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Sitzenbleiben oder Nicht?
01.Mai 2015 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage
Gedanken zu Schawuot, dem Fest der Übergabe der Tora
Rosch Haschana und Jom Kipur sind im Schulchan Aruch 44 Kapitel gewidmet, Sukkot 43 Kapitel, die Gebote für Chanukka werden in 15 Kapiteln beschrieben, Purim in elf und für Pessach gibt es 62 Kapitel. Wenn wir die Kapitel für Schawuot zählen, dann kommen wir auf ein Kapitel.
Zu Schawuot gibt es kein Schofar, keine Sukka, keine Mazzot und keine Chanukkaleuchter. Wir lesen nur, dass gebetet, die Tora gelesen, die Synagoge geschmückt wird und Milchspeisen gegessen werden. Wenige Gebote also, die das ganze Kapitel für Schawuot füllen.
Aber Schawuot ist dennoch etwas Besonders, ist es doch das Fest der Übergabe der Tora. Moses ging auf den Berg, kam mit zwei Tafeln zurück, auf denen die Zehn Gebote eingraviert waren.
Aber was hat Moses tatsächlich von Gott gehört? Etwa nur die Zehn Gebote oder hat er mehr von der Tora bekommen, eventuell die gesamte Tora mit allen Geboten? – Dazu gibt es verschiedene Auffassungen. Rabbi Jischmael lehrte, dass die allgemeinen Regeln auf dem Berg gegeben wurden und dass die Details später Moses von Gott gegeben wurden. Rabbi Akiva lehrte, dass die gesamte Tora mit allen Details auf dem Berg gegeben wurde und dass alles später nur wiederholt wurde.
Allerdings stimmen Akiva und Jischmael in einem Punkt überein: Obwohl die Gebote als einzige auf die Tafeln geschrieben wurden, sind sie nicht wichtiger oder »göttlicher« als andere Gebote.
Dass diese Akzentuierung der Zehn Gebote ein Problem ist, spiegelt sich auch in einer alten Streitfrage wieder. In der Frage, ob die Gemeinde sich erheben soll, wenn diese Gebote aus der Tora vorgelesen werden. In vielen Synagogen wird das so gehandhabt.
Allerdings lehnten viele Rabbiner diesen Brauch ab, denn sie befürchteten, dass Stehen bei den Zehn Geboten, dazu führen würde, die Zehn Gebote für wichtiger oder »göttlicher« als den Rest der Tora zu halten.
Auch einige moderne Rabbiner teilen diese Auffassung und verlangen von uns, sitzen zu bleiben, wenn die Zehn Gebote gelesen werden, es sei denn die Person steht immer, wenn Tora gelesen wird.
Das mag uns zwar logisch erscheinen, aber andererseits ist es für uns nicht einfach, sitzen zu bleiben, wenn alle aufstehen.
Schließlich gilt es als unangemessen anzugeben oder etwas zu tun, was andere fühlen lässt, wir seien besser als sie oder könnten/wüssten etwas besser als sie.
Dies hat natürlich dazu geführt, dass die Frage umgekehrt wurde: wenn ein Mensch, der bei jeder Toralesung steht, in eine Synagoge kommt, in der alle Anwesenden bei der Toralesung sitzen bleiben, soll dieser dann aufstehen?
Üblicherweise sagen die Rabbiner, dass dieser Mensch sich ruhig hinsetzen soll. Denn wenn diese Person der Einzige wäre, der steht, dann wäre dies eine der oben erwähnten Formen des Angebens, in dem Sinne: »Schaut mal alle her: ich bin viel mehr ‹frumm› als ihr«.
Hier wird es interessant, denn: Wenn jeder aufstehen würde, wenn die Zehn Gebote gelesen werden – was wir selbst für einen Fehler halten und deswegen sitzen bleiben –, würden wir dann nicht selbst genau diese Angeberei-Sünde »Schaut her, ich bin viel ‹frummer› als ihr« begehen?
Wenn wir einen Lehrer in meiner Jeschiwa fragen würden, was in so einer Situation zu tun sei, was würden wir dann für eine Antwort hören? Wenn ich daran denke, kann ich fast schon hören, was Raw Meir sagen würde: »Das ist ein Problem!«
In diesem Sinne uns allen einen unproblematischen Feiertag,
Chag Sameach
Rabbiner Daniel Alter
jüdisches berlin
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