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»Totengräber« oder »Philosoph von Deutschland«?
01.Januar 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Religion, Gesellschaft
Moses Mendelssohn – Freunde, Feinde und Familie. Eine Ausstellung im Centrum Judaicum
Ein Jahr nach dem unerwarteten Tod Moses Mendelssohns am 4. Januar 1786 erschien in Hamburg ein erster knapper Abriss von Leben und Werk des berühmten Weisen. Verfasser war Friedrich Wilhelm von Schütz, der Jahre zuvor als eben promovierter Doktor der Jurisprudenz dem »Philosophen von Deutschland« seine Aufwartung gemacht hatte, von diesem herzlich empfangen und in seinen Freundes- und Familienkreis eingeführt worden war.
Wie Schütz war es zahlreichen Besuchern vor und nach ihm ergangen, wobei sich die Gästeliste kaum vielfältiger denken lässt: Es kamen arme Juden aus dem Osten, die von der »Haskala« und ihrem vornehmsten Vertreter in Berlin gehört hatten, namhafte Theologen, Philosophen, Naturwissenschaftler, Dichter, Musiker und Künstler, dazu Adlige und »einfache Leute«, die einen sich stets erweiternden Freundeskreis bildeten. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass kaum ein auf seine Reputation bedachter Vertreter des damaligen gelehrten Deutschland die Gelegenheit versäumte, die Bekanntschaft des jüdischen Gelehrten zu machen oder zumindest in Korrespondenz mit ihm zu stehen, wobei die Motive höchst unterschiedlich waren. Bewunderung für eine gegen alle Widerstände errungene Bildung und Verehrung des – den eigenen religiösen Prinzipien treuen wie den Ansichten anderer gegenüber respektvollen – Weisen verbanden sich mit unverhohlener Neugier und gelegentlicher Zudringlichkeit, ein bis dato unbekanntes Exemplar der Gattung Mensch zu besichtigen: den Universalgelehrten, der als orthodoxer Jude lebte und die jüdische Tradition auf die Höhe der – aufgeklärten – Zeit zu heben suchte.
Etwas pointiert könnte man das bescheidene Haus Mendelssohns in der Spandauer Straße Nr. 68, nahe dem heutigen Alexanderplatz, als bürgerlich-gelehrte, allen offen stehende Residenz bezeichnen – und damit durchaus als Gegenstück zum exklusiven Hof in Potsdam.
Dem Kreis der Sympathisanten nahe waren auch Persönlichkeiten, die Mendelssohn gegenüber eine ambivalente Einstellung einnahmen: teils zollten sie dem Menschen, der philosophische Aufklärung und religiöse Toleranz vorlebte und selbstbewusst die jüdische Tradition wahrte, Respekt. Andererseits sparten sie nicht mit scharfer, gelegentlich persönlich beleidigender Kritik an seinen Werken – so etwa der Philosoph Hamann oder der Orientalist Michaelis. Teils ergriffen sie etwa in der »Lavater-Affäre« oder dem »Spinozismus-Streit« Partei für Mendelssohn, wahrten jedoch gegenüber dem Judentum Distanz. Doch waren sich beide Fraktionen anlässlich des Todes von Mendelssohn einig in der Anerkennung seiner Persönlichkeit und der Würdigung seines Werks.
Das Bild bliebe jedoch ohne die Erwähnung seiner Widersacher unvollständig, die außerordentlich gegensätzliche Motive und Ziele hatten. Den nichtjüdischen Gegnern stand kein Geringerer als der in Potsdam residierende, agnostische Despot vor. Friedrich und mit ihm alle aufgeklärten Judenfeinde waren ebensowenig von Mendelssohns Persönlichkeit oder seinem Werk beeindruckt, wie sie persönlich etwas gegen ihn einzuwenden hatten – außer, dass er Jude war und als solcher gleichberechtigter Bürger zu werden wünschte. Ihre Aversion speiste sich aus sublimierter christlicher Judenfeindschaft und aufgeklärter Arroganz hinsichtlich archaischer Gebräuche und der Wahrung einer behaupteten »Nation«. Ihre Feindschaft war unbedingt, endgültig und allgemein: Sie mochten einfach keine Juden, weder orthodoxe noch akademisch gebildete und assimilierte, und keinesfalls Konvertiten. Im Interesse eines »modernen« Gemeinwesens lag ihnen daran, Juden, da sie nun einmal da waren, in einem zeitgemäßen Ghetto existieren zu lassen, ihre beruflichen Möglichkeiten zu beschränken und möglichst hohen Nutzen daraus zu ziehen. In diesem Sinne verhinderte Friedrich nicht nur Mendelssohns Aufnahme in die Akademie, sondern es entstanden zahlreiche Denkschriften, die, auch ohne konkret auf ihn, die Berliner Gelehrten Bloch und Herz oder die Königsberger »Maskilim« (Aufklärer) einzugehen, allen Bestrebungen nach bürgerlicher Gleichberechtigung der Juden eine Absage erteilten – und übrigens mit Verachtung auf pöbelhaft-antisemitische Pamphlete reagierten, die von Angehörigen niederer Stände gegen Mendelssohn gerichtet wurden. Das war nicht ihr Programm.
Unbeachtet vom nichtjüdischen Publikum blieb die Gegnerschaft der orthodoxen Judenheit. Bei deren Wortführern handelte es sich nicht um ungebildete Rabbinen, sondern die führenden Gelehrten der Zeit in Prag, Wilna und Pressburg, die durchaus anerkannten, dass Mendelssohn ein orthodoxer, ein gesetzestreuer, Jude war, aber befürchteten, dass die Tür, die er aufstieß (wie seine Bibelübersetzung ins Deutsche und die Aufforderung, Deutsch zu lernen) in eine Sackgasse führte. Prominentestes Beispiel ist wohl der Chatam Sofer, der 1837 ein Testament hinterließ, in dem er gewissermaßen den Umgang mit Mendelssohn noch posthum regelte: Man soll nichts von ihm lesen, nichts mit Aufklärern zu tun haben, sich nicht in weltliche Dinge einmischen, wie Mendelssohn es getan hatte. Die jüdischen Gelehrten dieser »Fraktion« standen überwiegend »auf der Höhe der Zeit« und verbanden weltliches Wissen mit halachischer Gelehrsamkeit. Eben deshalb registrierten sie mit Unbehagen Versuche, die jüdische Tradition zeitgemäß zu wenden. Sie zogen damit die Konsequenz aus der jüngsten Geschichte der europäischen Judenheit und setzten alles daran, deren beschädigte Einheit wieder herzustellen. In der an dramatischen Ereignissen reichen Geschichte des jüdischen Volkes war das 17. Jahrhundert besonders tragisch: Noch waren die Massaker in Weißrussland und der Ukraine in Erinnerung. Keineswegs beendet war die bis in den Nahen Osten reichende Bewegung um den falschen Messias Sabbatai Zwi, der ungeachtet seiner Konversion zum Islam und nach seinem Tod Anhänger besaß. Unvergessen auch der Konflikt in der Gemeinde zu Amsterdam: die Verhängung des Banns über einen gewissen Baruch Spinoza und seine Schriften. Auch die in Osteuropa um sich greifende mystische Bewegung der Chassidim galt den Hütern der Halacha als weiterer Versuch, Breschen in die schützende Mauer um das Judentum zu schlagen. Hinter der einen wie der anderen »Neuerung« sahen sie – nicht ganz zu Unrecht, wie sich zeigen sollte – den Weg in den Atheismus oder den Gang zum Taufbecken.
Den einen »Stolz und Zierde der Stadt«, den anderen Totengräber der jüdischen Tradition, stand Moses Mendelssohn – ganz gegen seinen Willen – im Zentrum der Kontroversen seiner Zeit. Die Ausstellung beleuchtet diese Entwicklungen und die faszinierende Persönlichkeit des Aufklärers, stellt Bewunderer aus Bürgertum und Adel vor, aber erstmals eben auch seine ganz gegensätzlichen jüdischen Kritiker.
Eva-Maria Thimme
_Die Autorin ist Historikerin/Judaistin und Kuratorin der Ausstellung »Moses Mendelssohn: Freunde, Feinde und Familie« – bis 7. 4. 2013 im Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 29.
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