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Symbol des Neuanfangs
01.September 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Ausstellung
Eine Ausstellung zum 50. Jubiläum des Jüdischen Gemeindehauses in der Fasanenstraße
»Möge der Bau bis in die fernsten Zeiten seiner hohen Bestimmung dienen«, schloss der Text der Grundsteinurkunde für die Synagoge in der Fasanenstraße, die im August 1912 eingeweiht worden war. Doch nur 26 Jahre später wurde sie am 9. November 1938 niedergebrannt und stand weitere 19 Jahre als Ruine in unmittelbarer Nähe des Kurfürstendamms.
Heinz Galinski, legendärer Gründervater der Westberliner Nachkriegsgemeinde, entschied sich – auch vor dem Hintergrund der Gemeindeteilung 1953, wodurch die traditionellen Gebäude der Gemeindeverwaltung in der Oranienburger Straße nun im Ostsektor der Stadt lagen – für einen Neuanfang. Die Ruine wurde abgetragen und der elegante Zweckbau an seiner Stelle nicht mehr als Synagoge, sondern als jüdisches Kulturzentrum errichtet, wo die Verwendung des Mehrzwecksaals im ersten Stock als Betraum nur noch eine unter vielen Nutzungsmöglichkeiten war: ein klassisches Stück 50er-Jahre-Architektur, das die neoromanisch-byzantinischen Elemente des Vorgängerbaus zitierte.
Seit einem halben Jahrhundert und damit inzwischen fast doppelt so lange in Funktion wie Ehrenfried Hessels Synagogenbau von 1912 ist das Jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße 79/80 nun der zentrale Ort für die Berliner Juden: großes politisches Parkett und Gemeindewohnzimmer in einem. Zu den Gedenkveranstaltungen finden sich hochrangige Politiker hier ein und es mahnen Gemeinderepräsentanten vor der Wiederholung der Geschichte.
»Wir hatten aufgrund unserer Erfahrungen als Verfolgte in diesem Land ein differenzierteres Urteil als manch anderer«, blickte Heinz Galinski 1979 zum 20. Jahrestag der Eröffnung des Hauses auf seinen Auftrag in der Gründungsphase der Bundesrepublik zurück, wo noch alte Nazis an wichtigen Schaltstellen saßen. »Wir wussten sehr genau zwischen denen zu unterscheiden, die Anhänger der nationalsozialistischen Diktatur waren und denen, die sie ablehnten und bekämpften. Diese Kräfte zu ermutigen und an ihrer Stärkung mitzuwirken, betrachteten wir seit 1945 als eine Aufgabe, der wir uns nicht verschließen durften«.
Zu Familienfesten oder jüdischen Feiertagen kommen die ganz normalen Gemeindemitglieder ins Haus. Einmal im Monat tagt hier die Repräsentantenversammlung. Es gibt einen Seniorentreff, Klassenräume der Jüdischen Volkshochschule, im ersten Stock ein koscheres Restaurant, das fast fünfzig Jahre lang das einzige in der Stadt gewesen ist, sowie eine der größten jüdischen Fachbibliotheken des Landes.
Unbestrittenes Herz des Hauses ist der »Große Saal«, seit Jahrzehnten das Zentrum von Berlins jüdischem Leben: hier wird geheiratet, gefeiert, getrauert, Musik und Politik gemacht, finden Konferenzen, Gemeindeversammlungen, Bälle und kulturelle Veranstaltungen statt. Und weil die Berliner Gemeinde inzwischen zu etwa drei Vierteln aus Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion besteht, sind es immer mehr Veranstaltungen in russischer Sprache.
In den letzten Jahren ist das Gemeindehaus daher zunehmend auch Schauplatz für den Clash jüdischer Nachkriegsidentitäten geworden. So wurden beispielsweise die traditionellen Veranstaltungen zum Gedenken an die brennenden Synagogen des 9. November 1938 oder die Niederschlagung des Warschauer Ghetto-Aufstandes um eine Veranstaltung zum 9. Mai ergänzt, an dem hier nun auch jüdische Rote-Armee-Veteranen den »Tag des Sieges« über Nazideutschland feiern. Juden, die in Deutschland ihren Sieg über Hitler feiern, für die jedoch die Holocaust-Gedenkveranstaltungen nicht mehr die gleiche identitätsbildende Funktion haben wie für die deutschen Nachkriegsgemeinden, das ist ein Paradigmenwechsel, der an die Wurzeln jüdischen Selbstverständnisses nach 1945 greift.
Seit den Neunziger Jahren gilt die mit dem Davidstern gekrönte goldene Kuppel der restaurierten ehemaligen Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Mitte als Symbol des wiedererstandenen jüdischen Lebens. Doch das Gemeindehaus in der Westberliner Fasanenstraße ist das eigentliche Symbol des Neuanfangs gewesen. In die schlichte Fassade des Neubaus integrierten die Bochumer Architekten Dieter Knoblauch und Hans Heise, die sich durch ihren Entwurf der Essener Synagoge empfohlen hatten, Fassadenreste der abgetragenen Synagogenruine. Auch die drei kuppelartigen Oberlichter im Großen Saal zitieren die Architektur des neoromanisch-byzantinischen Vorgängerbaus.
Im September 1959 übergab der damalige Berliner Regierende Bürgermeister Willy Brandt das Haus an die Jüdische Gemeinde, und anfangs taten sich die Berliner Juden schwer mit ihrem neuen Gemeindehaus. Es war ihnen zu groß und zu präsent in der nichtjüdischen Öffentlichkeit, in der sie selbst als Juden nicht in Erscheinung zu treten wagten. Auch stellte das Haus ein gebautes Bekenntnis zum Bleiben dar – ein offener Widerspruch zu den sprichwörtlich gewordenen gepackten Koffern, auf denen man als Jude in Deutschland noch jahrzehntelang zu sitzen glaubte. Als Reservat, in dem man vor der deutschen Wildnis rundum Zuflucht fand, wurde das Gemeindehaus schließlich auch zum Inbegriff für die verschlossenen Türen, hinter denen jüdisches Leben in diesem Land seit 1945 stattgefunden hat.
Selbst die Gedenkstätte mit den Namen der Vernichtungs- und Konzentrationslager, an der zu den Gedenktagen die Kränze niedergelegt werden, hat sich bis vor wenigen Jahren in einem Hof innerhalb des Gebäudes befunden und wurde erst 2002 auf den Vorplatz versetzt, wo seit 1987 auch Richard Hess‘ Skulptur einer zerbrochenen Tora-Rolle im Gedenken an das untergegangene Berliner Judentum steht.
Ins Gemeindehaus zu kommen war stets wie der Eintritt in eine zweite Realität. Draußen war das eine, hier drinnen das andere Leben. Hier fühlte man sich sicher, musste nichts erklären. Hier war es unproblematisch, einfach jüdisch zu sein. In diesem Haus wurden selbst soziale und kulturelle Unterschiede nebensächlich. Ob alt oder jung, religiös, orthodox, liberal oder säkular, alle waren Teil einer großen Familie, die hier immer wieder zusammenfand, gemeinsam feierte, stritt und sich wieder versöhnte – sorgsam darauf bedacht, nach außen immer einen geschlossenen Eindruck zu machen.
In den letzten Jahren haben die Wände Risse bekommen, die das jüdische Leben von der Öffentlichkeit abgeschottet haben, ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Die russischen Zuwanderer haben die jüdische Nachkriegsidentität ziemlich aufgemischt. Manch Alteingesessener ist beunruhigt über die Entwicklungen der letzten Jahre. Andere wiederum atmen auf: vielleicht hat hier ja endlich jemand ein Fenster geöffnet und die Luft der Gegenwart hereingelassen.
Esther Slevogt
_Zur Ausstellung im Foyer des Gemeindehauses (Mo–Do 10–20, Fr 10–14, So 10–18 Uhr, Eintritt frei) erscheint bei Hentrich & Hentrich die Miniatur »Aufgebaut werden durch dich die Trümmer der Vergangenheit. Das jüdische Gemeindehaus in Berlin« von Esther Slevogt.
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