig an sich gerissen und die Wahl in der Berliner Gemeinde verhindern wollen, obwohl die Berliner Gemeinde ein unabhängiges Schiedsgericht hat, bei dem bereits ein Verfahren zur Wahl anhängig war.
 

Gericht der Berliner Gemeinde hat Zentralrat für nicht zuständig und die Berliner Gemeindewahl für rechtmäßig erklärt; trotzdem sollen Bestrafungen der Gemeinde durchgesetzt werden


Das unabhängige Schiedsgericht der Gemeinde hat die Entscheidung des Gerichts des Zentralrates für nichtig und nicht bindend erklärt. Die entsprechende Entscheidung ist auf der Homepage der BerlinerGemeinde veröffentlicht. In der Zwischenzeit hatte das unabhängige Berliner Schiedsgericht die Wahl der Berliner Gemeinde für rechtmäßig erklärt. Das bedeutet: Wir als Vertreter der Berliner Gemeindesind gezwungen, uns an die Entscheidungen unseres Gerichts zu halten. Das haben wir auch getan. Daraufhin wurden mehrere Strafen in Höhe von jeweils 10.000 € für die Nichtbefolgung der Entscheidung des Gerichts des Zentralrates verhängt. Als Vertreter der Berliner Gemeinde konnten wir diese Zahlungen nicht veranlassen, da diese im direkten Widerspruch zu der Entscheidung unseres Gerichts stehen. Wir hätten als Berliner Gemeindevertreter persönlich für die Befolgung des rechtswidrigen Urteils des Gerichts des Zentralrates haften müssen.

Fragwürdige Veröffentlichungen ausschließlich über die Berliner Gemeinde


Ausschließlich die Entscheidungen des Gerichts des Zentralrates in Bezug auf die Berliner Gemeinde wurden veröffentlicht. Uns ist nicht bekannt, dass irgendeine andere Entscheidung des Gerichts des Zentralrates jemals veröffentlicht worden sei.
 

Stimmrechtsentzug sofort nach Wahl ins Präsidium
 

Am vergangenen Sonntag, den 18.02.24 hat das Direktorium mehrheitlich der Berliner Gemeinde sein Vertrauen ausgesprochen und die Berliner Gemeinde in das Präsidium des Zentralrates gewählt. Nur einen Tag später, am Montag, den 19.02.24 erhielten wir die Empfehlung des Gerichts des Zentralrates, der Berliner Gemeinde ihre Stimmrechte in allen Gremien des Zentralrates zu entziehen. Diese Empfehlung wurde aus unerklärlichen Gründen ebenfalls sofort veröffentlicht. Dagegen wurde die Wahl der Berliner Gemeinde ins Präsidium bis heute nicht auf der Homepage des Zentralrates veröffentlicht. Wie ist das zu erklären?
Angesichts des klar kommunizierten Willens des Direktoriums des Zentralrates, die Berliner Gemeinde als Vertreterin des Direktoriums ins Präsidium zu entsenden, hat sich der Eindruck verfestigt, es handelt sich bei der Empfehlung des Gerichts um eine rein politische Repressalie.

Missachtung des eindeutigen Willens des Direktoriums


Die Berliner Gemeinde soll nun für die Nichtbefolgung eines rechtswidrigen Urteils, welches für sie nicht bindend ist, bestraft werden entgegen dem ausdrücklichen Willen der Mehrheit des Direktoriums des Zentralrats. Der zeitliche Ablauf und die Art der Kommunikation legen den Schluss nahe, dass hier schnellstmöglich "Fakten geschaffen werden sollen", um unter Umgehung des Willens der Mehrheit des Direktoriums die Berliner Gemeinde als starke Stimme zum Schweigen zu bringen.

 

Antrag auf Vorlage beim Direktorium

Sollte tatsächlich geplant sein, diese rechtswidrige, rein politische Empfehlung, die für das Präsidium nicht bindend ist, umzusetzen, beantrage ich hiermit vorsorglich, diese Entscheidung dem Direktorium des Zentralrates bei der kommenden Sitzung vorzulegen, da diese im Widerspruch zu dem offen bekundeten Willen der Mehrheit der Direktoren steht, der Berliner Gemeinde ein Stimmrecht innerhalb des Präsidiums zu geben.

Dieses Schreiben möge bitte dringend durch die Geschäftsführung des Zentralrates an alle Mitglieder des Präsidiums und des Direktoriums versendet werden, da uns die Kontaktdaten der Präsidiums- und Direktoriumsmitglieder verwehrt wurden.

Milena Rosenzweig-Winter

Präsidiumsmitglied
Zentralrat der Juden in Deutschland

Offener Brief eines Präsidiumsmitglieds an die Mitglieder des Präsidiums des Zentralrates in Deutschland