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»Wir sind kein Holocaust-Museum«

28.September 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Das Jüdische Museum Berlin feiert dieser Tage sein 10-jähriges Bestehen. Mit 750 000 Besuchern im Jahr und seinen innovativen Programmen und Ausstellungen gehört es zu den beliebtesten Museen der Hauptstadt

Mit einem metallischen Knall kracht die Tür ins Schloss. Dann ist man allein im Holocaust-Turm, jenem hohen, finsteren Raum des Jüdischen Museums, den der Architekt Daniel Libeskind »Void«, also Leerstelle, nannte. In dem stillen Turm trifft die ganze emotionale Wucht der Geschichte, verkörpert in der Architektur, den einsamen Besucher. Oft allerdings muss man sich das eindrucksvolle Erlebnis mit anderen Gästen teilen. Denn leer ist das Jüdische Museum Berlin so gut wie nie.

Hervorgegangen ist das Museum aus der jüdischen Abteilung des Berliner Landesmuseums im barocken ehemaligen Kammergericht in der Lindenstraße, das heute zum Gebäude-Ensemble gehört. Schon die spektakuläre Architektur des Libeskind-Baus war als leere Hülle für viele Berliner und Touristen ein Publikumsmagnet: Als das ungewöhnliche Gebäude 1999 für die Öffentlichkeit vorab und ohne Sammlung geöffnet wurde, gab es einen enormen Ansturm. Daran hat sich nichts geändert. In den zehn Jahren seit seiner Eröffnung haben mehr als sieben Millionen Besucher das Museum mit der silbernen Außenhaut besichtigt. Meist sind es Touristen, vor allem aus europäischen Ländern wie Italien, den Niederlanden und Großbritannien.

Schulkassen werden in der Regel hierhergeführt, wenn die NS-Zeit oder Religion auf dem Lehrplan stehen. Und doch: »Wir sind kein Holocaust-Museum, sondern ein Haus des Lebens«, sagt Museumsmitarbeiterin Stefanie Hardick. »Die Grundidee, ein Museum zu machen, das sich nicht nur mit deutsch-jüdischen Themen befasst, sondern seine Aufgabe viel breiter sieht und sich mit Problemen der Gegenwart beschäftigt, ist sehr erfolgreich«. Bestes Beispiel für den Anspruch, Gesellschaft abzubilden, sind die mehrfach ausgestellten Kinderzeichnungen und Fotografien aus Darfur, aber auch die aktuelle Jubäumsausstellung »Heimatkunde«, bei der jüdische und nichtjüdische Künstler über »ihr« Deutschland nachdenken (siehe S. 22).

Ein guter Teil des Erfolgs dürfte der konzeptionellen Idee geschuldet sein, dass das Museum Juden nicht als Opfer und Exoten zeigt, sondern als Menschen, als Macher, als Kreative, als Bürger, als Nachbarn, als Deutsche. Die deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte hat schließlich nicht erst 1933 begonnen, sondern vor 2000 Jahren. Ein weites Feld mit zahllosen Schnittpunkten und auch Überraschungen – von den Kuratoren gekonnt in Szene gesetzt, oft genug schräg, selbstironisch, aus unerwarteten Blickwinkeln. Ob Berliner Juden in bayrischer Gebirgstracht, der Anzug des ersten israelischen Astronauten als Purimkostüm oder der Wanderpokal eines jüdischen Ruderklubs – es sind gut präsentierte Attraktionen, Hingucker mit Hintergedanken. Erinnert sei an Ausstellungen wie »Typisch jüdisch!« über Klischees, an »Helden, Freaks und Superrabbis« über jüdische Comics, an »It must schwing« über das New Yorker Jazzlabel Blue Note Records, an »Koscher & Co.« über Essen und Religion von Mesopotamien bis in den heutigen jüdische Kochtopf, an die witzige Weihnukka-Ausstellung, jene über Freud und die »PSYCHOanalyse« oder »10+5=Gott«, die sich mit der Macht der Zeichen in religiösen Kontexten befasste. Viel besucht waren aber auch Ausstellungen wie »Tödliche Medizin« über den nationalsozialistischen Rassenwahn und jene mit den großartigen Fotografien von Alter Kacyzne oder Roman Vishniac.

Für viele Besucher sind es aber gar nicht die originellen Ausstellungen, weshalb sie hierherkommen, sondern die dekonstruktivistische Architektur ist das zunächst wichtigste Exponat. Die TV-Journalistin Suzy Hendrikx aus Belgien interessierte sich eigentlich nur für den Bau. Nun, nach dem Besuch, sagt sie: »Ich war sehr angetan. Ich kannte die deutsch-jüdische Geschichte erst von 1933 an. Ich bin sehr berührt, nun die Historie aus den Jahrhunderten zuvor kennengelernt zu haben. Ich habe mir die Exponate volle drei Stunden angeschaut!« Dem Spanier Andres Izaguierre, der einfach dem Tipp im Reiseführer gefolgt war, gefiel besonders die lockere Atmosphäre: »Die Sicherheitskontrollen sind freundlich, die Hosts mit den bunten Halstüchern sind hilfsbereit und kompetent und es ist nicht so dunkel und verstaubt wie in anderen Museen«. Ganz so begeistert war eine Schülergruppe aus der Pfalz nicht: Die 15-jährigen Mädchen fanden sich trotz Führung nur schwer in der Sammlung zurecht. Die Architektur allerdings, vor allem der Holocaust-Turm, hatte sich ihnen tief eingeprägt. Und Margarete Hanke aus Berlin ist ein Fan der besonderen Art: Sie ist sogar Mitglied in der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Museums und freut sich immer besonders auf die spannenden Sonderausstellungen.

Innenansicht Jüdisches Museum Berlin, »Moses Mendelssohn und die Aufklärung, 1740-1800«© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Thomas Bruns

Innenansicht Jüdisches Museum Berlin, »Moses Mendelssohn und die Aufklärung, 1740-1800«© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Thomas Bruns

Der Architekt, Daniel Libeskind, hat mit seinem Entwurf wesentlich zum Erfolg des Museums beigetragen – von seinen »Achsen der Kontinuität, des Todes und des Exils«, die das Museum durchschneiden, bis hinein in den »Garten des Exils«, wo auf 49 hohen Betonstelen Ölweiden gedeihen und der schräge Boden ein Gefühl der Verunsicherung beim Besucher hinterlässt, wie bei jemandem, der seine Heimat verloren hat – durch einen »Unfall der Geschichte«, wie Libeskind es nennt.

Zwischen den bunten Einbauten im Inneren des Hauses und der puristischen Architektur gibt es hier und da auch Konflikte. Libeskinds graphisch ausdrucksvollen Fenster wurden zugunsten der Präsentation im Inneren teilweise sogar abgedeckt. Andererseits sind die schwierigen Raumbedingungen eine besondere Herausforderung – und jedes Ausstellungsteam geht anders und oftmals sehr kreativ mit ihr um.

Den Museumsmachern – wie Cilly Kugelmann, Inka Bertz, dem Direktor Michael Blumenthal und der Crew von 120 angestellten und knapp 400 freien Mitarbeitern – scheinen die Ideen und der Elan nicht auszugehen. Zu all den Ausstellungen, Symposien, Konzerten und einer ansprechenden Homepage (die mit Filmen zu Themen wie »Paradies«, »Kopftuch« oder »Hostie«, Statements einzelner Kuratoren zu gezeigten und nicht gezeigten Objekten oder Hintergrundinformationen schon virtuell zu einem Besuch animiert) bekommt das Museum auf der gegenüberliegenden Straßenseite nun auch noch eine »Akademie«, die ebenfalls Daniel Libeskind entworfen hat. Sie wird sich mit Migrations- und Integrationsfragen und den Problemen von Minderheiten-Mehrheiten-Verhältnissen in Gesellschaften befassen. Denn ihr Bildungsprogramm liegt den Museumsleuten besonders am Herzen. Angesichts der Tatsache, dass die letzten Zeitzeugen sterben, dass die jungen Besucher meist selbst keine Beziehung zum Thema Nationalsozialismus haben und auch keine Juden kennen und dass viele aus muslimischen oder arabischen Kontexten kommen, ist das pädagogische Konzept des Museums wegweisend, denn es versucht Berührungsängste und Vorurteile auf innovative Weise zu »knacken« – ob mit »Alis wunderbarer Weg« (einer Lesung auf Deutsch und Türkisch), mit »Ist das im Islam nicht auch so?« (einer Führung über die Ursprünge der Weltreligionen), mit Theaterworkshops zum Thema Emigration, einem Hebräisch-Schnupperkurs, dem Schülerbandwettbewerb oder dem Einsatz moslemischer Museumsguides. Herzlichen Glückwunsch zum 10. Geburtstag und weiter so – bis 120!

Judith Meisner/Judith Kessler