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Ultimatives »Amen!«
24.August 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Medien, Kultur
Radu Mihaileanu ist die osteuropäische Antwort auf die Coen-Brüder. Sein neuer Film, "Das Konzert", in Frankreich ein Kassenschlager und zweifacher »César«-Träger, läuft nun in deutschen Kinos
Andrej Filipow, einst gefeierter Dirigent des Moskauer Bolschoj-Theaters, ist vor 30 Jahren, in der Breschnew-Ära, in Ungnade gefallen, weil er sich geweigert hat, jüdische »Volksfeinde« aus seinem Ensemble zu entfernen. Nun fristet er sein Leben als Hausmeister im Bolschoj. Da fällt ihm eines Tages beim Putzen im Büro des Direktors ein gerade eintreffendes Fax in die Hände. Der Direktor des Pariser »Theatre du Châtelet« sucht dringend Ersatz für ein verhindertes amerikanisches Orchester. Andrej kommt wie ein Blitz die Idee, sein altes Ensemble wieder auferstehen zu lassen und es in Paris für das echte Bolschoj-Orchester auszugeben. Er lässt das Fax mitgehen…
Die Filme von Radu Mihaileanu kann man nur lieben oder hassen. »Geht so« geht nicht. Wie schon sein »Zug des Lebens« und »Geh und lebe« ist auch »Das Konzert« ein ständiges Wechselbad, anrührend, komisch, dramatisch und sehr jüdisch. Wieder geht es um »Notlügen«, die zur Befreiung führen, um Menschen, die mit Humor der Tragödie entfliehen, die nur dank ihrer Improvisationsfähigkeit und ihrer Einfälle überleben. Mihaileanu ist die osteuropäische Antwort auf die Coen-Brüder, nur politischer. Es geht bei allem Witz um verlorene Ideale, um die Angst totalitärer Machthaber vor der Intelligenzja und die Traumata, die sie bei Vielen – wie eben bei Andrej und seinem Orchester – hinterlassen haben.
Mit seinem besten Freund Sascha Grossman, früher am Cello, jetzt am Lenkrad einer Ambulanz, sammelt Andrej seine renitente alte Truppe zusammen. Stoff genug, um alle Klischees über Juden, Russen, Georgier, Sinti, Roma und Kommunisten zu bedienen (und wunderbare Schauspieler einzusetzen). Einer spielt Klarinette als Hintergrundmusik für Pornos, einer verkauft Melonen auf dem Markt, einer fährt Taxi, eine bewacht Dinosaurier im Museum, und der gläubige Viktor ist Rentner, lässt sich aber mit einem »In Paris gibt es mehr Synagogen als Kirchen« und »in Notre Dame beten sie drinnen und sagen draußen Kaddisch« bequatschen.
Obwohl der an der Entlassung des Ensembles beteiligt war, will Andrej auch Iwan Gawrilow, den linientreuen einstigen Manager des Bolschoj dabei haben, weil er ein genialer Organisator ist und Französisch kann. Der sitzt hinter seinem Schreibtisch, hinter einer ganzen Lenin-Batterie im Matrjoschka-Format und lässt sein Handy die »Internationale« dudeln. Aber er beisst an. Und zeigt es den Franzosen. Von einem Uralt-Telefon im muffigen Bolschoj-Keller aus verhandelt er mit dem Herrn Direktor in Paris, der in einem perfekten, schneeweißen Büro vor teuren Bildern sitzt. Iwan verlangt ein bestimmtes Hotel, eine bestimmtes Restaurant und eine Dampferfahrt auf der Seine für 60 Mann. Und Andrej will unbedingt die junge französische Geigerin Anne-Marie Jacquet als Solistin, nur sie. Und er will Tschaikowskis Konzert für Violine und Orchester in D-Dur spielen lassen, und nur das – das selbe Stück, das bei seinem Rauswurf auf dem Programm stand.
Szenenfoto aus "Das Konzert": Sascha (Dimitri Nazarow), Iwan (Valeri Barinov), Andrej (Alexej Guskow) und seine Frau Irina (Anna Kamenkowa Pawlowa) warten auf den Bus nach Paris.
Nach einigem Hin und Her gehen die Franzosen auf all diese Forderungen ein, schließlich kommt sie das legendäre Orchester immer noch billiger als die ursprünglich vorgesehenen Amerikaner. (Dass man in dem Wunschrestaurant, früher Stammlokal der KP-Zentrale und längst in arabischem Besitz, einfach für den einen Abend das alte Namensschild aufgehängt hat, merkt Iwan erst vor Ort, als sich eine Bauchtänzerin vor ihm windet.)
Radu Mihaileanu, als Kind jüdischer Eltern im kommunistischen Rumänien aufgewachsen, kennt sich aus in beiden Welten und er hat ein feines Gespür und eine genaue Beobachtungsgabe, die sich in unzähligen kleinen Details spiegelt. Er karikiert die »rrrussische Seeläh« und den genauso komischen wie tragischen Postkommunismus á la russe – die allsonntägliche Protestdemo der »Alten Garde« (für die Andrejs Frau die nötigen Statisten vermietet) und arme Schlucker, die kaum ein Kilo Kartoffeln kaufen können. Neureiche, die sich Gladiatorenkämpfe inklusive Pferd und strassbesetzte Blondinen kommen lassen oder sich in der Limousine in den Festsaal chauffieren lassen, schrankbreite Bodyguards und misslaunige Mafia-Bosse. Eine Stimmung wie in »12 Uhr mittags«, aber am Ende gelingt es Iwan, einen musikliebenden Großkopfeten gegen das Versprechen, dass er mit auftreten darf, als Geldgeber zu gewinnen (denn Paris will die Reisekosten nicht vorstrecken). Der Vertrag wird unter dem Sirren von Pistolenkugeln und »Kalinka«-Klängen besiegelt. Die Musiker sind glücklich, der Oligarch ist glücklich: »Siehst du, Mama, der Cello-Unterricht hat sich gelohnt«. Aber das »russische Mütterchen«, das da unterm Kronleuchter in der guten Stube zwischen lauter Scheußlichkeiten (»Kunst«) thront, meint: »Quatsch, kauf lieber einen Fußballklub!«.
Die Reise jedenfalls kann losgehen. Die Truppe steht mit Koffern bepackt wie beim Exodus der Juden in den 70ern auf dem Roten Platz. Nur der Bus kommt nicht. Am Ende sieht man die Karawane eine Ausfallstraße Richtung Scheremetjewo entlangziehen. Dort wartet schon die bunte Zigeunertruppe mit Klebestift und selbst gemachten Stempeln, um die fehlenden Pässe und Visa zurechtzufälschen, unter den Augen der (befriedeten) Polizei.
In der »zivilisierten« – von Mihaileanu als fein und elegant inszenierten – Welt angekommen, wirkt die Truppe aus dem Osten noch schriller, mit ihren rentner-farbenen Blousons, antiquierten Schiebermützen und Streifen-Shirts. Die wilde, angesoffene, kreischende Slawenhorde quillt aus dem Flughafen, verlangt sofort und in bar die Auszahlung der Gage und verschwindet mit vielen kleinen Schnapsfläschchen aus der Minibar ihrer Hotelzimmer in die Pariser Nacht wie ein unkontrollierbarer Bienenschwarm… Fast die ganze Chaotentruppe ist in »Geschäften« unterwegs. Der alte Jid klappert mit seinem Sohn (35, unverheiratet) die Restaurants ab und versucht, die mitgebrachten Kaviardosen zu verticken. Bei der Probe erscheinen nur vier Mann. Der Direktor tobt angesichts der Anarchie: »Sind Sie eine Quartett oder ein Orchester?« Kleinlaut-schlagfertig die Antwort: »Proben töten die Spontanität«.
Doch dann wendet sich das Blatt und der Film. Der zweite, gedämpft ruhige Erzählstrang dreht sich um Anne-Marie, die sensible junge Geigerin, und um den depressiven Selbstzweifler Andrej, der auf der Suche nach der »ultimativen Harmonie« ist und sich mit Schuldgefühlen plagt. Gegenüber Anne-Marie, die nicht weiß, wer ihre Eltern sind. Hier kommt die Kunst, die Musik ins Spiel, mit deren Hilfe das Geheimnis gelüftet wird, und die allen – Slawen wie Franzosen – Flügel verleiht. Großartig dabei die Musik von Armand Amar, die als Motor der Geschichte mit sozialistischem Marsch-Realismus, Gypsymusik und russischer Folklore spielt und dem es gelingt, Tschaikowskis Violin-Konzert auf die Hälfte zu kürzen, ohne es zu kastrieren. Wie Mihaileanu diese zwölf Minuten an das Ende des Films setzt, ohne dass eine öde 3Sat-Konzertaufzeichnung daraus wird, sondern ein Exempel für die ungeheure Macht von Musik – das ist großes Kino. Rückblenden, in denen Anne-Maries Mutter »Luftgeige« im Gulag spielt; die Gesichter der Musiker – jedes einzelne eine Offenbarung; das elektrisierte Publikum; das Augengespräch zwischen Anne-Marie und Andrej, der mit ihr und seinen Musikern nun das Konzert doch noch in Harmonie – in »ultimativer Harmonie« – vollenden kann. So, dass sogar der alte Kommunarde Iwan über seinen dunkelroten Schatten springen und der Tschaikowski hassende Kritiker eine Träne zerdrücken kann. Dem alten Viktor, der mit Kippa spielt, bleibt nach der letzten Note nur noch ein ultimatives »Amen!«.
Judith Kessler
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