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Von Feldhilfsrabbinern, Soldatenbibeln und »Liebesgaben«
01.Juni 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
Ein erstes profundes Werk von Sabine Hank, Hermann Simon und Uwe Hank über die jüdische Militärseelsorge im Ersten Weltkrieg
1,5 kg schwer und 624 Seiten lang ist das Buch über »Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges« geworden, mehr als zehn Jahre Arbeit stecken in ihm. Die Hauptlast daran habe Sabine Hank getragen, sagt Herausgeber Hermann Simon. Die Archivarin und weitere unermüdliche Rechercheure haben das im Centrum Judaicum vorhandene Material, zu dem auch Bestände des ehemaligen Gesamtarchivs der Deutschen Juden gehören, ausgewertet, unlesbare Handschriften entziffert, mit Hilfe von Geduld, Glück, Internet und jeder Menge Zufällen Nachkommen ausfindig gemacht und Verwandtschaftsverhältnisse aufgedeckt (ja, Rabbiner Carlebach hatte tatsächlich 12 Kinder). Am Ende waren erstmals die Biografien von allen 45 jüdischen Militärgeistlichen – 30 Feldrabbinern und 15 Feldhilfsrabbinern – nachgezeichnet. Ergänzt werden sie im Buch um Selbstzeugnisse der Geistlichen in Form von Briefen, Berichten, Protokollen... Da geht es um schlechtsitzende Uniformen genauso wie um die Seelsorge für russische Gefangene im Westen oder die Schwierigkeiten bei Beerdigungen in Massengräbern oder um für uns heute befremdlich oder pathetisch klingende Ansichten über den Krieg…
Der Verband der deutschen Juden kümmerte sich auch um das Habit der Rabbiner, analog zu christlichen Feldgeistlichen sollten sie einen feldgrauen Rock mit lila Besatz, Reithose, Gamaschen, Schnürstiefel, Südwester, Armbinde usw. erhalten und einen Davidstern an der Kette tragen.
Über die jüdische Militärseelsorge, die sich ab 1914 parallel zur christlichen entwickelte (Vorläufer gab es allerdings schon im deutsch-französischen Krieg 1870/71), war bislang wenig bekannt. Zu den 13,3 Millionen Soldaten, die Wilhelm II. in den Krieg schickte, gehörten auch ca. 96 000 deutsche Juden. 81 Rabbiner, wesentlich mehr als gebraucht wurden, erklärten auf eine Umfrage des Verbandes der deutschen Juden hin sofort nach Kriegsbeginn ihre Bereitschaft als Feldseelsorger zu wirken. Als erste traten sieben Rabbiner im September 1914 ihr Amt an, unter anderem Leo Baeck (seine Erlebnisse wurden auch regelmäßig im »Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin« abgedruckt). Ab 1915 hielten die Geistlichen im Osten wie im Westen auch regelmäßige Konferenzen ab, deren Protokolle zum großen Teil erhalten und wertvolle Quellen sind, genau wie die Berichte, die jeder von ihnen an den Verband der deutschen Juden schickte.
Dort legen sie Rechenschaft über ihre Tätigkeit ab – das kann das Abhalten von Gottesdiensten und Vorträgen sein, eine Beerdigung, die Verwundeten- und Hinterbliebenenbetreuung oder die Versorgung mit Lesestoff und sogenannten Liebesgaben, sprich: Tabak, Schokolade und Alkohol. Ob die Aussagen immer wörtlich zu nehmen sind, sei dahingestellt, zum Beispiel, wenn Rabbiner Aron Tänzer schreibt: »Ergreifend ist die Freude (,) die sich wiederholt zu Weinkrämpfen steigerte, mit der die Soldaten den Besuch des Rabbiners aufnahmen...«.
Es geht aber auch darum, wo Gottesdienste abgehalten werden, damit auch »orthodoxe Kameraden« daran teilnehmen können, um die »sexuelle Frage« (»Es soll den Soldaten klar gemacht werden, welcher Grad von Tapferkeit gerade in der Selbstbeherrschung liegt...«, sagt das Protokoll der Feldrabbinerkonfernenz in Lille am 26.5.1915), um einen Besuch des Kaisers oder aber um Hilfsaktionen für die notleidende jüdische Bevölkerung vor Ort, die Schaffung von jüdischen Ausbildungsstätten oder um Suppenküchen. Letztere standen – wie der von jüdischen Logen gespendete Lazarettzug – allen Konfessionen zur Verfügung. Oft stießen die Geistlichen dabei aber auch an Grenzen. Feldrabbiner Sali Levi berichtete beispielsweise über die ausweglose Situation in Wilna, wo jüdische Flüchtlinge, Waisenkinder und Insassen von Altersheimen infolge der Kriegshandlungen vom Hungertod bedroht waren und alle Hilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein schien.
Diskutiert wurden immer wieder auch inhaltliche Fragen. So schreibt Leo Baeck im Zusammenhang mit dem Neudruck eines Gebetbuches an den Verband: »Das Kaisergebet gehört in das Feldgebetbuch nicht hinein, da dies ein Andachtsbuch für den Soldaten, aber nicht eine Liturgie für den Rabbiner ist… Die Neigung (...) von dem Kaisergebete einen etwas extensiven Gebrauch zu machen, verdient keine Nachahmung, schon wegen des ungünstigen Eindrucks einer markierten Absichtlichkeit (sic!)«. Auch die Nationalhymne gehöre nicht in das Gebetbuch, schreibt Baeck, »weil es vorauszusetzen ist, daß jeder Soldat sie auswendig kennt«, und: »Eine aus dem Buch abgesungene Nationalhymne ist keine Nationalhymne mehr.«
Rabbiner Paul Lazarus hatte auf dem Balkan andere Sorgen. Er berichtet über die Pessachvorbereitungen an der mazedonischen Front und davon, dass er »wohl oder übel ein türkisches Kaffeehaus für einen ungeheuer teuren Preis mieten« musste und »die Verhandlungen mit der jüdischen Kochfrau, der einzigen in ganz Üsküb« vier Stunden dauerten, »ehe sie sich bereit erklärte, für den selben Preis wie im vergangenen Jahr zu kochen«. Dafür sei der Sederabend sehr schön gewesen und unter den »350–400 Mann« seien auch Kameraden aus Österreich und Ungarn gewesen, die keinen eigenen Feldrabbiner hatten.
Nach der infamen Judenzählung vom November 1916 mussten sich die Geistlichen mit dem zunehmenden Antisemitismus in der Truppe und der Auswirkungen auf die jüdischen Soldaten, die begeistert für Volk und Vaterland in den Krieg gezogen waren, befassen. Hatte nicht Wilhelm II. noch am 1. August 1914 verkündet, er kenne »keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr«, und alle wären »nur noch deutsche Brüder«? Diese deutschen Brüder jüdischen Glaubens wurden nun von der Militärführung als »Drückeberger« hingestellt, von anderen Soldaten gedemütigt und verbitterten, wie die Rabbiner an den Verband berichteten. Dies trotz aller Gefallenen, Auszeichnungen und »Eisernen Kreuze«, die sie in ihren Berichten aufzählten, und selbst wenn einzelne christliche Soldaten oder Offiziere die Stigmatisierung ebenfalls beschämend fanden. Trotz aller Loyalität und der Bereitschaft, ihr Leben zu geben, blieb den jüdischen Soldaten die gesellschaftliche Anerkennung und Gleichstellung versagt. Viele von ihnen, auch fünf der ehemaligen Seelsorger, wurden ein Vierteljahrhundert später von ihren einstigen Kameraden aus den Schützengräben ermordet.
Judith Kessler
_ Sabine Hank, Hermann Simon, Uwe Hank: Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges. Hentrich & Hentrich 2013, 624 S., 170 Abb, 48,-
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