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Wladimir Kaminers Berliner Welt

01.Dezember 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Die jüdische Amerikanerin Toby Axelrod traf den russisch-jüdischen Autor Wladimir Kaminer

Im Mauerpark schieben junge Pärchen Kinderwagen über einen Teppich aus gelben Blättern an der ehemaligen Grenze zwischen Ost und West. Vor zwanzig Jahren war hier Niemandsland. Dann veränderten die Stemmeisen und Steinmeißel der jungen Ostdeutschen alles.

»Ich habe die Berliner Mauer nie gesehen«, gibt der Autor Wladimir Kaminer (42) zu. Als er 1990 aus der Sowjetunion ankam, mit der damaligen Welle der russisch-jüdischen Einwanderung, war »sie schon futsch, abgerissen, von den Ostdeutschen«. Er unterbricht, schaut in die Ferne und lächelt: »Aber wenn die Ostdeutschen sie nicht selbst gebaut hätten, wäre sie auch nicht da gewesen«.

Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren und studierte Tontechnik für Theater und Radio und dann Dramaturgie am Moskauer Theaterinstitut. Nach der Einwanderung nach Berlin traf er seine Frau Olga in einer Bar, wo sie exotische Drinks servierte, die er zu »inhalieren« liebte. Inzwischen haben sie zwei Kinder.

Heute ist Kaminer einer der bekanntesten Schreiber von Kurzgeschichten in Deutschland, nicht zu vergessen Kolumnist, zeitweise Radiomoderator (»Wladimirs Welt« und »Russendisko Club«, zusammen mit seinem Migrationskumpel Yuriy Gurzhy) und DJ seiner hin und wieder auch reisenden »Russendisko«.

Obgleich sein Jüdischsein keine große Rolle in seiner Arbeit spielt, hat Kaminer mit Gurzhy eine CD mit neuer russisch-jüdischer Musik – »Shtetl Superstars« – produziert, die, wie Kaminer verspricht, kein Klezmer sei, für den Fall, dass sich jemand Sorgen macht.

Früher hatte er mal mit der Idee gespielt, als Bürgermeister zu kandidieren, das sollte »eine politische Provokation sein«, aber am Ende hat man als »herumreisender Geschichtenerzähler ein viel besseres Leben«, sagt Kaminer, der in seiner Ersatz-Muttersprache schreibt und sich mit ernsthaftem Gesicht über alles und jeden lustig macht, einschließlich seiner Miteinwanderer, wie in seinem neusten Buch »Meine russischen Nachbarn«. Mit seinen Büchern bereist er ganz Deutschland, von oben bis unten, und liest vor einem immer enthusiastischen Publikum, ein Kultautor.

Im Gespräch nimmt er sich Zeit, um über die Fragen nachzudenken und seine Gedanken zu sammeln, oft abwesend ins Weite blickend. Und dann funkeln seine grauen Augen und man kann sich nicht sicher sein, ob das, was er als nächstes sagt, die Wahrheit ist und nichts als die Wahrheit.

Indem sich Kaminer über seine »russischen Nachbarn« amüsiert, lacht er wohl auch über sich selbst: kein Stereotyp wird ausgelassen. Das alles ist Teil der Kaminerschen Philosophie über den Humor und das Leben an sich: »Du musst die Vergangenheit lieben, egal wie sie war, ob die Berliner Mauer, die Jüdische Gemeinde oder Antisemitismus – es wird lustig, weil es Vergangenheit ist«, sagt er. »Die Gegenwart ist das Tragische, das Leben ist tragisch. Die Zukunft ist unklar, neblig, du kennst sie nicht voraussehen. Aber wenn du etwas lieben kannst, dann ist es die Vergangenheit. Wie schlecht sie auch war«.

Sein eigener Blick auf die jüngste Vergangenheit ist entschieden unromantisch. Kaminer besteht darauf, dass er »niemals Probleme finanzieller Art in der UdSSR oder sonst wo hatte. Ich habe auch nicht unter Antisemitismus gelitten und auch nicht unter Hunger. Ich bin absolut der falsche Mann, um die Situation der Ex-Sowjet-Juden zu beschreiben«. Allerdings hat »jede Familie Erfahrungen mit Antisemitismus, auch wenn es nicht lebensbedrohlich war«. Sein verstorbener Vater, der wegen seines Betriebes in der Kommunistischen Partei akzeptiert werden wollte, wurde fünfmal zurückgewiesen. »Es waren Freunde, die ihn abwiesen, Freunde, mit denen er in der Sauna saß«, erinnert sich Kaminer. Einer hätte zum Vater gesagt: »Moiseich, du bist ein guter Mann, wir würden dich gern aufnehmen, aber wenn du nach Israel gehst, dann ist das schlecht für uns.« Als sein Vater erklärte, er wolle gar nicht nach Israel, antworteten sie: »Das sagt du jetzt, aber…« Und »als ich 16 war, musste ich meinen Ausweis mit zur Schule bringen und alle lachten mich aus, weil ›Jude‹ drin stand. Jeder in der Sowjetunion musste mit Vorurteilen umgehen.«

Der Drang nach Freiheit unter den jungen SU-Bürgern sei ganz natürlich gewesen, meint Kaminer rückblickend. »Jeder wollte wie doof herumreisen«. Er und seine Freunde haben die ganze große Sowjetunion gesehen. »Und weiter? Und dann? Dann gehst du demonstrieren.« Einmal vor der Moskauer Synagoge »hielten wir ein weißes Plakat hoch, auf dem stand: ›Lasst uns nach Israel!‹ Aber nur einer von uns wollte wirklich hin. Und der hätte gehen können, wenn er gewollt hätte. Wir wollten einfach demonstrieren, egal aus welchem Grund.«

Wahlberliner Wladimir Kaminer, Foto: Toby Axelrod

Wahlberliner Wladimir Kaminer, Foto: Toby Axelrod

Später, in den ersten Wochen in Deutschland, waren die ersten Leute, die seine Familie im Asylheim besuchten, Zeugen Jehovas, erinnert sich Kaminer. Sie wollten über Religion sprechen… »Aber dann kam die Jüdische Gemeinde und wollte uns zu einem Essen einladen«. Und »irgendwie schien das attraktiver«, merkt er an und fügt schnell hinzu, dass seine Mutter und seine Tante bis heute aktive Gemeindemitglieder seien. Kürzlich fragte ein Kurator des Frankfurter Jüdischen Museums Kaminer, ob er für eine Ausstellung über jüdische Zuwanderer in Deutschland irgendwelche jüdischen Objekte leihen könnte, die seine Familie  aus Russland mitgebracht hat. »Ich habe die Kippa meines Vaters gefunden, aber ich habe ihm auch eine gußeiserne Pfanne geschickt und ein riesiges Fotovergrößerungsgerät für die Dunkelkammer, das unbenutzt im Kleiderschrank meiner Mutter stand«, fügt er allen Ernstes hinzu. Nicht unbedingt jüdische Objekte, noch nicht mal ein bisschen. Aber vielleicht ist da etwas Jüdisches an ihnen, weil man sie den ganzen Weg von Russland hierher geschleppt hat. Die Ausstellung, die im März 2010 öffnet, wird die erste sein, die sich explizit mit der russisch-jüdischen Zuwanderung nach Deutschland zwischen 1989 und 2005 befasst, erklärt ihr Kurator Dmitri Belkin, ein Historiker am Fritz-Bauer-Institut, der selbst 1994 aus der Ukraine eingewandert ist. Belkin freut sich über die Leihgaben und ergänzt, die Ausstellung werde viele verschiedene Aspekte dieser Einwanderung beleuchten, die die jüdische Landschaft in Deutschland in den letzten 20 Jahren verändert und geprägt haben.

In der Zwischenzeit arbeitet Kaminer hart an seinem neusten Projekt: ein Buch und ein Film über seine kaukasische (nichtjüdische) Schwiegermutter. Als er kürzlich mit seinem deutschen Filmteam in ihre Heimatstadt reiste, war Kaminer beeindruckt, dass »die Menschen auf den Straßen plötzlich so projüdisch waren, dass es sich komisch anfühlte«. Vor einem Schnapsladen, erzählt Kaminer, seien ein paar Männer zu ihnen herüber gekommen, hätten in die Kamera geschaut und gesagt: »Übrigens, wir sind Juden«. Aber »sie waren wahrscheinlich nicht jüdisch, nur betrunken«, fügt Kaminer hinzu, »und wollten die Deutschen provozieren«. Und »dann sagte ein Armenier zu uns: ›Ich weiß, dass ihr Deutschen alle gegen Juden seid, aber wir Armenier sind auch Juden. Wir waren die ersten auf Noahs Arche‹«.  Kaminer blickt sich um und spricht weiter: »Am Ende, in einem georgischen Restaurant names ›Eilat‹ erzählte mir wer, dass es von Bergjuden geführt wird. Vielleicht waren das ja die einzigen echten Juden dort«

Obwohl Kaminer sich selbst als »Vollblutjuden« bezeichnet, findet er solche Kategorien irreführend. Seine israelischen Verwandten zum Beispiel »hassen grundsätzlich alle Deutschen, obwohl sie niemals hier waren«, sagt der Autor, der in diesem Jahr selbst zum ersten Mal in Israel war. »Die Russen denken, dass Juden nur wegen des Geldes nach Europa statt nach Israel gegangen sind«. Und die Deutschen? »Die Deutschen haben ihre eigene Sicht auf diese Einwanderung. Jeder sieht in uns, was er sehen will.«