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Zeit unserer Freude
03.Oktober 2014 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage
Rabbiner Tovia Ben-Chorin über Sukkot
Im Monat Tischri, dem »Feiertagsmonat«, liegen sowohl die »gewaltigen Tage« (die Tage der Einkehr) – haJamim haNoraim, Rosch haSchana, Jom Kippur und die Tage der Buße dazwischen – als auch das Laubhüttenfest.
Sukkot ist das Symbol für Freude und Festlichkeit und gipfelt in Simchat Tora. Den Ursprung der engen Verbindung von Sukkot und Freude finden wir bereits im folgenden Abschnitt aus dem 5. Buch Mose, Kapitel 16, Vers 13 – 15: »Ein Fest der Laubhütte sollst du dir feiern … Freue dich an diesem Fest ... Sieben Tage lang sollst du dem Herrn, deinem Gott, ein Fest feiern … denn der Herr, dein Gott, wird dich in all deinem Ertrag und bei aller Arbeit deiner Hände segnen und du sollst ganz froh sein.«
In der ersten Hälfte des Monats befragen wir unsere Seele, prüfen wir unsere Beziehung und unsere Taten und vergleichen sie mit unserem Glauben und unserer Überzeugung, was Gott und die Menschen anbetrifft. In der zweiten Hälfte des Monats geben wir uns dem Gefühl einer großen Freude und Befreiung hin. Beide sind untrennbar, ursprünglicher Ausdruck jüdischer Existenz. Als Juden erfahren wir das Leben immer als These und Antithese, wie es in Kohelet 3 heißt:
Eine Frist fürs Geborenwerden
und eine Frist fürs Sterben.
Eine Frist fürs Niederbrechen
und eine Frist fürs Erbauen.
Eine Frist fürs Weinen
und eine Frist fürs Lachen.
Dazu gesellt sich für den Juden einerseits die Erinnerung daran, dass »der Mensch aus Staub geboren und zu Staub wird, er erwirbt sich sein Brot mit großer Mühe, er ist wie eine zerbrochene Scherbe.« (Unetane Tokef-Gebet). Andererseits verbindet sich damit auch das Element der Zeit: Du sollst dich zu einer bestimmten Zeit freuen, das heisst: »zu den Festtagen«. Daher ist die Verbindung zwischen den Jamim Noraim und Sukkot eigentlich selbstverständlich.
Was genau ist nun die »jüdische Freude«, das »jüdische Glücksgefühl«?
Jüdisches Leben leitet unsere Gefühle in bestimmten Bahnen auf ein genau definiertes Ziel hin: »letaken olam bemalchut Shaddai« (Die Welt durch die Herbeiführung des Reiches Gottes zu vollenden).
Jüdisches Glück heißt: wenn es mir gut geht, wenn ich glücklich bin, teile ich diese Erfahrung mit anderen. In der jüdischen Weltanschauung kommt das Selbstbewusstsein durch den Anderen. Das Baby erkennt sich durch die Mutter, Quelle des Essens, der Liebe und Wärme. Wir können alleine beten, aber in einem Minjan unterstützen wir und werden unterstützt. Die menschliche Existenz ist gegenseitig – Antithese zum extremen europäischen Individualismus.
Glücksgefühl als einsame, individuelle Erfahrung wird als Form von Egoismus empfunden, welche den Menschen von der Gesellschaft entfernt. Sie ist Ausdruck dafür, dass der einzelne die Gemeinschaft zur Befriedigung eigener, persönlicher Bedürfnisse mißbraucht. Die Umwelt wird zum Mittel für seine eigenen Zwecke. Für mich ist dies eine »sündige« Form der Freude.
Unter diesem Gesichtspunkt können wir das rabbinische Konzept besser verstehen, welches Freude und Gebot zusammenbringt – »simcha schel mizwa«.
Selbstpeinigung und Enthaltsamkeit von den guten Dingen des Lebens ist kein jüdisches Ideal. Im Gegenteil, wir sind dazu aufgerufen, das Leben in all seiner Vielfalt und Größe zu leben – den Honig der Biene und ihren Stachel als Quelle von Schmerz und Glück in Einem.
Der Ausdruck jüdischen Feierns ist somit ein Baustein beim Aufbau für eine bessere Welt, einer gerechteren Welt, einer glücklicheren Welt. An Simchat Tora tanzen wir freudig mit den Torarollen, die uns ein Wegweiser sind zur Realisierung dieser idealen Welt. Der Tanz, in dem jeder einzelne seiner Freude Ausdruck verleiht, verbindet sich zum Tanz der Gemeinschaft, welche wir suchen. »Dienet Ihm in der Freude! Kommt mit Jubelruf vor sein Antlitz!« (Psalm 100, 2)
Schana Towa und Chag Sameach!
jüdisches berlin
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