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»Wüstenritt« in Moll statt Frühlingslied in Dur

29.April 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Menschen

Nach 66 Jahren in den USA ist die Komponistin Ursula Mamlok nach Berlin zurückgekehrt

Ein eigenartiges Gefuhl habe sie beschlichen, als sie vor ihrem fruheren Haus an der Schillerstrase stand, in dem sie bis zu ihrem 16. Lebensjahr gewohnt hatte. Ursula Mamlok mochte nicht hineingehen. Heute lebt die Komponistin nur wenige Strasen von der Schillerstrase entfernt. Aber es ziehe sie dort nichts mehr hin, sagt die 86-Jahrige. Ebenso wenig in die Pestalozzistrase, wo ihre Schule war. ≫Aus der Schule wurden wir judischen Kinder herausgeworfen und gezwungen, in einer Berufsschule zu lernen, wie man Betten macht≪, sagt Mamlok. Eines Tages hies es aber auch dort ≫Juden raus!≪ – und da sei sie sehr froh gewesen, denn nun hatte sie wieder Zeit Klavier zu uben und zu komponieren. ≫Ich fand, das war ein Glucksfall≪, sagt sie heute und schmunzelt. Bereits als kleines Kind zog es sie zur Musik hin. Ihr Onkel spielte Schlager auf dem Klavier und da dachte sie sich, dass sei eine ≫nette Beschaftigung ≪ und das konne sie auch. Statt mit Puppen zu spielen, sas sie lieber stundenlang vor den Tasten. Erst ≫viel zu spat≪ – mit neun Jahren – habe sie Klavierunterricht erhalten und hatte deshalb keine Berufspianistin mehr werden konnen. Sie habe fur sich gelernt, dass ≫die Musik sie in allen Lebenslagen vor schlimmen Situationen gerettet hat. Meine Heimat ist die Musik≪. Denn Manhattan in der USA, wo sie 45 Jahre lang in ein und derselben Wohnung gelebt hat, ist nicht ihr Zuhause geworden und Berlin war und wird es ebenso wenig. Dass sie vor knapp drei Jahren in ihre Geburtsstadt zuruckgekehrt ist, sei mehr Zufall. Den Wunsch, in ihre alte Heimat zu gehen, habe sie nie gespurt. Es waren eher pragmatische Uberlegungen, dass sie nach dem Tode ihres Ehemannes hier eine passende Wohnung gefunden und einige Freunde hat. Unter ihnen auch ihre ehemalige Schulkameradin, die Autorin Inge Deutschkron. Aber bevor sie zuruckkehren konnte, musste sie auch mit sich selber ins Reine kommen, da ihre Groseltern und andere Angehorige in Konzentrationslagern ermordet worden waren. ≫Verbitterung hat keinen Sinn≪, sagt sie heute. In ihren Kompositionen setzt sie sich dennoch mit der Schoa auseinander, beispielsweise in der ≫Kristallnacht≪, einem Stuck fur Saxophon und Klavier.

Ursula Mamlok    Foto: Marko Priske

Ursula Mamlok Foto: Marko Priske

Die Musik, ihr Humor und ihr Mut haben sie nie im Stich gelassen. Unbeirrbar war sie, als sie noch als Schulerin beim ≫Tag der deutschen Hausmusik≪ ein selbstkomponiertes Stuck in Moll namens ≫Wustenritt ≪ anstelle eines Fruhlingsliedes in Dur vorspielte und daraufhin prompt ihre Mutter in die Schule zitiert wurde. Mut brauchte sie auch, als sie ohne ein Wort Englisch zu konnen als 17-Jahrige in die USA ging. Ihre Eltern waren mit ihr 1939 von Nazi-Deutschland nach Ecuador emigriert. ≫Ein schreckliches Land, es hat keine Kultur≪, meint sie heute. So wollte sie auch von dort nur schnell wieder weg und schickte ihre handgeschriebenen Kompositionen nach New York. Daraufhin bot ihr wenige Monate spater die Mannes School of Music in New York ein Stipendium an. Sie machte sich allein auf den Weg – ohne Sprachkenntnisse und mit einem mulmigen Gefuhl im Bauch. Erst kam sie bei Verwandten unter, die aber keine klassische Musik mochten, was wiederum Ursula Mamlok fremd war. Sie fand ein mobliertes Zimmer in der Bronx und genoss ihr freies Leben. Als sie 24 Jahre alt war, lernte sie ihren – mittlerweile verstorbenen – Mann, Dwight Mamlok, kennen. Auch er war ein judischer Emigrant, der aus Hamburg uber Schweden mit einem Kindertransport geflohen und schlieslich in den USA gelandet war.Als die Komponistin spurte, dass sie mit ihren Werken im klassischen Stil nicht mehr weiterkam, probierte sie Neues aus. Mamlok lernte viel uber zeitgenossische Musik, um zu ihrem eigenen Stil zu finden. Auch mit der Zwolftonmusik von Arnold Schonberg setzte sie sich auseinander. ≫Anfangs hat mir das gar nicht gefallen, aber ich habe mich bemuht und dadurch neue kompositorische Wege beschritten.≪ Ihre Werke haben sich ab diesem Zeitpunkt vollkommen geandert. ≫Obwohl sie modern sind, sind sie relativ gut verstandlich ≪, mein Mamlok, wahrscheinlich, weil sie so lange im klassischen Stil komponiert hatte. Schlieslich wurde Ursula Mamlok mit ihren Werken so erfolgreich, dass sie in der Carnegie Hall aufgefuhrt wurden und sie mehrere Auszeichnungen erhielt. Und auch in Berlin sind ihre Werke ofter in Konzerten zu horen, beispielsweise bei den Judischen Kulturtagen, im Radialsystem und im BKA in der Reihe ≫Unerhorte Musik≪. Das ≫Klenke≪-Streichquartett aus Weimar fuhrt Werke von ihr auf und auch der Oboist Heinz Holliger lobt ihre Kompositionen in hochsten Tonen. Vier bis funf Werke komponiert sie im Jahr, meist Auftragsarbeiten. Ihr Oeuvre besteht aus Orchesterstucken, Kammermusik – auch fur ausergewohnliche Besetzungen und Soloinstrumente – und Liedern. Das jungste Werk ist eine Suite fur vier Violoncelli. Auch als Dozentin fur Komposition machte sie sich in den USA einen Namen. Als sie 33 Jahre alt war bekam sie ein Angebot, an der Musikhochschule zu unterrichten. Aber sie hatte keinen dafur notwendigen Schulabschluss. Also wurde sie offiziell kurzerhand funf Jahre junger, um den Abschluss nachzuholen, denn sie wusste nicht, dass man in Amerika in jedem Alter zur Schule gehen kann. Bis zu ihrem 80. Geburtstag haben selbst ihre Freunde nicht Bescheid gewusst, erst als einem hartnackigen Journalisten die Lucke in ihrem Lebenslauf auffiel, luftete sie das Geheimnis – und muss heute daruber lachen. Sie unterrichtete dann uber vier Jahrzehnte an der New York University und an der Manhattan School of Music. Mit zahlreichen ihrer Schuler steht sie heute noch in Kontakt. Das Komponieren war und ist ihr so wichtig, dass sie sich bewusst gegen Kinder entschieden hatte: ≫Ich wollte meine ganze Aufmerksamkeit der Musik widmen.≪Die Noten, die sie als Kind besas, hat sie immer noch. Ebenso die Eintrittskarten fur die Konzerte, die sie als Madchen besuchte, als Juden eigentlich langst keine Konzerte mehr horen durften, und ein Tagebuch von 1937. Diese Erinnerungsstucke seien fur sie wichtiger als ein Fotoalbum. Mittlerweile sind sie sehr zerfleddert. Heute ist Ursula Mamlok gern wieder in Berlin unterwegs. Berlin gefalle ihr besser als Manhattan – die Hauser, das Farbige und das Unregelmasige. Sie mag es, die Restaurants durchzuprobieren und in Konzerten der Musik anderer Komponisten zuzuhoren.

Christine Schmitt