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»Und dann: Feld P – in Weißensee, in Weißensee«

04.April 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Medien, Kultur

Britta Wauers wunderbarer Film über den jüdischen Friedhof Weißensee wurde mit dem Berlinale-Publikumspreis ausgezeichnet

Ein Film über einen jüdischen Friedhof? Die Grimme-Preisträgerin Britta Wauer war zunächst skeptisch, als der ehemalige Fernsehdirektor des RBB ihr vorschlug, eine Dokumentation über den Friedhof in Weißensee zu drehen. »Man muss die Geschichten erzählen, die man nicht sehen kann, wenn man spaziert – also die Geschichten hinter den Grabsteinen oder eben auch die Geschichte, die der Friedhof selbst erlebt hat«, sagt die Regisseurin. Aber wie? Es war zunächst mühsam, Zeitzeugen aufzutreiben – die junge Regisseurin fand sie schließlich in aller Welt über Annoncen in der Zeitung des Senats, die an ehemalige Berliner versendet wird. Und einfach, erinnert sich Wauer lächelnd, sei es auch nicht gewesen, manch einen der Angestellten der Gemeinde zum Reden zu bringen.

Doch Weißensee, der flächengrößte erhaltene jüdische Friedhof Europas mit 115 000 Grabstellen, ist nicht irgendein Gräberfeld – und Britta Wauer, 36 Jahre jung, versteht ihr Handwerk perfekt. Gemeinsam mit einem Team junger Frauen schaffte sie es schließlich doch, die Männer im Umkreis der Herbert-Baum-Straße zu Interviews zu bewegen. Fast alle, die in alltäglicher Weise mit dem 1880 angelegten Friedhof zu tun haben (oder hatten), kommen in ihrem Film »Im Himmel, unter der Erde – der jüdische Friedhof Weißensee« zu Wort: Der Friedhofsinspektor der Jüdischen Gemeinde, Ron Kohls, Hermann Simon vom Centrum Judaicum, aber auch das Gemeindemitglied Ronnie Golz, ein Polizist, zwei Greifvogelbeobachter und eine Berliner Familie, die mit einem Kleinkind auf dem Gelände des Friedhofs lebt und dort »ein Leben fast wie im Wald« führt, mit Vogelgesang am Tag und Fuchsgeheul in der Nacht.

Dass Wauers Film bei der Berlinale 2011 mit dem Panorama-Publikumspreis für den Bereich Dokumentation ausgezeichnet wurde, ist kein Wunder: »Im Himmel, unter der Erde« erzählt mehr vom Leben als vom Tod – und das gekonnt. Besonders ergreifend ist ein Interview mit einem über 80-Jährigen, der als Sohn eines auf dem Friedhof angestellten Fundamentemaurers aufwuchs. Wie andere jüdische Kinder aus Berlin verbrachte er in der NS-Zeit viele Tage seiner Jugend auf dem Gräberfeld, fand dort Zuflucht vor der feindlichen Außenwelt und erlebte in Weißensee als 16-Jähriger seine erste Liebe (das junge Mädchen wurde 1942 in ein Konzentrationslager deportiert und ermordet). Britta Wauer sagt: »Ich habe eben versucht, nicht nur tragische Geschichten zu finden, sondern auch schöne, vom Verlieben oder von Kindern, die da Sportunterricht hatten auf dem Friedhof, oder Auto fahren gelernt haben. Und das soll dann die Möglichkeit geben, sich ein bisschen heiterer oder unbefangener mit dem Thema Friedhof und Tod zu befassen.« 

Das bedeutet nicht, dass die schrecklichen Kapitel des Friedhofs ausgelassen werden – wie zum Beispiel die Gräber der vielen Selbstmörder, die den Freitod der Deportation vorzogen. Auch die Geschichte während der DDR-Zeit wird ausführlich erzählt – zum Beispiel, wie Proteste aus der Jüdischen Gemeinde im damaligen West-Berlin, namentlich von Heinz Galinski, dazu beitrugen, dass die SED-Führung auf den geplanten Bau einer sechsspurigen Autobahn durch den Friedhof dann doch verzichtete.

Wauer zeigt aber auch junge Menschen: Mit der Kamera lässt sie Schüler aus Berlin-Pankow bei ihrem Spaziergang über den Friedhof begleiten. Die Gymnasiasten nutzen das Gräberfeld als Inspiration für ihren Kunst-Leistungskurs  und entwerfen im Klassenzimmer später eigene Grabinschriften am Reißbrett – ein spielerischer, kreativer Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit, der weder gezwungen noch anstößig  wirkt.

Filmszene

Filmszene

Mit »Gerdas Schweigen« hat Britta Wauer bereits die Familiengeschichte des RBB-Moderators Knut Elstermann verfilmt.  Für ihren Vordiplomsfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie namens »Heldentod – Der Tunnel und die Lüge« erhielt sie den Deutschen Fernsehpreis und für den Abschlussfilm »Die Rapoports« (zusammen mit  Sissi Hüetlin) den Grimme-Preis. Mit »Im Himmel, unter der Erde« hat sie jetzt einen Film gemacht, den man gerne wiedersehen möchte – vielleicht sogar öfter. Aufmerksame Kameraeinstellungen, originelle Archivbilder  aus der NS-Zeit, die nicht nur Nazi-Stiefel und Hakenkreuze, sondern auch unspektakulären Alltag zeigen, und nicht zuletzt die schöne Filmmusik von Karim Sebastian Elias (klezmer-angehaucht, aber nicht kitschig) lassen die 90 Minuten schnell vergehen. Ein sehr emotionales Zeitzeugen-Interview hätte Wauer weglassen können, doch ansonsten gibt es kaum etwas auszusetzen.

Geschickt auch das Einsprechen eines kleinen Gedichts von Kurt Tucholsky: Am Anfang und am Ende zitiert Britta Wauer aus »In Weißensee«, das 1925 entstand. Heiter und nur ein kleines bisschen makaber spricht der kleine Text vom Tod:

»Da, wo ich oft gewesen bin,
zwecks Trauerei,
da bringt man dich und mich dann hin,
wenns mal vorbei.
Du liebst. Du reist. Du freust dich, du – Feld U –
Es wartet in absentia – Feld A.
Es tickt die Uhr. Dein Grab hat Zeit,
drei Meter lang, ein Meter breit.
Du siehst noch drei, vier fremde Städte,
du siehst noch eine nackte Grete,
noch zwanzig-, dreißigmal den Schnee –
Und dann: Feld P – in Weißensee, in Weißensee.«

Ayala Goldmann

Kinostart: 7. April

_»Im Himmel, unter der Erde« Dokumentarfilm, Deutschland 2011, 90 Minuten, Regie: Britta Wauer, Kamera: Kaspar Köpke

mit Rabbiner William Wolff, Harry Kindermann, Ron Kohls, Gabriella Naidu, Reinhard Männe, Familie Pobbig-Schulz, Hermann Simon, Alfred Etzold, Benny Epstein, Daniel Hakerem, Ronnie Golz, Michaela Panske, Gesine Sturm, Lev Tabachnik