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Studio »Ishon«, Allenbystraße 62

29.April 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zeigt: Eine Frau mit Kamera – Liselotte Grschebina (1908 – 1994)

Erstmals wird in Deutschland eine Retrospektive der Fotografin Liselotte Grschebina gezeigt. Fur einige Berliner ist sie jedoch keine Unbekannte, waren doch bereits 2005 in der Ausstellung ≫Die neuen Hebraer≪ Fotografien von ihr im Gropius-Bau zu sehen. Noch bis vor acht Jahren verstaubten die Arbeiten Grschebinas auf dem Dachboden ihres Sohnes. Als dieser umzog, entdeckte er die Kisten seiner Mutter wieder. Er warf die Negative weg und brachte die Fotografien zum Israel Museum in Jerusalem. Dort fragte er schuchtern an, ob die Bilder von Wert seien. Was er nicht wusste: im Israel Museum war man seit Jahren auf der Suche nach dem Nachlass von Liselotte Grschebina und so war die Begeisterung uber den Fund gros. Was nun begann, war eine jahrelange detektivische Spurensuche der Kuratorin Judith Kaplan nach dem beruflichen Werdegang Grschebinas in Archiven ver- schiedener Akademien in Deutschland und ein muhevolles Rekonstruieren der Entstehungsdaten der Fotografien, da ihr Sohn nur wenig daruber mitzuteilen wusste. Seine Mutter, eine verschlossene und zuruckhaltende Person, wie man auch an ihren Portrats und Selbstportrats erkennen kann, hatte ihm nicht viel uber ihre Arbeit erzahlt. Die jetzige Ausstellung zeigt 100 Fotografien Grschebinas, die 1908 in Karlsruhe zur Welt kam. Ihre Eltern stammten aus judischen Familien. Ihr Vater, der Weinhandler Otto Billigheimer, fiel als Soldat des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, als Liselotte erst acht Jahre alt war. Nach dem Schulabschluss studierte sie Gebrauchsgraphik und figurative Malerei und anschliesend Werbefotografie, ein Studium, das damals noch in den Kinderschuhen steckte und an nur wenigen deutschen Universitaten angeboten wurde. Die Weimarer Republik war eine Zeit, die unter anderem durch die gesellschaftliche und berufliche Emanzipation der Frau gekennzeichnet war und das Bild der ≫Neuen Frau≪ hervorbrachte. Eines der attraktivsten Berufsfelder fur Frauen war die Fotografie. Sie galt als Mittlerin zwischen Kunst und Handwerk und der Zugang zur Fotografenausbildung war fur Frauen leichter zu bewerkstelligen als in die mannerdominierten Kunstakademien. Daruber hinaus entwickelte sich in den 1920er Jahren ein ≫Hunger nach Bildern≪, das Interesse an Sport griff auf die Medien uber, die sich zu Massenmedien gewandelt hatten.

Bahnhof Ludd, ca. 1940Jemenitin, 1937Selbstportrait, ca. 1933Eier, ca. 1930Hebräische Wassermelone, ca. 1935

Die Massenkultur brauchte taglich neue Bilder – zur Information, zur Unterhaltung und als Mittel der politischen Propaganda. Die Fotografie wurde gleichsam zum Notizbuch einer bewegten Zeit. Es entstand der Beruf des Fotoreporters, der gute Chancen hinsichtlich Auftragskunst in Portrat, Dokumentation und Werbung bot, ein Berufsweg, den auch Grschebina einschlug. Sie erhielt 1929 einen Lehrauftrag fur Werbefotografie an der Badischen Landeskunstschule in Karlruhe, doch bereits 1931 wurde sie entlassen; eine Genehmigung eine private Schule zu eroffnen, wurde ihr von den Behorden verweigert. Sie eroffnete daraufhin in Karlsruhe ihr eigenes Fotostudio ≫Bilfoto ≪ und spezialisierte sich auf Kinderfotografie. Nur ein Jahr spater, nach der Machtubernahme der Nationalsozialisten, sah sie sich gezwungen, ihr Studio zu schliesen und ging nach Danzig. Dort heiratete sie ihren Verlobten, den Arzt Jasha Grschebin, mit dem sie 1934 nach Palastina auswanderte. In Tel Aviv traf sie auf ihre Karlsruher Freundin Ellen Rosenberg, spatere Auerbach, die in Berlin zusammen mit Grete Stern das renommierte Fotostudio ≫ringl+pit≪ gefuhrt hatte. Gemeinsam mit Ellen Rosenberg eroffnete sie in der Allenbystrase 62 ein neues Studio – ≫Ishon≪, ein Wort, das im Hebraischen ≫Pupille≪, ≫Augapfel≪ oder auch ≫kleiner Mann≪ bedeuten kann. Nach den arabischen Aufstanden 1936 verliesen Ellen Auerbach und ihr Mann Palastina. Liselotte Grschebina gab ihr Studio auf und arbeitet fortan in ihrer Kuche, die zur Dunkelkammer umfunktioniert werden konnte. In dieser Zeit begab sich Grschebina auf fotografische Ausfluge und fing Bilder aus dem nahostlichen Alltag ein. Es entstanden einfuhlsame Portrats einer Gesellschaft mit vielen Gesichtern. Daneben machte sie Aufnahmen fur private Auftraggeber, fur Kibbuzim, fur Tnuva und die ≫Palestine Railways≪, wie ein Foto des Bahnhofes von Ludd dokumentiert. Abgesehen vom asthetischen Wert ist es zugleich ein wichtiges Zeitdokument. Zeigt doch die Anzeigetafel auf der linken Seite Jaffa und auf der rechten Seite Kantara in Agypten als Ziel an. Zu dieser Zeit konnte der Zug diese Strecke bewaltigen, ohne eine Grenze zwischen Eretz Israel und Agypten passieren zu mussen. Von Palastina aus stellte Grschebina weiterhin ihre Fotos in Europa aus, wie 1937 in der Internationalen Ausstellung in Paris. 1938 war sie in Berlin in der Ausstellung ≫Altes Leben – Neues Leben≪ der Fotogruppe ≫T’muna・(hebr. ≫Bild≪ ) vertreten, die in der Zionistischen Vereinigung in der Kantstrase und anschliesend im Foyer des Theaters des Judischen Kulturbundes gezeigt wurde. In Tel Aviv gehorte Grschebina einem Kreis aus Deutschland stammender Fotografen an. Gemeinsam grundeten sie 1939 die erste unabhangige Fotografenorganisation, die ≫Palastine Professional Photographers Association≪. Der Verein hielt seine Sitzungen in Kaffeehausern ab, die pedantischen Protokolle wurden in Deutsch verfasst. Als ihr Mann sich in den 50er Jahren mit einer eigenen gynakologischen Praxis in Tel Aviv niederlies, gab Grschebina, die fortan nicht mehr fur den Lebensunterhalt der Familie sorgen musste, die professionelle Fotografie auf. Es entstanden nun vor allem Fotos auf ihren Reisen, in denen sie ihre eigenen Interessen verfolgen konnte und sich auf das Spiel mit Linien, Licht und Schatten konzentrierte.

Sigalit Meidler-Waks

Info:_ bis 28. Juni, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, 10963 Berlin Fuhrung der JVHS: 4.6., 18 Uhr, 5,-/3,-