Beitragssuche
»Wenn es Israel gut geht, geht es uns auch gut«
01.November 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Aktivitäten
Ilan Brandstetter (41), Vorsitzender des Berliner Magbitkomitees von Keren Hayesod, über das Spenden¬sammeln und die Arbeit der »Vereinigten Israel Aktion«
jb: Herr Brandstetter, wie sind Sie zu Keren Hayesod gekommen?
Durch meinen Vater. Er war lange Jahre Vorsitzender der Gelsenkirchner Gemeinde und hat sein Leben lang – und macht es immer noch – für den Keren Hayesod gespendet und auch gesammelt. Er war bei KH auch Mitglied des Präsidiums und so bin ich dort auch reingewachsen. Sobald ich mein eigenes Geld verdient habe, ich bin Immobilienkaufmann, hat mein Vater mich zum Spenden animiert. Und als ich dann nach Berlin zog…
Wann war das?
…vor zehn Jahren. Ich fing erst bei dem Young Leadership an und danach im Berliner Komitee. Damals war Nathan Gelbart hier noch Vorsitzender und als er dann den Vorsitz des KH Deutschland übernahm, hat er mich gebeten, in Berlin weiterzumachen.
Was macht Keren Hayesod genau?
Keren Hayesod wurde 1920 in London gegründet, um die Errichtung eines jüdischen Staates zu finanzieren. Nach der Staatsgründung ist der Keren Hayesod per Knesset-Beschluss die zentrale Organisation geworden, die für Israel Spenden sammelt und somit der Finanzierer der Jewish Agency. So hat der Keren Hayesod z.B. die Gelder beschafft, mit deren Hilfe die Jewish Agency drei Millionen Juden nach Israel brachte. Spektakulär war zum Beispiel die Rettung der äthiopischen Juden in den Operationen »Moses« und »Salomon« oder in jüngerer Zeit, die Alijah aus Argentinien, als die Wirtschaft dort zusammenbrach, oder aus Frankreich, auf Grund des ständig steigenden Antisemitismus. Wir finanzieren aber auch Jugenddörfer, Krankenhäuser, Landwirtschaftssiedlungen oder die Sanierung von Wohngebieten benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Und natürlich arbeiten alle Komiteemitglieder ehrenamtlich.
Wieviel kommt denn so zusammen beim Sammeln, wen sprechen Sie an?
Wir bekommen Spenden und Nachlässe – so zwischen zwei und drei Millionen Euro im Jahr. International ist es deutlich höher, speziell in Amerika. Wir sprechen in erster Linie Juden an, versuchen aber auch Christen und christliche Institutionen einzubinden, die Israel unterstützen. Wir arbeiten auch mit Firmen und Banken, die Geschäftsbeziehungen oder sonst eine Verbindung mit Israel unerhalten, zusammen.
Wie aktiv sind die Berliner Juden?
Früher wurde das Spenden fast so wie eine freiwillige Steuer angesehen. Für die Schoa-Überlebenden hat Israel einen ganz anderen Stellenwert. Für die Nachkommen ist es oft nur ein tolles Urlaubsland, wo man ohne Ende ausgehen und feiern kann. Die Probleme werden nicht wahrgenommen. Und die Spendenbereitschaft ist dann natürlich deutlich geringer als bei den Älteren. Diese Generation wird aber leider nicht ewig unter uns weilen.
Wie vermitteln Sie, dass Israel nicht nur Strand und Party ist?
Wir unterstützen unter anderem Orte, die nicht selber Spenden sammeln können, Dörfer im Negev und dem Galil oder solche, die durch Krieg oder Terror zerstört wurden und werden. Zu Pessach, wenn viele unserer Spender nach Israel fahren, organisieren wir z.B. Tagestouren und zeigen ihnen ausgewählte Projekte, damit sie sehen, wie ihre Gelder eingesetzt werden und wo die Probleme des Landes liegen.
Was für Probleme sind das?
Durch die Kriege mit den arabischen Nachbarn muss extrem viel Geld in die Verteidigung investiert werden und soziale Bereiche kommen zu kurz. Das versuchen wir etwas auszugleichen. Gerade unter Neueinwanderern gibt es viele Menschen, die in Armut leben und noch nicht so integriert sind. Wir bieten jetzt zum Beispiel Schulspeisung an, weil Kinder zu Hause nicht genug zu Essen bekommen. Wir arbeiten auch mit Kindern, die Drogenprobleme haben oder aus Familien kommen, wo Gewalt herrscht.
In Berlin sind viele Mitglieder Hartz-IV- Empfänger und haben eigentlich kein Geld übrig.
Wir freuen uns über jeden Betrag, seien es 10 oder 20 Euro. Jeder so, wie er kann! Im Grunde kann jeder ein bisschen dazu geben. Wenn genügend Menschen spenden, kommt einiges zusammen. Wir haben Gott sei Dank eine Reihe von Großspendern, aber die Kleinen sind genau so wichtig.
Ist KH in den neuen Ländern aktiv?
Ja. Die neuen Bundesländer gehören wie wir zur Region Nord. Udi Lehavi, der unsere Berliner Repräsentanz leitet, kümmert sich darum und hält Kontakt zu den jüdischen und christlichen Organisationen. In Orten wie Dresden und Leipzig gibt es kleine KH-Gruppen. Es ist nicht leicht, aber man merkt, dass dort gerade die russischen Einwanderer etwas beitragen möchten. Das ist ein langer Prozess. Man muss heute anfangen, damit es später Früchte trägt.
Wie könnte das in Berlin aussehen?
Neben unserer traditionellen Magbit-Spenden-Gala haben wir einmal im Jahr eine etwas intellektuellere Veranstaltung – jetzt am 16. November zum Beispiel eine Podiumsdiskussion über die Auswirkungen der US-Wahlen auf die israelisch-amerikanischen Beziehung. Alle Interessierten sind dazu willkommen. Außerdem ist jeder herzlich eingeladen, bei uns im Büro vorbeizukommen oder uns zu kontaktieren, wenn er mehr über den Keren Hayesod und unsere Arbeit wissen möchte. Es gibt so viele Projekte, so dass wir für jeden und für jede Interessenlage etwas finden – egal ob es um Krebsforschung, Drogenmissbrauch oder Kindergärten geht. Wenn wir wissen, wofür sich jemand interessiert, dann finden wir auch etwas Passendes, bei dem man sich engagieren kann. Wir freuen uns natürlich auch über jeden, der im Komitee mitmachen möchte. Das bedeutet gezielt auf Spender zuzugehen, um Spenden zu sammeln – das ist ja das Wichtigste. Es wäre auch schön, wenn mehr russische Immigranten aktiv im Komitee mitmachen würden.
Welche Verbindung haben Sie zu Israel?
Der Grossteil meiner Familie lebt dort. Ich bin mindestens einmal im Jahr in Israel. Und ich glaube, ich kann hier in Deutschland so sicher leben, weil ich weiß, dass wenn, Gott behüte, etwas passieren würde, ich mich sofort in einen Flieger setzen könnte. Israel ist wie eine Lebensversicherung. – Schauen Sie, gerade jetzt, der Konflikt in Georgien. Wir haben sofort eine Notaktion gestartet und ganz schnell ca. 200 Juden aus dem Krisengebiet gerettet. Wenn irgendwo Not ist, egal wo, und Juden betroffen sind, dann setzen wir mit der Jewish Agency alles in Bewegung, um so schnell wie möglich zu helfen.
Wie motiviert man junge Leute, in die Fussstapfen ihrer Eltern zu treten?
Innerhalb des Keren Hayesod gibt es den »Young Leadership« speziell für junge Menschen. Dort gibt es z.B. die Möglichkeit mit jungen Juden aus aller Welt nach Israel zu fahren, um ihre Wurzeln und Israel kennenzulernen und Projekte zu besuchen, die durch Spenden ermöglicht wurden. Wir hoffen dadurch die Motivation und das Engagement zu stärken. Es gibt auch andere unkonventionelle Aktionen. Udi Lehavi sammelt zum Beispiel Geld für krebskranke Kinder, indem er an Marathonläufen teilnimmt oder deutsch-israelische Kinderläufe organisiert. Ein Patentrezept gibt es leider nicht. Mir macht die mangelnde Spendenbereitschaft in unserer Gesellschaft auch Sorgen. In anderen Ländern, USA, Kanada, in der Schweiz, in Frankreich, läuft es deutlich besser. In England kostet eine Karte zum Magbit-Ball 1000 Pfund und alle Leute stehen Schlange! Ich frage mich jedes Mal, was machen wir so viel anders? In Amerika ist die Kultur viel stärker auf ein »Es geht mir gut und ich gebe einen Teil davon an die Gesellschaft zurück« ausgerichtet. Das fehlt hier etwas – die Selbstverantwortung…
…und die Mitverantwortung für Israel
…was letztlich dasselbe ist. Denn, ich bin sicher, hätte es damals Israel schon gegeben, wäre die Schoa nicht passiert. Israel muss stark sein. Wenn es Israel gut geht, geht es uns auch gut. Das muss man allen klar machen.
Interview: Judith Kessler
jüdisches berlin
2012_24 Alle Ausgaben
- Dezember 2024
- November 2024
- Oktober 2024
- September 2024
- Juni 2024
- Mai 2024
- April 2024
- März 2024
- Februar 2024
- Januar 2024
- Dezember 2023
- November 2023
- Oktober 2023
- September 2023
- Juni 2023
- Mai 2023
- April 2023
- März 2023
- Februar 2023
- Januar 2023
- Dezember 2022
- November 2022
- Oktober 2022
- September 2022
- Juni 2022
- Mai 2022
- April 2022
- März 2022
- Februar 2022
- Dezember 2021
- November 2021
- Oktober 2021
- September 2021
- Juni 2021
- Mai 2021
- April 2021
- Januar 2018
- März 2021
- Februar 2021
- Mai 2020
- Januar 2021
- Dezember 2020
- November 2020
- September 2020
- Oktober 2020
- Juni 2020
- April 2020
- März 2020
- Februar 2020
- Januar 2020
- September 2019
- November 2019
- Juni 2019
- Mai 2019
- April 2019
- März 2019
- Februar 2019
- Dezember 2018
- Januar 2019
- Mai 2015
- November 2018
- Oktober 2018
- September 2018
- Juni 2018
- Mai 2018
- April 2015
- März 2015
- März 2018
- Februar 2017
- Februar 2018
- fileadmin/redaktion/jb197_okt2017.pdf
- September 2017
- Juni 2017
- April 2017
- November 2017
- Januar 2017
- Dezember 2016
- November 2016
- Oktober 2016
- September 2016
- Juni 2016
- Mai 2016
- April 2016
- März 2016
- Februar 2016
- Januar 2016
- Dezember 2017
- Dezember 2015
- November 2015
- September 2015
- Juni 2015
- Oktober 2015
- Februar 2015
- Januar 2015
- Dezember 2014
- November 2014
- Januar 2022
- Oktober 2014
- September 2014
- Juni 2014
- Mai 2014
- März 2014
- Februar 2014
- Januar 2014
- Dezember 2013
- November 2013
- Oktober 2013
- Juni 2013
- Mai 2013
- April 2013
- März 2013
- Februar 2013
- Januar 2013
- Dezember 2012
- November 2012
- Oktober 2012
- September 2012
- Juni 2012
- Mai 2012
- April 2012
- März 2012
- Februar 2012
- Januar 2012