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Tu Bischwat 5775
01.Februar 2015 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage
Von Rabbinerin Gesa Ederberg
Auf die Idee muss man erst einmal kommen! Aus einem 2000 Jahre alten Stichtag für die Berechnung einer Steuer einen Feiertag zu machen – und den dann über die Jahrhunderte hinweg mit mindestens viererlei Bedeutungen zu füllen!
Die Rede ist von Tubischwat – einer Datumsangabe, die wir vor allem aus der Mischna kennen. Dort heißt es: »Am ersten Schwat ist das Neujahr der Bäume, so Bet Schammai, aber Bet Hillel sagt: am 15. des Monats.« (Mischna Rosch ha-Schana 1,1). Und da man im klassischen Hebräisch Zahlen auch mit Buchstaben ausdrücken kann, ist »15« hier aus dem Zahlenwert der Buchstaben Tet (=9) und Waw (=6) zusammengesetzt. Wenn also Bet Schammai recht behalten hätte, würde Tubischwat nicht einmal so heißen!
Wozu ein »Neujahr der Bäume«? Zunächst ist es einfach ein Stichtag für die Steuer, der festlegt, ab wann für einen Baum Abgaben fällig sind – und wir haben keinerlei Hinweise für weitere Bräuche, die ursprünglich mit diesem Tag verbunden waren. Und selbst diese Bedeutung ging im Lauf der Jahrhunderte des Exils verloren.
Im 16. Jahrhundert feierten die Kabbalisten in Zfat einen »Tubischwat-Seder« nach dem Muster des Pessach-Seders, der auf den zentralen kabbalistischen Begriff der »Klippot«, der Schalen, zurückgreift. Vier Gläser Wein unterschiedlicher Färbung symbolisieren den Aufstieg von der materiellen zur geistigen Welt und die Früchte des Landes Israel werden diesen geistigen Stufen zugeordnet.
Der Seder selbst zwar nicht, aber immerhin das Essen von (15!) verschiedenen Früchten hat sich dabei bald als Brauch verbreitet. Besonders gerne wurden Früchte verwendet, die tatsächlich im Lande Israel gewachsen waren. Um sie bis zu ihrer Ankunft in Sibirien oder Kalifornien haltbar zu machen, wurden sie getrocknet.
Ein weiterer Schritt war Mitte des 20. Jahrhrunderts das Pflanzen von Bäumen im Rahmen der zionistischen Aufforstung des Landes an Tubischwat, und vor etwa 30 Jahren begann dann noch einmal eine neue Entwicklung, als jüdische Ökologie-Aktivisten entdeckten, dass sich das Thema Naturschutz gut in einen TubiSchwat-Seder integrieren lässt.
Über die Mystiker, Zionisten und Ökologen hinaus ist TubiSchwat heute auch populär geworden, weil jedes Kind, das in Israel oder einem jüdischen Kindergarten aufgewachsen ist, voller Stolz zu Tubischwat das erste Mal ein Pflänzchen oder sogar ein echtes Bäumchen in die Erde gepflanzt hat.
Über Jahrhunderte hinweg hat das Judentum die Beziehung zur Natur, zur Erde, in einer ganz besonders komplizierten Weise gepflegt – die Natur, die in den heiligen Texten vorkam, war normalerweise Tausende von Kilometern entfernt, was wir ja gerade auch an Tubischwat merken: Am 15. Schwat, in diesem Jahr am 4. Februar, wenn wir das »Neujahr der Bäume« feiern, dann ist es, wenn überhaupt, der Frühlingsanfang in Israel, aber sicher nicht in Nordeuropa.
Sich bewusst zu machen, dass Nahrung keine Selbstverständlichkeit ist, sondern dass es menschlicher Arbeit und göttlicher Kraft bedarf, um Nahrung werden zu lassen, ist der Sinn des einfachsten jüdischen Gebetes, jeder Bracha, die wir vor dem Essen sprechen – und die Notwendigkeit des Nachdenkens ist schon eingebaut, wenn wir wissen müssen, ob eine Frucht nun aus der Erde oder am Baum wächst. Und wenn wir eine Bracha darüber sagen, dass die Nahrung »aus der Erde« kommt, dann ist das vielleicht ein wichtiger Schritt dahin, dass sie tatsächlich weniger »aus der Fabrik« kommt – eine gute Gelegenheit, die Werte der jüdischen Tradition in die aktuelle Diskussion um Food-Technologie und Nachhaltigkeit einzubringen.
Schon in der ersten Erwähnung von Tubischwat lässt sich außerdem noch ein soziales Element entdecken. Worauf beruht die Meinungsverschiedenheit von Bet Schammai und Bet Hillel bezüglich des Termins für das Neujahr der Bäume am ersten oder 15. Schwat? Bet Schammai waren eher die Reichen, während zu Bet Hillel eher die Ärmeren gehörten, deren Bäume auf schlechteren Böden standen. Deshalb war der Termin der Blüte und damit des Neujahrs der Bäume für die Anhänger von Hillel und Schammai tatsächlich verschieden. Die praktische Halacha folgt Bet Hillel – nimmt also Rücksicht auf die Bedürfnisse der Armen und Benachteiligten.
Tubischwat ist ein wunderbares Beispiel, wie wir Juden nicht nur die überlieferten Feste feiern, in denen die Grunderfahrungen jüdischer Existenz abgebildet sind, sondern auch für neue Bedürfnisse Raum in und mit der jüdischen Tradition finden. Sie werden aber nur dann zu guten jüdischen Bräuchen, wenn sie zur Tradition passen, sie ergänzen, ohne sie zu schädigen.
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