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Warten auf Erlösung
02.April 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage
Pessach und das Kommen des Messias
Die Pessach-Tage erinnern an die erste Erlösung des Volkes Israel aus der ägyptischen Knechtschaft. Am Schabbat Chol Hamoed Pessach lesen wir als Haftara die »Vision Jecheskiels von den Totengebeinen« (Jecheskiel 37:1-14). Sie beschreibt, wie G’tt Jecheskiel an einen Ort brachte, an dem verdorrte Menschengebeine lagen. G’tt fragte Jecheskiel, ob er meine, adass diese Gebeine wieder lebendig würden. Er antwortete: »Herr, Ewiger, du weißt es.« Da sagte der Ewige zu ihm: »Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret das Wort des Ewigen. So spricht der Herr, der Ewige, zu diesen Gebeinen: Ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet.« Da sammelten sich die Knochen und wurden wieder zu lebendigen Menschen.
Dieser Abschnitt stellt uns eine Vision der Auferstehung vor Augen und zeigt uns, wie G’tt in einer Situation von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung im Volk Israel zu Jecheskiel sprach. Ihre Knochen sind verdorrt in der Diaspora, im ersten babylonischen Exil, aber – so forderte G’tt Jecheskiel auf – du sollst ihnen sagen, so, wie die verdorrten Gebeine wieder lebendig wurden, so werden auch die Kinder Israels wieder nach Erez Israel kommen.
Der Talmud sagt, dass der Abschnitt über die verdorrten Gebeine zu Pessach vorzulesen ist. Raschi erklärt, dass es sich bei diesen Gebeinen um Menschen aus dem Stamm Efraim handelte, die Ägypten bereits 30 Jahre vor der von G’tt festgesetzten Zeit, also vor dem Auszug mit Moses, verlassen hatten und getötet wurden. Raschi schreibt über diesen verfrühten Aufbruch: G’tt hat zu Awraham gesagt, seine Nachkommen würden vierhundert Jahre in der Diaspora zubringen. Da Awraham damals schon alt war, zählte Efraim die vierhundert Jahre von diesem Zeitpunkt an. G’tt aber rechnete von der Geburt Jizchaks an, also dreißig Jahre später.
Im Talmud gibt es nun eine Diskussion darüber, ob es sich bei der Geschichte allein um einen Traum oder aber um ein tatsächlich stattgefundenes Geschehen handelt. Nach Rabbi Jehuda ist die Wiederbelebung ein Gleichnis. G’tt habe damit einen Hinweis geben wollen, dass derjenige, der in der Diaspora lebt, betrachtet werde wie jemand, der tot ist. Und deshalb, so Rabbi Jehuda, habe G’tt eine Zusage geben wollen, dass, wer in der Diaspora lebt, wieder zurückkehren werde. Nach Rabbi Elazar hatte Jecheskiel echte Gebeine wieder zum Leben erweckt, Menschen, die dann nach Erez Israel kamen, heirateten und Söhne und Töchter bekamen. Diese Version unterstützt im Talmud auch Rabbi Jehuda Ben Betejra, der von sich sagte, ein Nachkomme dieser Wiederauferstandenen zu sein und der auf seine Tefillin verweist, die er mit dem Hinweis, sie stammten von den Menschen, die damals dort gelebt hätten, von seinem Großvater bekommen habe.
Aus dem bisher Gesagten ergeben sich zwei Botschaften. Die eine ist: Jecheskiel will das Volk Israel stärken. Es soll nicht aufgeben, daran zu glauben, dass es eine Erlösung und eine Rückkehr nach Israel gibt und auf die Zeit der Erlösung und Auferstehung warten. Die zweite Botschaft hängt mit dem falschen Zeitpunkt von Efraims Auszug aus Ägypten zusammen. Die Menschen, deren Gebeine vertrocknet dalagen, hätten abwarten müssen, bis der von G’tt bestimmte Zeitpunkt der Erlösung gekommen wäre.
Israel und der richtige Zeitpunkt sind auch heute ein aktuelles Thema. Es gibt Menschen, die sagen, der Staat Israel sei eine Sünde. Wie Efraim die Erlösung vor der Zeit finden wollte, sei auch für den Staat Israel der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen. Diese Theorie vertritt der Satmarer Rebbe aus Ungarn und mit ihm Anhänger in Amerika und auch in Israel. Sie sagen, dass es verboten sei, den Staat Israel schon jetzt gegründet zu haben, solange der Messias noch nicht gekommen ist und die Erlösung gebracht hat. Der Rabbi von Satmar hat in einem Buch seine Ideologie mit dem Talmud-Band Ketubot (111a) begründet, in dem steht, dass G’tt drei Eide bezüglich Israel abgelegt habe. Demnach dürfte Erez Israel nicht mit Gewalt genommen werden, es dürfe sich nicht gegen andere Völker erheben und drittens dürften die anderen Völker Israel nicht quälen. Andere weisen jedoch darauf hin, dass der Staat Israel mit der Zustimmung der UNO gegründet wurde und damit also die Zustimmung der Völker vorliege.
Wir sehen, dass die Haftara zum einen ganz deutlich über unseren Glauben und unsere Erwartungen spricht: dass alle Toten irgendwann einmal auferstehen. Deswegen sind bei uns Juden alle Friedhöfe auf ewig angelegt – bis zur Auferstehung. Doch neben der Zusage der Auferstehung steht in diesem Abschnitt noch etwas anderes. Die Zusage G’ttes drückt aus, dass G’tt die Kinder Israels zurück nach Israel bringen wird. In der Zeit des Messias werde dort ein »Knecht Davids«, ein Nachkomme Davids regieren und auf ewig in diesem Land sitzen. Die Völker werden sehen, »Ich bin G’tt, der Israel geheiligt hat«. Wir können heute mit eigenen Augen sehen, wie die Prophezeiung Jecheskiels Wirklichkeit wird: das jüdische Volk kehrt nach Erez Israel zurück.
Maimonides hat in dem zwölften seiner dreizehn Glaubensartikel geschrieben: »Ich glaube mit festem Glauben, dass der Messias kommen wird … und ich warte auf ihn jeden Tag.« Er schreibt auch, dass, wenn der Messias kommt, sich das normale Leben nicht verändern wird. Für Israel bedeute die Erlösung, frei und unabhängig zu sein, frei zu leben in Erez Israel und die Religion ausüben zu können. Erlösung heiße, nicht mehr von den Völkern gequält zu werden.
Heute hören wir schon die Schritte des Messias. Wir sehen, wie Juden aus allen Ecken der Welt nach Jerusalem zurückkommen, wie es die Propheten gesagt haben, und dort frei und unabhängig leben. Und mit alledem erhält der Satz der Haggada eine neue Aktualität: »Nächstes Jahr in Jerusalem.«
Mit dem Segen für ein koscheres und frohes Pessachfest
für alle Mitglieder der Gemeinde,
Rabbiner Yitshak
und Nechama Ehrenberg
jüdisches berlin
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