Beitragssuche
Witz gegen Dünkel
27.Februar 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur
Die Berlinische Galerie zeigt Erwin Blumenfelds frühes Montagewerk
Erwin Blumenfeld (1897 in Berlin in einer jüdischen Mittelschichtfamilie – Papa betrieb die Regenschirm- und Spazierstockfirma »Jordan & Blumenfeld « – geboren, 1969 auf einer Ferienreise in Rom gestorben) gilt als einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, wenn auch im gering geachteten Bereich der Modefotografie. Die derzeit in der Berlinischen Galerie zu sehende, von Helen Adkins sorgfältig kuratierte Ausstellung bezieht sich auf seine zwischen 1916 und 1933 entstandenen etwa 100 erhaltenen (Dada-) Montagen – auf eine Zeit also, in der Blumenfeld die Fotografie, mit der er berühmt werden sollte, noch hauptsächlich für Privatfotos benutzte und die Dunkelkammer als Erweiterung seiner Montageexperimente gerade erst für sich entdeckt hatte. Während der junge Blumenfeld – der sich selbst als Bücherfresser und exzessiven Theater- und Museumsgänger beschreibt – noch bei Moses & Schlochauer, Damenkonfektion am Hausvogteiplatz, in die Lehre geht, zieht es auch die Avantgarde-Prominenz nach Berlin – Expressionisten, Kubisten, Futuristen, Abstrakte. Er lernt Erwin Piscator kennen, George Grosz, die Brüder Herzfeld, und er sitzt neben Else Lasker-Schüler, Mynona & Co im »Café Größenwahn«, dem Café des Westens, der Berliner Ideenbörse und Experimentierbühne. Das Glück dauert nicht an. Der Erste Weltkrieg bricht aus und Blumenfeld muss als Sanitätsfahrer an die Westfront. »Leichenkutscher« nennt er sich selbst; das, was er hier erlebt, wird ihn prägen und sein Leben lang begleiten.
Sein Bruder Heinz stirbt vor Verdun »für das deutsche Vaterland, das jüdische Familienleben und den Irrsinn der Welt«. Erwin überlebt und zieht nach Holland, heiratet Lena Citroen, wird Vater dreier Kinder, scheitert im Kunsthandel und anschließend in der Modebranche. Hier, festgefahren in den familiären Konstellationen einer holländischen Bürgerfamilie, beginnt er mit seinen anarchistischen Collagen, thematisiert ganz im Sinne der Dadaisten den Zusammenbruch der alten Ordnung, das Absurde und Gefährliche der menschlichen Natur, das beinahe jede politische Geste als Lüge und Illusion entlarvt. Jahrzehnte später werden seine (unbedingt lesenswerten) Lebenserinnerungen – als »Einbildungsroman« – erst keinen Verleger finden, sie sind absurd, grotesk, sarkastisch, respektlos – und wundervoll. Blumenfeld wird hier Sprache und Worte genauso lustvoll, unorthodox und mehrdeutig montieren wie zuvor seine Bilder. Er wird ein bissiges Sittenbild der wilhelminischen Gesellschaft zeichnen und die Grauen des Krieges in schwarzem Humor verpacken, er wird »die Spießer und die Leute, die an zwei Weltkriegen schuld sind« anprangern und die Deutschen, die ihre grandiose Kultur verraten haben. (Die Berliner – und sich selbst – nimmt er von all dem aus: »Nie war ich Deutscher. In Wahrheit war ich nur Berliner und bin’s geblieben... Genauer: Südwestberliner und Westwestberliner «.) In den Montagen jedenfalls, die der Phantasiebegabte im holländischen Exil aus Fotos, Postkarten, Werbezetteln, eigenen Arbeiten, Sprichwörtern klebt, schnipselt, zeichnet und schreibt, war all das schon angelegt. Auch die Ambivalenz, sein Faible für Spiegelbilder, Doppelbelichtungen, Schönheit und Tod, zart und grob. Dada, inzwischen in ganz Europa verbreitet, kam ihm dabei entgegen, inhaltlich – mit dem so ironischen wie totalen Zweifel an allem, mit dem Abscheu vor Bigotterie, Militarismus, Obrigkeitshörigkeit – und technisch, mit dem Zusammenführen verschiedener Kunstformen und mit der Fotomontage, die (vermutlich) zuerst von Hannah Höch und Raoul Hausmann in die Berliner Dada-Bewegung eingebracht worden war. Zu sehen sind in der Ausstellung Blätter, die Mann und Frau, Erwin und Lena, im Zentrum haben, den in den 1920ern beliebten Boxsport, die Moderne, das Hochhaus, die aber vor allem auch Schlagworte wie Ehre, Heldentum und Krieg illustrieren und in denen Blumenfelds personifizierte Freunde auftauchen – Charly Chaplin oder August Strindberg – und seine Erzfeinde Wilhelm Zwo und Hitler. In seinen düsteren Collagen – wie den Hitler-Totenköpfen vom Januar 1933 – nimmt Blumenfeld vorweg, was noch kommen sollte, auch für ihn selbst. 1936 flieht er als illegaler Ausländer nach Paris, 1939 bekommt er in den USA (die er nie mochte – auch zu diesem Thema zeigt die Ausstellung Blätter) den ersten Vertrag mit »Harper‘s Bazaar«, dem Modemagazin, das ihn neben der »Vogue« später berühmt machen wird. Als er 1940 noch einmal nach Frankreich zurückkehrt, wird er verhaftet. Es beginnt eine zweijährige Odyssee durch diverse Internierungslager. 1941 gelingt die Ausreise mit Frau und Kindern in die USA. Die kometenhafte Karriere, die Blumenfeld mit seinen eleganten, grafisch anmutenden Bildern hier als (Mode-)Fotograf macht, wäre Thema für eine weitere Ausstellung.
Judith Kessler
jüdisches berlin
2012_24 Alle Ausgaben
- Dezember 2024
- November 2024
- Oktober 2024
- September 2024
- Juni 2024
- Mai 2024
- April 2024
- März 2024
- Februar 2024
- Januar 2024
- Dezember 2023
- November 2023
- Oktober 2023
- September 2023
- Juni 2023
- Mai 2023
- April 2023
- März 2023
- Februar 2023
- Januar 2023
- Dezember 2022
- November 2022
- Oktober 2022
- September 2022
- Juni 2022
- Mai 2022
- April 2022
- März 2022
- Februar 2022
- Dezember 2021
- November 2021
- Oktober 2021
- September 2021
- Juni 2021
- Mai 2021
- April 2021
- Januar 2018
- März 2021
- Februar 2021
- Mai 2020
- Januar 2021
- Dezember 2020
- November 2020
- September 2020
- Oktober 2020
- Juni 2020
- April 2020
- März 2020
- Februar 2020
- Januar 2020
- September 2019
- November 2019
- Juni 2019
- Mai 2019
- April 2019
- März 2019
- Februar 2019
- Dezember 2018
- Januar 2019
- Mai 2015
- November 2018
- Oktober 2018
- September 2018
- Juni 2018
- Mai 2018
- April 2015
- März 2015
- März 2018
- Februar 2017
- Februar 2018
- fileadmin/redaktion/jb197_okt2017.pdf
- September 2017
- Juni 2017
- April 2017
- November 2017
- Januar 2017
- Dezember 2016
- November 2016
- Oktober 2016
- September 2016
- Juni 2016
- Mai 2016
- April 2016
- März 2016
- Februar 2016
- Januar 2016
- Dezember 2017
- Dezember 2015
- November 2015
- September 2015
- Juni 2015
- Oktober 2015
- Februar 2015
- Januar 2015
- Dezember 2014
- November 2014
- Januar 2022
- Oktober 2014
- September 2014
- Juni 2014
- Mai 2014
- März 2014
- Februar 2014
- Januar 2014
- Dezember 2013
- November 2013
- Oktober 2013
- Juni 2013
- Mai 2013
- April 2013
- März 2013
- Februar 2013
- Januar 2013
- Dezember 2012
- November 2012
- Oktober 2012
- September 2012
- Juni 2012
- Mai 2012
- April 2012
- März 2012
- Februar 2012
- Januar 2012