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Vorboten

02.November 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Gedenken

Schon 1931 wurden auf dem Kurfürstendamm in einer pogromartigen Randale Juden attackiert

Die Geschichte der Novemberpogromnacht von 1938 ist allgemein bekannt. Aber nur wenige wissen, dass schon 1931 der faschistische Mob über den Kurfürstendamm tobte und jüdische Gläubige attackierte. Der brutale Überfall ereignete sich an Rosch Haschana.

Den Nationalsozialisten und vor allem dem Gauleiter von Groß-Berlin, Josef Goebbels, war der Kurfürstendamm von jeher ein Dorn im Auge. Auf dem Prachtboulevard versammelte sich alles, was die Faschisten hassten: Jazzmusik, amerikanische Revuen, in denen die sexy schwarze Tänzerin Josephine Baker in ihrem sagenhaften Bananenrock auftrat. In den Stadtpalais wohnten jüdische Großbürger und Mitglieder der geistigen Eliten. Hosen tragende Mädchen à la Marlene Dietrich, Homosexuelle, Lesben und der ganze Tingeltangel bevölkerten den weltberühmten Ku’damm – eine Mischung von großer Eleganz und Demimonde. Bezeichnender Weise verballhornten die Nationalsozialisten den Namen Kurfürstendamm zu »Cohnfürstendamm«.

Am 12. September 1931, zum Neujahrstag, ließ Goebbels, Hitlers späterer Propagandaminister, kleine und größere Gruppen von SA-Männern in Zivil über den Boulevard ziehen. Rund tausend Nationalsozialisten skandierten antisemitische Hetzparolen. Außerdem brüllten sie »Brot! Hunger!«. In der Umgebung der Fasanenstraße pöbelten sie Juden an, die vom Gottesdienst aus der Synagoge kamen. Beliebige dunkelhaarige Passanten wurden als vermeintliche Juden von wütenden Horden angegriffen und niedergeschlagen. Während der antisemitischen Demonstration fuhr der Berliner SA-Führer Wolf-Heinrich von Helldorf mit seinem Stabschef Karl Ernst im Auto vorbei und feuerte seine Schlägertrupps zu weiteren Untaten an.

Auch das »Wiener Café und Konditorei« von Walter Reimann auf dem Kurfürstendamm in Höhe Olivaer Platz war ein Treffpunkt für viele Juden. Hier randalierten etwa 30 SA-Männer. Vor den Augen der schockierten Gäste schmissen die Krakeeler die Tischchen in die mit Wolkenstores behangenen Fenster des Cafés. Sie schossen an die Decke, verletzten mehrere Gäste schwer und zerstörten die Konditorei.

Gegen 21.15 Uhr, der Mob tobte schon über eine Stunde, rückte endlich die Polizei an. Die Schutzmänner verhielten sich aber eher unentschlossen bis abwartend. Schließlich verhafteten sie 60 Personen. Es kam auch zu Übergriffen der Polizei auf unschuldige Passanten. Sie wurden, wie die meisten der tatsächlich an den Krawallen Beteiligten, nach einigen Stunden im Arrest wieder freigelassen und sollten die »Klappe halten«. 

Der Polizeibericht lautete erstaunlich neutral: »Am Sonnabendabend zwischen 22 und 24 Uhr hatten sich verschiedene Demonstrationen in der Umgebung der Gedächtniskirche gebildet, die teilweise unter Gebrauch des Gummiknüppels aufgelöst werden mussten. (…) Drei große Fensterscheiben im Café Reimann sind zertrümmert worden.« Der Bericht ist in einem langen Artikel in der Jüdischen Rundschau vom 18. September 1931 zu lesen. Darin wird auch die Frage aufgeworfen, weshalb die Öffentlichkeit zu den Krawallen der »Hakenkreuzler« schwieg.

Vorboten

Im Polizeibericht fehlte jeder Hinweis auf die politische Ausrichtung der SA-Attacken. Die Passanten auf der belebten Amüsiermeile zur besten Ausgehzeit schauten geflissentlich weg: Beide Tatsachen spiegeln die Stimmung in der breiten Bevölkerung. Nach dem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung der 1920er Jahre stürzte die Weimarer Republik nach dem Schwarzen Freitag, dem New Yorker Börsenkrach am 25. Oktober 1929, in eine tiefe Krise. Viele Menschen verloren ihre Arbeit, Verunsicherung machte sich breit. Mit den Reichtagswahlen 1930 begann der Aufstieg der Nationalsozialisten. Bei dem sogenannten Kurfürstendamm-Krawall nutzte die SA die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Menschen aus und wiegelte sie mit Parolen auf.

Gegen 34 SA-Männer kam es am 18. September 1931 vor einem Charlottenburger Schöffengericht zum Prozess. 28 Angeklagte wurden wegen schweren Landfriedensbruchs zu Gefängnisstrafen zwischen neun und 21 Monaten verurteilt. Graf Helldorf und Karl Ernst wurden als Rädelsführer verhaftet. Der spätere Präsident des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, verteidigte sie. Sie erhielten nur geringe Geldstrafen. Helldorf machte in der Folge Karriere als Polizeipräsident von Potsdam. 1938 wollte er in Berlin ein Ghetto einrichten. Andererseits soll der notorisch verschuldete Helldorf Juden geholfen haben – gegen Geld. Wegen seiner Kontakte zum militärischen Widerstand wurde er nach dem missglückten Attentat auf Hitler zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Unter dem Titel »Kudamm 31« lädt ein Rundgang mit Kopfhörern zur Spurensuche der Geschehnisse vom 12. September 1931 ein. Dazu wird ein Android-fähiges Smartphone und eine vorher installierterApp von Radio Aporee benötigt. Weitere Informationen sind im Internet zu finden: www.kudamm31.com.

Judith Meisner