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Steiniger Weg

01.Dezember 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Politik

Zur Antisemitismus-Erklärung des Bundestages. Von Sergey Lagodinsky

Der Weg war wie so oft wichtiger als das Ziel: Die Erklärung des Bundestages zum 70. Jahrestag der Novemberpogrome wurde trotz politischen Taktierens schließlich doch noch von allen Fraktionen mitgetragen.
Der Weg zu dieser Erklärung war steinig. Dass es ein solches Dokument geben sollte, darüber waren sich alle Parteien einig. Fleißig wurde seit Monaten am Inhalt gearbeitet. Insbesondere stand für alle Beteiligten fest: Deutschland braucht einen Beauftragten für den Kampf gegen den Antisemitismus, so wie ihn die OSZE seit geraumer Zeit hat.
Doch dann bestanden die Unionsparteien auf einem ganzen Erklärungsabsatz, der das DDR-Regime des Antisemitismus und Antizionismus bezichtigte, ihm gar die Enteignung jüdischer Unternehmer vorwarf. Die Nachfolgerin der SED – die Linkspartei – protestierte gegen diesen Vorwurf als historisch schwer belegbar, auch die anderen Parteien waren wenig begeistert. Die Unionsparteien weigerten sich ihrerseits nunmehr prinzipiell eine gemeinsame Erklärung mit der Linkspartei abzugeben. Zwei Wochen vor dem großen Trauertag war das parlamentarische Chaos komplett – die Erklärung drohte zu scheitern.
Erst in letzter Minute und nach heftigen Protesten seitens jüdischer und nicht-jüdischer Organisationen einigten sich die großen Regierungsparteien sowie die Grünen und die FDP auf einen gemeinsamen Text. Die Linkspartei brachte einen gleichlautenden Antrag ein. Damit haben wir nun doch ein Ende mit Schrecken – alle Parteien tragen den gleichen Wortlaut der Erklärung mit!
Die Frage, wie stets bei symbolisch überfrachteten politischen Statements, ist, ob sich die Aufregung gelohnt hat? Im Bezug auf die Erklärung zum 9. November kann man die Frage teils mit ja, teils mit »kommt drauf an« beantworten.

Sergey Lagodinsky

Sergey Lagodinsky

Ja, die Erklärung hat einen inhaltlichen Wert, der weit über den politischen Abstimmungssymbolismus hinaus geht. Dazu gehört, dass einige wichtige Erkenntnisse aus der Antisemitismusforschung und Aspekte aus der Praxis der Antisemitismusbekämpfung nunmehr parlamentarische Beachtung gefunden haben. Dazu zählen die Hinweise darauf, dass Antisemitismus oft mit Antizionismus und Antiamerikanismus einhergehen kann. Wichtig ist auch der Hinweis darauf, dass Antisemitismus kein Phänomen der politischen Extremisten bleibt, sondern auch die gesellschaftliche Mitte erfasst. Seit Jahren haben der Zentralrat, das American Jewish Committee und das Netzwerk zur Bildung gegen Antisemitismus (Task Force Education on Antisemitism) darauf aufmerksam gemacht, dass Lehrpläne an deutschen Schulen um Themen zum jüdischen Leben und zur jüdischen Geschichte sowie zum heutigen modernen Israel abseits der obszessiven Beschäftigung mit dem Nahostkonflikt angereichert werden müssen. Nun steht auch diese Forderung in der Erklärung des Bundestages, genauso wie der Aufruf zur intensiven Beobachtung und Verhinderung von antisemitischen und anti-israelischen Programminhalten ausländischer Fernsehstationen.
Von höchster Bedeutung für die politische Praxis ist die Empfehlung des Bundestages, die Arbeitsdefinition des Antisemitismus, die von der EU-Agentur für Menschenrechte und der OSZE verwendet wird, bei der Arbeit staatlicher Behörden in Deutschland zu verwenden.
Bedauerlich ist nur, dass die Bundestagsabgeordneten sich nicht mehr auf die Ernennung eines Beauftragten gegen den Antisemitismus einigen konnten. Das Thema hat sicherlich eine Person mit großem politischen Gewicht und tiefen Fachkenntnissen verdient. Die hervorragende Arbeit des deutschen Abgeordneten Gert Weiskirchen als Beauftragter für den Kampf gegen Antisemitismus bei der OSZE zeigt, wie sehr es auf eine solche Person ankommt. Dass es in Deutschland keinen solchen Beauftragten geben wird, ist wohl das traurigste Ergebnis der Parteienkämpfe im Vorfeld der Erklärung.
Dennoch wird es ein Expertengremium zum Thema Antisemitismus geben, das in regelmäßigen Abständen einen Antisemitismusbericht verfassen wird. Und hier kommt das skeptische »kommt drauf an« hinzu: Es wird sehr darauf ankommen, wie diese Forderung konkret umgesetzt wird, wer in das Gremium gewählt wird und ob es gelingen sollte, sich dennoch auf eine politische Person zu einigen, die die Arbeit des Gremiums begleiten und koordinieren würde. Genauso wird es darauf ankommen, wie und wann die Ergänzung der Lehrpläne gestaltet wird, zudem letztere nicht im Kompetenzbereich des Bundes liegen, sondern von Länderregierungen bestimmt werden. Auch der Hinweis darauf, dass die Arbeit zur Antisemitismusbekämpfung »einen langen Atem« erfordert, klingt hämisch, sind doch die Förderbedingungen für die Projekte auf diesem Gebiet von der Bundesregierung dermaßen verschärft worden, dass die zivilgesellschaftliche Projektlandschaft in den Bereichen Rassismus- und Antisemitismusbekämpfung langsam aber sicher austrocknet.
Auch das Abstimmungsergebnis ist alles andere als beruhigend. Denn neben der Ablehnung des fraktionslosen Ex-CDU-Mannes Nitzsche haben ganze elf Abgeordnete der Linkspartei und damit mehr als ein Fünftel der Fraktion sich bei der Abstimmung enthalten. Neben dem notorischen Israel-Kritiker Norman Paech waren darunter auch die innenpolitischen und migrationspolitischen Sprecherinnen der Fraktion – eine beunruhigende Tendenz.
Vor allem muss man aber beklagen, dass auf drei Seiten einer Erklärung, die auch zur Förderung des jüdischen Lebens aufrufen sollte, sich ganze zwei mickrige Absätze zum Stand der heutigen jüdischen Gemeinden finden. Weder über die sozialen Probleme noch über die menschlichen Schicksale der heutigen Juden wird gesprochen. Man schöpft Verdacht, dass, so wie der Antisemitismus auch ohne Juden funktionieren kann, so auch der neue heutige deutsch-jüdische Dialog Juden als Menschen zu ignorieren scheint. Neben zahlreichen Bezugnahmen auf anonyme »jüdische Institutionen« und abstraktes »jüdisches Leben« in Deutschland kommen nur an einer einzigen Stelle im gesamten Dokument Juden als Individuen zum Zuge – als »Opfer antisemitischer Straftaten«, deren Schutz es zu stärken gilt. Man fragt sich, ob dies eine tragfähige Basis für die deutsch-jüdische Zukunft ist.