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Türkischer Händler und jüdischer Wunderknabe
01.Dezember 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Menschen
Ein Büchlein über Nissim Zacouto auf Deutsch und Türkisch
Manchmal finden Historiker Geschichten und manchmal die Geschichten die Chronisten: Auf der Suche nach Geschichten für die Ausstellung »Verraten und Verkauft«, die 2008 in der Humboldt-Universität gezeigt wurde und demnächst im Leo Baeck Institut in New York zu sehen sein wird, fand uns im Brandenburgischen Landeshauptarchiv die Akte des Teppichhändlers Nissim Zacouto (1891–1987). Diese verriet schon bei der ersten Lektüre, das sie von einem außergewöhnlichen Menschen handelte. Die weiteren Recherchen brachten uns mit seinem Sohn in Kontakt, der heute 86 Jahre alt ist und in Paris lebt. Dr. Fred Zacouto, ein Mediziner von internationalem Ruf, der viel vom originellen Charme seines Vaters geerbt zu haben scheint, entwarf in zahlreichen Gesprächen mit uns ein lebendiges Porträt seines Vaters. Zahlreiche der Geschichten und Anekdoten – von Wochenenden am Wannsee bis zu seinem furchtlosen Umgang mit den Gestapo-Männern – verdanken wir den Schilderungen Fred Zacoutos.
Zacouto stammte aus einer uralten, sefardischen Familie. Ein Urahn war Abraham Zacuto, dessen Almanach Perpetuum Christoph Kolumbus begleitet hatte. Nissims Vater unterhielt eine Orientteppich- und Antiquitätenhandlung auf dem Basar von Konstantinopel. So sah Nissim, als er 1907 erstmals nach Berlin reiste, sofort, dass der Markt für Teppiche boomte und baute eine sehr angesehene Großhandlung auf, die Wertheim ebenso belieferte wie das KaDeWe. Zacouto zog mit seiner Frau Norma und Fred in eine hochherrschaftliche 7-Zimmer-Wohnung in der Paulsborner Straße 1. Er wurde Vizepräsident der Türkischen Handelskammer für Deutschland und Schatzmeister der sefardischen Gemeinde Berlins, die ihre Synagoge in der Lützowstraße 111 hatte (wo sein Sohn 1937 Bar Mizwa wurde).
Als türkischer Staatsbürger war Zacouto nach 1933 zwar anfangs vor direkten Übergriffen geschützt. Da einige Konkurrenten antisemitischen Rufmord betrieben, wurden ihm aber ab 1935 die dringend benötigten Devisen nicht mehr zugestanden. Als ihm 1938 die türkische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, entschloss sich Zacouto endgültig zur Auswanderung. Es gelang ihm, den Status eines protégé spécial français zu erlangen und 1939 mit seiner Familie nach Frankreich auszuwandern. Seine wertvollen Teppiche, die er zurücklassen musste, wurden an nicht-jüdische Konkurrenten verscherbelt.
Nach der Besetzung Frankreichs floh Zacouto aus Paris nach Nizza. Um dem Zugriff der Gestapo zu entgehen, versteckte er sich mit seiner Familie unter anderem auf einem Bauernhof in den Pyrenäen. In den 1950er Jahren überlegte Zacouto, sein Berliner Unternehmen wieder aufleben zu lassen. Da aber zahlreiche, für ihn sehr zeit- und kostenintensive Wiedergutmachungsverfahren scheiterten, blieb er in Paris, wo er erneut eine erfolgreiche Teppichhandlung aufbaute und 1987 starb.
Nissim Zacouto war ein Mensch, der oft ungewöhnliche Wege suchte, um sein Ziel zu erreichen – nicht nur in Zeiten, in denen die Geschäfte gut gingen. Auch in Zeiten wirtschaftlicher Bedrohung durch die Nationalsozialisten suchte er früh nach Wegen, seine geschäftliche Existenz zu retten; später, als auch die physische Existenz der Juden zunehmend bedroht war, verstand er es, seine Familie und sich selbst zu retten.
Manchmal finden Geschichten auch eine Verlegerin: Da dieses reiche Leben eigentlich unsere kleine Ausstellung sprengte, lag es auf der Hand, ihm ein kleines Buch zu widmen. Nachdem die »Jüdische Miniatur« dann erschienen war, regte Hermann Simon an, sie auch ins Türkische übersetzen zu lassen. Diese Übersetzung soll gerade in einer Zeit hitziger Integrationsdebatten einen Beitrag zur interkulturellen und interreligiösen Verständigung leisten und vor allem türkischstämmige Jugendliche über die faszinierende Lebensgeschichte Nissim Zacoutos mit zwei bisher noch wenig bekannten Aspekten türkisch-jüdischen Lebens vertraut machen: der Geschichte der sefardischen Gemeinde in Deutschland sowie der systematischen Entrechtung und Verfolgung türkischer Staatsbürger jüdischen Glaubens im Dritten Reich.
Der Text wurde mit freundlicher Unterstützung der Barmer GEK von Gürsel Köksal aus dem Deutschen ins Türkische übersetzt. Köksal steht dem Bund türkischer Journalisten in Europa vor, der auch die erfolgreiche Ausstellung »Vom Bosporus an die Spree. Türkische Juden in Berlin« im Centrum Judaicum Berlin sehr begrüßt hat.
Christoph Kreutzmüller und Björn Weigel
_Kreutzmüller/Weigel: Nissim Zacouto. Jüdischer Wunderknabe und türkischer Teppichgroßhändler, Hentrich & Hentrich 2010, 64 S., 5,90 (Nesim Zacouto: Mucize yahudi çocuğlu türk hali tüccari. 6,90)
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