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Tubischwat 5778

01.Januar 2018 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage

Tubischwat ist einer der Tage im jüdischen Kalender, deren Bedeutung sich im Laufe der Jahrhunderte radikal gewandelt hat. Tubischwat kommt in der Tora überhaupt nicht vor, und selbst in der Mischna, dem Grundtext der rabbinischen Literatur, der im Jahr 200 d.Z. niedergeschrieben wurde, ist noch nicht einmal klar, ob es Tubischwat überhaupt gibt. Dort heißt es: »Am ersten Tischri ist das Neujahr der Bäume, so Bet Schammai, aber Bet Hillel sagt: am fünfzehnten des Monats.« 

Und diese »fünfzehn« setzt sich im Hebräischen aus dem Zahlenwert  der Buchstaben Tet = 9 und Waw = 6 zusammen, woraus das Wort »Tu« entsteht. Wenn die Halacha also nach Schammai und nicht nach Hillel entschieden worden wäre, würde Tubischwat nicht einmal so heißen! Die Meinungsverschiedenheit lag übrigens daran, dass die Angehörigen von Bet Schammai eher die Reichen waren, die fruchtbare Böden im warmen Tal hatten, während die Angehörigen von Bet Hillel eher die Ärmeren waren, deren Bäume auf ärmeren, höher gelegenen Böden standen, wo es kälter war – und wo deshalb auch die Bäume später blühten. Deshalb war der Termin der Blüte und damit des Neujahrs der Bäume für die Anhänger von Hillel und Schammai tatsächlich verschieden. Die praktische Halacha folgt Bet Hillel – nimmt also Rücksicht auf die Bedürfnisse der Armen und Benachteiligten. 

Das »Neujahr der Bäume« war also zunächst ein Stichtag für die Steuer, mit dem festgelegt wurde, ab wann für einen Baum Steuern fällig sind. Und diese Bedeutung ging natürlich zunächst einmal verloren, als es über Jahrhunderte keine jüdischen Landwirte im Lande Israel mehr gab.

Erst im 16. Jahrhundert haben Flüchtlinge aus Spanien in Zfat, im Norden Israels, diesen Tag wiederentdeckt. Diese Kabbalisten haben einen »Seder Tubischwat« nach dem Muster des Pessach-Seders gefeiert. Vier Gläser Wein unterschiedlicher Färbung symbolisieren den Aufstieg von der materiellen zur geistigen Welt. Früchte des Landes werden diesen geistigen Stufen jeweils zugeordnet. Von Zfat aus hat sich der Brauch ausgebreitet, zu Tubischwat Früchte zu essen, die im Lande Israel gewachsen waren. Und um sie bis zu ihrer Ankunft in Sibirien oder Kalifornien haltbar zu machen, wurden sie natürlich getrocknet.

Ein weiterer Schritt war dann gegen Mitte des letzten Jahrhunderts das Pflanzen von Bäumen im Rahmen der zionistischen Aufforstung des Landes: Tubischwat ist der Tag des Bäumepflanzens, an dem der Keren Kajemet seine jährliche Kampagne beginnt. Vor dreißig Jahren begann dann noch einmal eine neue Entwiklichung, als jüdische Aktivisten der Ökologiebewegung entdeckten, dass sich das Thema Naturschutz gut in einen Tubischwat-Seder integrieren lässt.

Über diese drei Gruppen der Mystiker, der Zionisten und der Ökologen hinaus ist Tubischwat heute auch populär geworden, weil jedes Kind, das in Israel oder mit einem jüdischen Kindergarten aufgewachsen ist, voller Stolz zu Tubischwat das erste Mal ein Pflänzchen oder sogar ein echtes Bäumchen in die Erde gepflanzt hat

Tubischwat ist für mich ein wunderbares Beispiel, wie wir Juden nicht nur die überlieferten Feste feiern, in denen die Grunderfahrungen jüdischer Existenz abgebildet sind und immer wieder erinnert werden, sondern auch für neue Bedürfnisse Raum in und mit der jüdischen Tradition finden. Sie werden aber nur dann zu guten jüdischen Bräuchen, wenn sie zur Tradition passen, sie ergänzen ohne sie zu schädigen. 

Rabbinerin Gesa Ederberg

Tubischwat 5778