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Sukkot 5779
01.September 2018 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage
Gedanken von Gemeinderabbinerin Gesa Ederberg
Befreit aus der Sklaverei, einer unerträglichen Lebenssituation entkommen, eilig aufgebrochen, mit minimaler Wegzehrung und improvisiertem Gepäck, vielleicht noch ein paar wichtige Erinnerungsstücke im Rucksack, wochenlang unterwegs, ohne genau zu wissen wohin, ein »Gelobtes Land« vor Augen, von dem man gehört hat, dort sei man willkommen und dort würde Milch und Honig fließen – ein lebensgefährlicher Weg über das Meer und immer wieder Zwischenstationen, wo man für ein paar Tage ein Dach über dem Kopf hat, notdürftig eingerichtet, nur um dann wieder weiterzuziehen.An Sukkot erinnern wir uns an die Befreiung aus der Sklaverei, und insbesondere an das Wohnen in den provisorischen Unterkünften unterwegs, die Hütten, in denen das Volk während der vierzigjährigen Wanderung durch die Wüste lebte. Einer Wanderung, die uns von der Befreiung aus Ägypten schließlich in das Land führte, wo ‚Milch und Honig fließen‘. Die Tora (Wajikra 23,43) deutet Sukkot als Zeichen für alle Generationen der Zukunft, dass Gott Israel aus Ägypten gerettet hat. Raschbam, der Enkel Raschis, der im Mittelalter lebte, erklärt: »Du sollst nicht in Deinem Herzen sagen, meine Kraft und die Stärke meiner Hände hat mir diesen Erfolg gebracht.« Flüchtling zu sein, unendlich lange unterwegs zu sein, ohne zu wissen, ob man irgendwann in Sicherheit ankommt und wie man dort empfangen wird, ist die Erfahrung der Kinder Israels in der Wüste – und ist heute die Erfahrung von Flüchtlingen überall in der Welt.Wie alle Chagim hat auch Sukkot neben der geschichtlichen eine landwirtschaftliche Bedeutung: Wir feiern die Herbsternte und die Sukka symbolisiert in der jüdischen Tradition auch die provisorische Hütte der Erntearbeiter auf dem Felde, die während der Ernte keine Zeit hatten, nach Hause zu gehen.Während Rosch Haschana und Jom Kippur uns einen seelischen und geistigen neuen Start ins Jahr ermöglicht haben, buchstabiert Sukkot nun die materielle Seite dieses Jahresanfangs aus. Regen und Kälte in der Sukka sollen uns daran erinnern, dass ein gutes Leben nicht selbstverständlich ist und dass wir Verantwortung für die haben, die keine gelungene Ernte feiern können. Und so wie wir Abraham und Sarah und andere symbolisch als Gäste, Uschpisin, in der Sukka begrüßen, sind wir, als Einzelne und als Gemeinschaft, zu »Hachnasat Orchim« aufgefordert, dazu Gäste in unseren Sukkot und in unserem Land aufzunehmen, und zwar nicht nur Nützliche oder Berühmte, sondern gerade auch die, die voller Verzweiflung und aus Lebensgefahr geflohen vor unserer Tür gestrandet sind.Wie wichtig das Aufnehmen gerade auch armer Gäste ist, zeigt sich auch in einer konkreten halachischen Anweisung: Wenn es an Sukkot regnet, soll man bis Mitternacht warten, ob es nicht doch aufhört und man die Festmahlzeit in der Sukka einnehmen kann. Aber wenn man arme Gäste hat, darf man sie nicht so lange warten lassen und soll sich zu einer vernünftigen Zeit mit ihnen zum Kiddusch und Essen an den Tisch setzen.Von der Arbeit mit Flüchtlingen habe ich etwas für Sukkot gelernt: Ich fand es eigentlich immer seltsam, warum wir uns so viel Mühe machen, die Sukka schön zu schmücken – wo sie doch das Symbol für eine provisorische Behausung auf der Flucht, während der Wüstenwanderung, sein soll. Natürlich weiß ich, dass wir uns immer bemühen, eine Mizwa besonders schön auszuführen: Wir haben möglichst schöne Kerzenleuchter und Kidduschbecher für Schabbat, wir schmücken unseren Feiertagstisch und vieles mehr. Aber die Sukka, das Symbol der Flucht? Doch inzwischen habe ich es verstanden: Gerade auf der Flucht, in der Notaufnahmestelle, in der Sammelunterkunft, wo man nicht mehr als ein Bett für sich alleine hat, sind kleine Dinge wichtig, um Hoffnung zu schöpfen, um den Mut nicht zu verlieren. Als wir mit Kindern aus der Jüdischen Grundschule einen Bastelnachmittag in einer Notaufnahme organisiert haben, war das vielleicht nicht das Allerdringendste – aber die entstandenen kleinen Kunstwerke wurden sofort als Schmuck in der Cafeteria aufgehängt, sodass alle sich daran erfreuen konnten.
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