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Zwei Hunde in der Wüste
30.Januar 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur
In Paul Schraders beeindruckender Verfilmung von Yoram Kaniuks Roman »Adam Hundesohn« spielt Jeff Goldblum die Rolle seines Lebens
Vielleicht darf man beim Betrachten von »Ein Leben für ein Leben« nicht zu sehr an die Vorlage denken, andererseits ist es schwer vorstellbar, dass irgendein anderer Film dieser Vorlage näher gekommen wäre. Es hat nicht umsonst fast 40 Jahre gedauert, bis sich jemand an die Verfilmung von »Adam Hundesohn« gewagt hat, den anfangs verrissenen, heute zu den modernen Klassikern der israelischen Literatur zählenden, zigfach übersetzten frühen Roman von Yoram Kaniuk.
Schon Orson Welles wollte die surreal-ironische, tragikomische Geschichte von »Adam ben kelev« verarbeiten (die israelische »Gesher«-Truppe spielt sie seit Jahren als Theaterstück in einem Zelt). Nun sind Ehud Bleiberg und Werner Wirsing mit einer israelisch-deutschen Produktion »Ein Leben für ein Leben. Adam Resurrected« das Risiko eingegangen und haben den mit makabrem Humor geschwärzten, wahnwitzigen Stoff über einen verrückten KZ-Überlebenden ins Kino gebracht. Das Risiko betrifft vor allem die alte Frage, ob man über Überlebende lachen darf und ob es dem Film gelingt, beim Zuschauer eine ertragbare Balance zwischen Weinen und Lachen hinzubekommen. Weinen und Lachen muss er in jedem Fall.
1961, irgendwo im Negev-Nichts, eine sterile ocker-weiße psychiatrische Anstalt für schwer traumatisierte Schoa-Überlebende. Der ungekrönte König unter den Insassen: Adam Stein aus Berlin – vor den Nazis ein gefeierter Varietékünstler, seelenvoller Clown, phantasiebegabter Magier, braver Ehemann. Jetzt, »danach«, ein Wrack, einer zwischen den Welten, ein Besessener, Getriebener, Delirierender, der seine Existenz mit der Flucht vor sich selbst und seinen Gedanken verbringt. Doch dieser Adam, der keine Gegenwart und keine Zukunft hat, nur eine Vergangenheit, die ihn tötet, ist auch charmant, charismatisch, animalisch, er ist Dirigent, Zauberer, Verführer, Mensch, und er grinst dem Teufel ins Gesicht. Indem er mit seinem Wahnsinn (und seiner Umwelt) spielt, kann er ihn aushalten und die an ihm hoch kriechende Lähmung aufhalten. Mal täuscht er in einer David Copperfield (besser Houdini)-Nummer blutreich seinen Tod vor, um dann wieder aufzuerstehen, mal flirtet er rührend mit der kleinen dicken wirren Rachel… Wenn Adam den Raum betritt, geht die Sonne auf, entwischt er wieder einmal aus der Klapse, geht sie unter, für jeden, der zurückbleibt: für die Krankenschwester Gina (Hana Laslo), mit der er schläft, für den Überlebenden Wolfowitz (Joachim Król), der den Tod seiner kleinen Tochter nicht verkraftet und sich umbringen will, für die Patienten, die Adam – den Skeptiker und Atheisten – für den Maschiach höchstpersönlich halten, sogar für den Anstaltsleiter (Derek Jacobi), dem er fachsimpelnd seine Grenzen klarmacht.
In flau-grau eingefärbten Rückblenden erfährt der Zuschauer, wie Adam Stein zu Adam Hundesohn wurde – das Ende der Karriere, das Arbeitsverbot, die Deportation, das Wiedertreffen mit einem Lebensmüden (Willem Dafoe), den er während einer seiner Shows mit Clownerien vom Selbstmord abgehalten hatte. Der Mann ist jetzt KZ-Kommandant. SS-Untersturmführer Klein erkennt ihn und »befördert« Adam zu seinem persönlichen Haushund, der zu apportieren, zu bellen, aus dem Napf zu fressen und Späßchen für ihn zu machen hat, wenn Klein danach ist. Sich selbst kann er damit retten, Frau und Tochter nicht. Ihren Weg zur Gaskammer muss er mit Geigenspiel begleiten. Adam überlebt; dank irgendwelcher Papiere, die Klein ihm überlassen hat, haust er nach dem Krieg fürstlich in einer Villa in Berlin. Bis er erfährt, dass seine zweite Tochter lebt. Als er bei ihr ankommt, in Haifa, hat sie sich umgebracht. Der Wahnsinn ist nicht aufzuhalten, so wenig wie die Schuldgefühle. Die Schoa ist vorbei. Für die Überlebenden geht sie weiter.
Adam bleibt nur die Klinik. Klein wird er nicht los, er ist mit ihm in der Wüste. Panisch werden seine grotesken Halluzinationen, als es den Ärzten nicht gelingt, die Einlieferung eines völlig verwahrlosten Wesens vor ihm geheimzuhalten. Adam riecht Hund. Und erkennt sich wieder. Sein einziger »Verwandter« ist ein völlig verängstigter Junge, der als Hund im Keller gehalten wurde, der knurrt, bellt, auf allen Vieren kriecht und sich an seiner Kette festklammert. Der Magier Adam beginnt den als aussichtslos geltenden Fall ganz, ganz allmählich und auf seine Weise zu »therapieren« – und rettet damit sich selbst…
Das ist, verkürzt, die Story. Wie lässt sich so etwas drehen?
Produzent Bleiberg kam auf Paul Schrader, weil der ein stilsicherer Regisseur (»Autofocus«, »American Gigolo«, »Blue Collar«) ist und die Drehbücher von Klassikern mit besonderen Charakteren wie dem amoklaufenden »Taxi Driver« geschrieben hat.
Schrader war anfangs skeptisch, er wollte, zumal als Nichtjude, dem Genre nicht noch einen weiteren Holocaust-Film bescheren. Das originelle Buch unterschied sich jedoch von allem, was er »jemals gesehen oder gelesen« habe, so Schrader. Und es war bald klar, dass er keinen Holocaust-Film machen würde. Trotz der Rückblenden war der Film im Israel des Jahres 1962 angesiedelt; dort entstanden auch die Außenaufnahmen und wurde ein Gebäude gefunden, das Kaniuks Wüsten-Klinik verblüffend ähnelt. Und der Libanese Gabriel Yared (»Der englische Patient«, »Das Leben der anderen«) bewies auch hier sein sicheres Gespür und komponierte eine feine, minimalistische Musik, die nicht versucht, emotional mit der schwergewichtigen Story zu konkurrieren. Das gilt ebenso für die zurückgenommene Farbigkeit und den visuellen Stil, den Schrader und sein deutscher Kameramann Sebastian Edschmid für den Film gefunden haben – aggressive Schnitte, schnelle Zooms, Nah(st)aufnahmen.
All das wäre jedoch verlorene Liebesmüh gewesen ohne die exzellente Besetzung, vor allem von Jeff Goldblum, der hier über sich hinauswächst.
Schrader hatte die »richtige Nase«. Schon beim ersten Lesen des Drehbuchs sei er sich sicher gewesen, sagt er später, dass Goldblum (»Jurassic Park«, »Independence Day«) »geboren wurde, um diese Rolle zu spielen«. Goldblum ist Jude, das auch, vor allem aber ist er ein obsessiver Rollenvorbereiter, der sich den Adam, diesen gespaltenen Charakter, »einverleibt« und »den Stoff zum Leuchten« gebracht habe. Das ist richtig. Selbst wenn das Buch die eine Sache und der Film eine andere ist. Goldblum ist komisch, Goldblum ist melancholisch. Goldblum ist todtraurig. Goldblum ist Mann. Goldblum ist Mensch in der Hölle…
Neben seinem Ausnahmeschauspieler hat Schrader eine ganze Riege prominenter Darsteller besetzt: seinen Favoriten Willem Dafoe (»American Psycho«, »Platoon«), der den perversen KZ-Kommandanten Klein gänsehaut-erzeugend authentisch spielt, Ayelet Zurer (hierzulande spätestens seit Spielbergs »München« bekannt), Evgenia Dodina, den englischen Charaktermimen Sir Derek Jacobi und etliche Deutsche – einen hervorragenden Joachim Król, außerdem Moritz Bleibtreu, Juliane Köhler und die unvermeidliche Allzweckwaffe Veronica Ferres in einer Minirolle. Sie sind alle gut. Jeff Goldblum ist Adam Hundesohn. Und es ist ein Fest – traurig, komisch, hoffungmachend –, ihm dabei zu zusehen.
Judith Kessler
_ab 19. Februar im Kino: »Ein Leben für ein Leben – Adam Resurrected«
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