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Schlichter Neubau mit Aussicht
01.Mai 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Ausstellung, Kultur
Im Mai wird das neue Dokumentationszentrum der Stiftung »Topographie des Terrors« eröffnet
Die Zeit der Jahrzehnte langen Provisorien auf dem so genannten Prinz-Albrecht-Gelände, dem Zentrum des Naziterrors im Dritten Reich, ist zu Ende: Die Stiftung Topographie des Terrors erhält ein lang ersehntes Ausstellungs- und Informationsgebäude. Ab 7. Mai können die jährlich mehr als 500 000 (!) Besucher im sachlichen Zweckbau auf 800 Quadratmetern Fläche die Dauerausstellung »Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt in der Wilhelm- und Prinz-Albrecht-Straße« unter Dach und Fach betrachten – bisher war eine Freiluftschau zu sehen. Der Bereich für Wechsel- und Sonderausstellungen umfasst 220 Quadratmeter. Ab Juni wird eine Schau bisher unveröffentlichte Fotografien aus dem Ghetto Litzmannstadt zeigen.
Der Neubau scheint auf dem Gelände zu schweben. Eine breite Freitreppe führt zur Glasfront des Eingangs, der gesamte Kubus zeigt eine transparente Fassade. Sie ist von außen mit silbernen Lamellen geschützt. Der freie Blick von innen auf umliegende Gebäude ist jedoch möglich und Teil des Konzeptes. Die Nähe zum »Haus der Flieger« in den Dreißigern, heute das Berliner Abgeordnetenhaus, und dem Reichsluftfahrtministerium, heute das Bundesfinanzministerium, wird offenbar.
»Von jedem Punkt des Gebäudes aus ist das Gelände zu sehen. Es ist unser wichtigstes Exponat als authentischer Ort des Schreckens. Dieser kann durch die Aussicht mit den Nachbarbauten in Beziehung gesetzt werden«, sagte Andreas Nachama, Geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, vor der Eröffnung.
Im Erdgeschoss erstreckt sich die neue Ausstellungshalle. Ebenfalls auf dieser Ebene sind ein Vortragssaal, eine Cafeteria und Büros untergebracht. Im Sockelgeschoss befinden sich die 26 000 Bände umfassende Präsenzbibliothek, Kinosaal und Seminarräume, gruppiert um einen Innenhof: Ein flaches Wasserbassin spiegelt den Himmel – eine elegante und doch dem Ort angemessene Idee.
Die Entwürfe der Architektin Ursula Wilms vom Büro Heinle, Wischer und Partner, Berlin, sowie die Landschaftsplanung von Hans W. Hallmann, Aachen, berücksichtigen die Erinnerungsspuren wie Gebäudereste und Fundamente. Die neuen Baulichkeiten sollen den Ort der Täter nicht übertönen. So ist ein Zweckbau entstanden, der mit seiner breit gelagerten Flächigkeit den Charakter des Geländes, einer historisch bedeutenden, aber nahezu unbebauten Stadtlandschaft, betont.
Die Open-Air-Ausstellung erhält einen neuen Rundgang mit 15 Stationen. Im Zuge der Neugestaltung kamen bedeutende Ausgrabungen auf dem Gelände hinzu: Der Originalbürgersteig vor der SS-Zentrale im Hotel Prinz Albrecht, heute unmittelbar vor dem Mauerrest der Sektorengrenze im Norden gelegen, wurde freigelegt und in die Ausstellung einbezogen. Der davor liegende Graben zeigt von Frühjahr bis Herbst die Dauerausstellung »Berlin 1933 – 1945. Zwischen Propaganda und Terror«. Auch das Mauerwerk und die Zellenfußböden des berüchtigten Hausgefängnisses der SS sind neue Stationen des Rundgangs.
Zwischen der heutigen Niederkirchnerstraße und der Wilhelmstraße, im Westen begrenzt vom Gropiusbau, lagen die Terrorinstitute des Dritten Reiches, die sich in unmittelbarer Nähe zu den Ministerien und damit dem Zentrum der Macht befanden. Das SS-Hauptamt mit seinem Chef Heinrich Himmler nahm Quartier im ehemaligen Hotel Prinz Albrecht, in der Prinz-Albrecht-Straße 8, einer gefürchteten Adresse bei Regimegegnern. In den Büros kam es zu »verschärften Vernehmungen«, so nannte die SS die Folter. Ebenfalls berüchtigt war das Prinz-Albrecht-Palais in der Wilhelmstraße 102. Hier war die Zentrale des Sicherheitsdienstes und von 1939 an das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unter der Leitung von Reinhard Heydrich. Mit mehreren Gebäuden in der Wilhelmstraße war fast der gesamte Block zur Terrorzentrale des SS-Staates geworden.
»Das RSHA war eine Agentur der SS, also der Partei, nicht etwa staatlich. Das zeigt, wie eng verknüpft Partei und Staat waren«, erläutert Andreas Nachama. All diese Gebäude reichten nicht aus für die umfangreiche Bürokratie des Terrorapparats. So hatte Adolf Eichmann, der später in Israel hingerichtete Naziverbrecher, sein Büro in der Kurfürstenstraße, zynischer Weise in dem beschlagnahmten Gebäude der jüdischen Bnai Brith Loge. Von hier wurde der fabrikmäßige Völkermord an den Juden Europas geplant und organisiert.
Bis in die 1970er Jahre war die Geschichte des Kreuzberger Geländes hart an der Sektorengrenze so gut wie vergessen. Es wirkte wie ein großer, vernachlässigter Hinterhof und wurde auch so benutzt: Ein Autodrom bot Pisten für Fahren ohne Führerschein. Schließlich sollte im Zuge der geplanten autogerechten Stadt eine Schnellstraße angelegt werden. Dazu kam es nicht mehr. Auch diese zweite Phase der Geschichte wird in der Schau sichtbar gemacht. Ein Robinienwäldchen im Süden symbolisiert die zweite historische Schicht des Geländes, das nach einer Tiefenenttrümmerung und dem Mauerbau von 1961 fast spurlos im historischen und geografischen Niemandsland verschwinden sollte. Bei den Robinien handelt es sich um Bäume, die sich auf der Ruinenfläche nach dem Zweiten Weltkrieg selbst angesiedelt haben. 1987, zur 750-Jahr-Feier Berlins, startete das Projekt »Topographie des Terrors« und die historische Erforschung begann.
Judith Meisner
jüdisches berlin
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