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»Und dann ist man ja geblieben«

01.April 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

»Herr Klee und Herr Feld«

Michel Bergmann erzählt in seinen im Abstand von einem Jahr erschienen drei Romanen »Die Teilacher«, »Machloikes« und »Herr Klee und Herr Feld« die Geschichte jüdischer Existenz im Deutschland nach 1945 aus einer lupenscharfen Mikroperspektive. Die Trilogie beginnt mit dem Besuch des jungen Schauspielers Alfred Kleefeld im jüdischen Altersheim in Frankfurt (»am Arsch der Welt«), wo er das Zimmer seines grad verstorbenen Nenn- und Lieblingsonkels David Bermann ausräumen soll, und sie endet 40 Jahre später mit Alfreds eigenem Tod. Dazwischen liegt – verschachtelt in mehreren Handlungssträngen – ein Universum an exemplarischen Lebensgeschichten.

Während Alfred im ersten Band Onkel Davids Nachlass sortiert (und dabei eine schockierende Entdeckung macht), erinnert er sich anhand der Fundstücke – Bilder, Briefe, Dokumente – an die Geschichte Davids, der unter anderem der Liebhaber seiner Mutter war, die sich und ihre beiden Söhne Moritz und Alfred in die USA hatte retten können, während ihr Mann ermordet wurde.

David Bermann, der lebenskluge »Teilacher« (jiddisch/berlinerisch: Einzelhandelsvertreter) und seine Freunde waren entwurzelte Menschen, die oft als Einzige ihrer Familie überlebt haben und entweder aus einem Lager oder vom Todesmarsch oder aus Shanghai in ihre Heimatstadt zurückgekehrt waren, oder womöglich gerade dem ersten Nachkriegspogrom in Polen entkommen, auf dem Weg von Nirgends nach Nirgends hier gestrandet waren, in einem DP-Lager. Bergmann erzählt die Geschichten dieser Fajinbrots und Szoros’, Holzmanns und Verständigs, Krautbergs und Fränkels – die statt Arzt oder Anwalt geworden zu sein, unter protekzje der Amerikaner nun Weißwäsche verkauften und alle im wahrsten Sinne »displaced persons« waren.

Es geht um Lebensmittelbezugsscheine, Gemeinschaftsküchen, Baracken und wieder Zäune (»um die Juden vor den Deutschen zu schützen«) und im zweite Band »Machloikes« (jiddisch: Ärger, Zwiespalt, Zwist) auch darum, warum man geblieben war. »Man hat kennengelernt a Frau. Hat bekommen Kinder. Wie das so ist. Und dann ist man ja geblieben«. Und dann hat man mit dem Spagat und den vermeintlich gepackten Koffern leben müssen: »Man hatte ja schon das Ticket ins Glück. Nur die Abreise hat sich verzögert. Aber wehe, die Tochter verliebt sich in einen Deutschen! Na, dann ist das Geschrei groß.«

»Und dann ist man ja geblieben«

Doch inzwischen war man im Jahr des »Wunders von Bern« angekommen. Für die Deutschen ging es bergauf und auch die Teilacher hatten sich irgendwie eingerichtet in ihrer Parallelwelt zwischen all den Mitläufern und Wegguckern. Sie verscherbelten den Deutschen weiter Wäschepakete an der Tür oder eröffneten Teppichläden (und verkauften nach der Krönung von Königin Elizabeth das Modell »Buckingham-Palast« wie geschnitten Brot). Alfred, inzwischen 15, sparte auf ein Rennrad (»Doniselli«, mit Acht-Gang-Schaltung und Brooks-Sattel) und verliebte sich in Juliette und anschließend in Carla. Aus der Wurlitzer dudelten Schlager, man wusch mit Persil, fuhr DKW – nur nicht Alfred, der fuhr auf Machane nach Wembach und sollte zionistische Lieder lernen und die Theatergruppe in der Jüdischen Gemeinde leiten, während sein Bruder bereits studierte. Im Arbeiter- und Bauernstaat nebenan ging man auf die Barrikade (»Oj, Kelbassa, is er a schmock! Er weiß vom Sozialismus wie a Hahn vom Eierlegen«), und im Westen liefen die Wiedergutmachungsdebatten und wurde Onkel Davids Freund Robert Fränkel, vor dem Krieg ein bekannter Conferencier in Berliner Varietés, von der CIA vorgeladen, weil die ihn verdächtigte, mit den Nazis kollaboriert zu haben...

Michel Bergmann ist Regisseur und Drehbuchautor und jongliert routiniert mit Plots und Pointen. Bei all den grausamen Details, die er zu erzählen hat, gelingt ihm eine selbstironische Lakonie und Leichtigkeit, die Lesespaß bereitet. Und er kennt seinen Stoff bis ins Detail. Kein Wunder, das Umfeld, in dem seine Romane spielen, ist das Umfeld, in dem er aufgewachsen ist. Bergmann ist als Kind jüdischer Eltern 1945 in einem Schweizer Internierungslager geboren und zwischen Menschen, wie er sie beschreibt, groß geworden. Sein Jiddisch wirkt so authentisch wie die große Sympathie zu seinen Figuren. Wenn Bergmann über die Kinder seiner Generation schreibt: »Waren sie aus dem Massengrab entkommen, so wuchsen sie doch am Rande eines solchen auf«, liegt darin zugleich einer der Gründe für Befindlichkeiten und Reaktionen jüdisch-deutscher Erwachsener heute.

Und im Heute sind auch die Brüder Alfred und Moritz, inzwischen 75 und 78 Jahre alt, im gerade erschienenen Abschluss der Triologie »Herr Klee und Herr Feld«  angekommen – bei iPhone und iPad, bei Finanzkrise, Hurrican Sandy und selbstgefälligen Studenten mit »Pali-Lumpen« um den Hals, die sich auf der richtigen Seite der Geschichte fühlen. Die Brüder wohnen nun zusammen, nachdem sich Alfred (Künstlername »Freddy Clay«) einen Namen als Mumie in Horrorfilmen und sein Bruder als Psychologieprofessor gemacht hatte. Ihr Zusammenleben gestaltet sich allerdings reichlich nervenaufreibend. Professor Moritz, der ehemalige Linke mit Herzinfarkt, kocht zur Entspannung Marmelade, führt einen »Koscher-light«-Haushalt, schleppt sein eigenes Geschirr mit ins Restaurant und geht seinem Laissez-faire-Bruder mit seinen Ticks gewaltig auf den Geist. Hypochonder sind beide, und eines Tages hat auch die langjährige Hausdame die Nase voll und kündigt. Unter den Bewerberinnen, die sich auf die Stellenanzeige melden, wird eine junge glutäugige Schönheit ausgesucht. Die Sache hat nur einen Haken: die gute Zamira ist aus Hebron und Palästinenserin.

Der Argwohn der beiden – eine arabische Mata Hari,  eine Bombenbastlerin? – weicht jedoch schnell, denn Zamira zeigt Verständnis für all die Macken der Herren Klee und Feld, bekocht die beiden alten Zausel mit Lokschensuppe, während die sich weiter kabbeln und jeder auf seine Weise um die schöne Zamira herumschwänzeln.

Zwischen den Rückblenden – Alfred als Pizza-Ausfahrer in den 50ern (es ist die Zeit von Bols Grün und Dave Brubeck), seine Schauspielkarriere  in Rom, der Suizid der Mutter – ist  nun Zeit für einen Ritt durch die Verschränkungen der arabischen und jüdischen Geschichte im Nahen Osten, denn weder Zamira noch Alfred und Moritz schlucken alles, was die Gegenseite an »Tatsachen« und Vorwürfen parat hat. Und während Zamira »die Juden« mit anderen Augen zu sehen beginnt, sagt nun Moritz über Alfred: »Er leidet immer wie ein Hund, wenn Israel sich schlecht benimmt«. Und auch der Hausarzt der beiden weiß Zamiras Wirkung auf die Herrn Klee und Herr Feld zu schätzen: »Wenn Sie nicht da sind, sind die beiden noch unerträglicher«.

Als Zamira sich dann bei einem Besuch im fernen Beirut verliebt, jammert Alfred wie die sprichwörtliche jiddische Mame: »Aber warum muss es ein Araber sein? Hätte sie nicht hier einen netten jüdischen Arzt kennenlernen können?«

Keiner kann aus seiner Haut. Auch am Ende seines Lebens ist a jid a jid. Bergmann lässt Alfred in sein Tagebuch schreiben: »Ich bin und bleibe Jude. Ich habe eine Judennase. Ich spreche mit jüdischem Tonfall, den ich geschickt unterdrücke. Mir fehlt es an Kultur, aber ich verdecke das durch zu viel Kultur. Ich bin rückwärts gewandt, aber ich mache auf modern und progressiv. Ich bin gläubig, aber tarne mich als Atheist. Ich bin Kapitalist, aber ich mache auf Sozialist. Ich entspreche dem Bild, das die Welt von Juden hat.«

Und wir hoffen, dass Michel Bergmann bald einen neuen Roman beginnt, am besten eine Trilogie.

Judith Kessler

 

Michel Bergmann: Herr Klee und Herr Feld. Arche Literaturverlag 2013, 400 Seiten, 19,95 Euro

Der Autor liest am 8. April um 19.30 Uhr im Jüdischen Museum aus dem Roman.