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Zum 100.Geburtstag von Heinz Galinski
02.November 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Gedenken
Eine Hommage an den Mann, ohne den es in Berlin keine Gemeinde und kein jüdisches Leben geben würde
Man hat in der letzten Zeit manchmal das Gefühl, die Jüdische Gemeinde ist dabei, ihr Gedächtnis zu verlieren. Nicht nur, dass die Generation, die hier lange für dieses Gedächtnis gesorgt hat, fast verschwunden ist. Auch ist ein Großteil derer, die nun diese Gemeinde ausmachen, erst in den letzten beiden Jahrzehnten dazugekommen. Und einige von ihnen wissen zum Beispiel nicht einmal – oder können es nicht wissen –, wer der Mann gewesen ist, nach dem die Schule benannt ist, in die sie ihre Kinder und Enkelkinder schicken: die Heinz-Galinski-Schule.
Sollte also, denkt man da, nicht ein Teil der jüdischen Erziehung in dieser Stadt darin bestehen, den Nachkommenden einen historischen Begriff von dieser Gemeinde zu vermitteln, für deren Geschichte der Name Galinski so exemplarisch ist? Eine Geschichte, die mehrere Jahrhunderte umfasst, und an die Menschen wie der Auschwitzüberlebende Heinz Galinski 1945 angeknüpft haben. Trotz allem, was geschehen war, wollten sie dafür sorgen, dass Hitler und seine Vollstrecker in dieser Stadt nicht das letzte Wort behielten.
So soll hier an den Mann erinnert werden, ohne den es weder diese Gemeinde noch ein jüdisches Leben in dieser Stadt geben würde: an Heinz Galinski, von 1949 bis 1992 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. In diesem Sommer jährte sich sein Todestag zum 20. Mal, am 28. November wäre er 100 Jahre alt geworden.
Er war kein Berliner von Geburt, sondern kam im westpreußischen Marienburg zur Welt, sechzig Kilometer südöstlich von Danzig. Seine Eltern besaßen hier ein Textilgeschäft und auch Galinski machte als junger Mann eine Ausbildung in dieser Branche. In Galinskis Geburtsjahr wurden in Berlin auch die beiden Synagogen eingeweiht, die später so eng an sein Leben und Wirken geknüpft sein würden: die Synagoge in der Pestalozzistraße, zu deren Betern Galinski seit dem Spätsommer 1945 bis zu seinem Tod gehörte, und die Synagoge Fasanenstraße. Am 9. November 1938, zwei Wochen vor seinem 26. Geburtstag, hatte er mitansehen müssen, wie das berühmte Gotteshaus vom Nazimob zerstört und angezündet wurde. »Damals brach zum ersten Mal eine Welt in mir zusammen«, hat Galinski in einem Interview mit Andreas Nachama und Burkhard Asmus aus Anlass seines 70. Geburtstags sein Empfinden auf den Punkt gebracht.
Dabei hatten Heinz Galinski, seine Eltern und seine Verlobte Gisela Jacobsohn der nach 1933 unerträglich gewordenen Kleinstadtatmosphäre im nationalsozialistisch gewordenen Marienburg durch eine Übersiedlung nach Berlin zu entgehen versucht. Eine Illusion, wie sich nun herausgestellt hatte. Kurz nach dem 9. November 1938 heiratete Galinski zum ersten Mal. Bald mussten er, seine Mutter und seine Frau Zwangsarbeit leisten. Nur der im Ersten Weltkrieg als Soldat schwer verwundete Vater wurde verschont. Im Februar 1943 dann die Deportation. Vater Albert stirbt kurz zuvor im Jüdischen Krankenhaus, wo ein Teil zu einer Polizeistation mit Sammellager umgewandelt wurde. Auf der Rampe in Auschwitz sieht Galinski seine Frau und seine Mutter zum letzten Mal. Er selbst überlebt durch Zufall. So hat er es selbst zumindest empfunden und in vielen Reden und Interviews zum Ausdruck gebracht, in denen er das Erlittene immer wieder als Maßstab seines Handelns offengelegt hat. Englische Truppen befreiten ihn im April 1945 in Bergen-Belsen. Zuvor war er noch in Buna-Monowitz, Gleiwitz und Dora-Mittelbau inhaftiert.
Im August 1945 kam Heinz Galinski nach Berlin zurück und stürzte sich sofort in die Organisation von Hilfe für die Überlebenden, die Schaffung von Strukturen, in denen jüdisches Leben in dieser Stadt wieder möglich sein könnte. »Ich habe immer den Standpunkt vertreten, dass die Wannseekonferenz nicht das letzte Wort sein kann im Leben der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland«, formulierte Heinz Galinski kurz vor seinem Tod in einem Interview mit dem Historiker Michael Brenner das Credo, dem er sein Leben nach Auschwitz gewidmet hatte.
1947 lernte Galinski Ruth Weinberg kennen, die Kapitänin der Makkabi-Handballmannschaft, der er als Mitglied des Vorstandes Blumen überreichen musste. Sie heirateten nach wenigen Monaten. Ruth gab für ihn die Auswanderungspläne nach Argentinien auf, wohin ihre Eltern entkommen waren. 1949 kam das einzige Kind, Tochter Evelyn, zur Welt. Im gleichen Jahr hatte Galinski auch den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin übernommen.
In dieser Position wurde er zum Sprecher der Juden in Deutschland schlechthin – und blieb es 43 Jahre lang, bis zu seinem Tod. Niemand hat derart offensiv den Deutschen die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit abverlangt, niemand mit derartigem Mut immer wieder auf die fatalen Reste der NS-Ideologie im Denken und Handeln der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft verwiesen, wie dieser zarte zähe Mann mit den überdimensionierten Brillengläsern. Dabei mag man sich nicht vorstellen, was das jenseits der öffentlichen Fassade des Mahners und Gemeindepatriarchen für dieses Leben bedeutet haben mag, und das der Menschen, die mit ihm lebten.
Heinz Galinski hat die Jüdische Gemeinde nicht nur der Geschichte und dem Argwohn der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft zum Trotz wieder aufgebaut. Er hat auch den internationalen jüdischen Organisationen die Stirn geboten, aus deren Sicht es nach der Schoa in Deutschland kein jüdisches Leben mehr geben durfte. Er hat in Israel und den USA um Akzeptanz und Respekt gekämpft, zuletzt, um den verfolgten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion den Weg nach Berlin und Deutschland zu ebnen.
Diese Einwanderung nannte Galinski einen Höhepunkt seiner Arbeit, neben der Grundsteinlegung für das Jüdische Gemeindehaus 1957, dem Abkommen mit dem Berliner Senat 1971 (ein bis dato einmaliger Vorgang in der deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte) und dem Besuch Yitzchak Rabins.
»SEIN« Gemeindehaus in der Fasanenstraße hat er zum diplomatischen Zentrum des jüdischen Lebens in Deutschland gemacht. »Das größte Erlebnis war, wie ich, ein ehemaliger Auschwitzhäftling, im Gemeindehaus Fasanenstraße, das mit seinen alten Fassadenteilen noch die Spur des in der Pogromnacht Zerstörten beinhaltet, den israelischen Ministerpräsidenten begrüßen konnte«, so Galinski 1982 im Interview. »Es war Yitzchak Rabin. Wer hätte es damals für möglich gehalten, dass israelische Politiker die Bundesrepublik besuchen würden und dann die jüdische Gemeinde besuchen könnten. Für mich war auch ein ungeheures historisches Ereignis der Besuch von Golda Meir; wenn ich daran denke, wie sie hier vor der Gedenkstätte niedergekniet ist, nichts gesagt hat, kein Wort. Das sind Bilder, die ich nie vergessen werde.«
Der Kaufmann aus Marienburg, der nie studieren konnte, war Zentralratsvorsitzender, er war Ehrenbürger Berlins, er war Ehrendoktor, er traf Staatspräsidenten und Königinnen, er legte redegewandt und glasklar so unermüdlich wie kompromisslos den Finger auf die Wunden der Zeit und wurde in New York genauso gehört wie in Tel Aviv. Nach seinem Tod 1992 erschienen Würdigungen in allen Zeitungen weltweit bis hin zur New York Times, in die Kondolenzlisten im Gemeindehaus trugen sich tausende Berliner ein und die Jüdische Gemeinde erreichten über 2200 Beleidsschreiben.
Zeigen wir Nachgeborenen uns des Erbes dieses Mannes würdig. Auch in dem Respekt vor den Traditionen, die von der Generation, für die Heinz Galinskis Name noch immer steht, unter Opfern und Schmerzen vor dem Untergang bewahrt und fortgeführt worden sind.
Esther Slevogt
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