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»Vaterjuden« im Visier
01.Februar 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Religion
Orthodoxie bietet »Giur-Kurs« für Kinder jüdischer Väter an
Das Problem ist nicht neu in den jüdischen Gemeinden: Erwachsene, die nur einen jüdischen Vater haben, können nicht Mitglied werden. Denn nach der Halacha gilt nur als Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Nun will die orthodoxe Rabbinerkonferenz (ORD) so genannten »Vaterjuden« den Weg ins Judentum mit einem neuen Angebot ebnen: Nach dem derzeitigen Stand der Planungen soll in Kürze ein bundesweiter Kurs für Kinder jüdischer Väter beginnen, die zum Judentum übertreten möchten. Für die Dauer von 15 Monaten sollen sich 35 junge Leute im Alter von 18 bis 35 Jahren zu regelmäßigen Wochenendseminaren treffen, um sich auf ihren Übertritt vorzubereiten. Avichai Apel, Rabbiner in Dortmund und Vorstandsmitglied der ORD, erklärt die Hintergründe des Pilotprojekts: »Es gibt schon seit Jahren mehrere Menschen, die zu uns gekommen sind und gesagt haben, wir sind als Kinder eines jüdischen Vaters geboren, wir identifizieren uns mit unserem Vater, mit seiner Religion, und möchten das auch im Leben bewahren.«
Der Giur-Kurs, betont Rabbiner Apel, soll nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch alltägliches Judentum: mit gemeinsamem Essen, Schabbatliedern und einer Reise nach Israel, bei der die Teilnehmer religiöse Familien kennenlernen. Innerhalb der Orthodoxie ist das Projekt nicht unumstritten – denn das Judentum lehnt die Mission grundsätzlich ab. Dass orthodoxe Rabbiner bei Kindern jüdischer Väter dafür werben, zum Judentum überzutreten, hat es in dieser Form in Deutschland noch nicht gegeben. Yitzhak Ehrenberg, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und ebenfalls Mitglied der ORD, verteidigt das Projekt: »Normalerweise hat das Judentum keine Mission, Leute zu motivieren, zum Judentum überzutreten«, betont Ehrenberg. In diesem Fall aber gäbe es eine »moralische Pflicht«, den Kindern jüdischer Väter, die laut Halacha als Nichtjuden gelten, zu helfen – »mehr als anderen Leuten, die überhaupt keinen jüdischen Ursprung haben«.
Die Frage ist allerdings: Warum haben die Rabbiner zwanzig Jahre gewartet, bevor sie auf Kinder jüdischer Väter zugingen? Denn das Problem wurde spätestens mit Beginn der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion bedeutsam. In Russland galt laut Pass als Jude, wer einen jüdischen Vater hatte – in den jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik aber war für die so genannten »Vaterjuden« kein Platz. Viele Zuwanderer sind dem Gemeindeleben deshalb fern geblieben. Avichai Apel erklärt: »In den ersten 20 Jahren haben sich die Gemeinden und die Rabbiner besonders mit Zuwanderern beschäftigt, die richtig jüdisch waren.« Für die Kinder jüdischer Väter hatten die Rabbiner wenig Zeit – oder, wie manche Kritiker beklagten, wenig Motivation, sich ausdrücklich zu engagieren.
Der neue Giur-Kurs ändert übrigens nichts an den strengen Regeln, die für eine orthodoxe Konversion gelten. Denn die Anmeldung eines jungen Menschen für den Kurs bedeutet längst nicht, dass sein Übertritt auch genehmigt wird. Erst muss der Teilnehmer oder die Teilnehmerin unter Beweis stellen, dass alle Regeln des jüdischen Religionsgesetzes eingehalten werden. Zehntausenden von »Vaterjuden« aus der ehemaligen Sowjetunion war dieser Weg bisher zu steinig. Da viele von ihnen ohnehin nicht religiös sind, bleiben sie lieber vor den Toren der jüdischen Gemeinschaft. Pro Jahr konvertieren nur ein paar Dutzend Menschen in Deutschland, ob nun bei den Orthodoxen oder bei den Liberalen. Massenweise Übertritte kann die ORD also nicht von ihrem neuen Kursangebot erwarten – aber vielleicht ein paar Juden mehr pro Jahr.
In der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, in der die liberalen und nichtorthodoxen Rabbiner vertreten sind, bietet man keinen Kurs an, sondern geht einen anderen Weg, um Kindern jüdischer Väter den Weg ins Judentum zu ebnen. Die langen Wartezeiten, bis ein Kandidat einen Gesprächstermin mit einem Rabbiner bekommt, werden für Kinder jüdischer Väter verkürzt. Und das Bet Din, das über den Übertritt entscheidet, bewertet bei ihnen das nötige Wissen über das Judentum »etwas zuvorkommender« als bei anderen Kandidaten, sagt Henry G. Brandt, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz. Einen »Giur light« gibt es allerdings auch hier nicht, wie Gesa Ederberg, Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, betont: »Es geht nicht darum, den Übertritt an sich einfacher zu machen. Jemand, der mit einem jüdischen Vater kommt, muss genauso viel lernen, muss regelmäßig in die Synagoge kommen und sich mit Kaschrut auseinandersetzen.«
In den Konversionskurs der Orthodoxen werden übrigens nur Kinder jüdischer Väter aufgenommen, die ledig sind oder eine jüdische Familie gründen wollen. Rabbiner Apel erklärt: »Wir fordern von jedem, der konvertieren möchte, dass die ganze Familie mitkonvertiert. Und wenn jemand gerade eine Familie mit einem nichtjüdischen Ehepartner gegründet hat, der nicht den Willen hat, ins Judentum zu konvertieren, dann kommen wir zu einem ganz anderen Problem, und das möchten wir nicht haben.« Denn das Dilemma der Kinder jüdischer Väter soll sich in der nächsten Generation nicht fortsetzen – das ist jedenfalls das Ziel der orthodoxen Rabbiner.
Ayala Goldmann
_Kontakt zur Orthodoxen Rabbinerkonferenz bekommen Sie unter www.ordonline.de und zur Allgemeinen Rabbinerkonferenz unter www.a-r-k.de
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