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Scheibenhenkel und Türkistöne
04.Oktober 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Menschen
In Velten sind avantgardistische Keramiken von Grete Heymann-Loebenstein (1899–1990) aus den »Haël-Werkstätten« ausgestellt
Eine umfangreiche Ausstellung dokumentiert die Arbeiten und den Leidensweg einer bedeutenden jüdischen Künstlerin. Das Ofen- und Keramikmuseum in Velten bei Berlin zeigt avantgardistische Keramiken der jüdischen Designerin Margarete Heymann-Loebenstein-Marcks. Die Service, Vasen und Schalen aus den 20er Jahren sind Teil der Dauerausstellung. 1923 gründete die Künstlerin mit ihrem Ehemann Gustav Loebenstein in Marwitz die »Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik«. Das erfolgreiche Unternehmen wurde 1934 »arisiert«, und Hedwig Bollhagen (1907 – 2001), deutsche Vorzeige-Keramikerin bis zum heutigen Tag, richtete in den Räumen ihre »HB Werkstätten für künstlerische Keramik« ein.
Pikant ist, dass die Schicksalswege dieser beiden Frauen sich nach ihrem Tod zum zweiten Mal kreuzen: Der Nachlass von Hedwig Bollhagen soll im Veltener Museum gelagert und ausgestellt werden.
Margarete Heymann, 1899 in Köln geboren, arbeitete nach ihrer Ausbildung zur Malerin in der Keramikwerkstatt des Bauhauses und besuchte Paul Klees Unterricht. So hervorragend künstlerisch ausgebildet, wurde sie Designerin in den Velten-Vordamm Werken von Hermann Harkort.
1923 heiratete sie Gustav Loebenstein, und das junge Paar eröffnete gemeinsam mit dem Bruder des Ehemannes die »Haël-Werkstätten«. Das Design der avantgardistischen Keramik stammte von Grete Heymann-Loebenstein, wie sie sich von nun an nannte. Zum Programm gehörten Teetassen mit ungewöhnlichen, für Haël typischen Scheibenhenkeln sowie Teller in kräftigen Blau- und Türkistönen. Ihre Blumenschalen wirken heute noch zeitgemäß. Sie ließ sich inspirieren von asiatischer Keramik ebenso wie von Rokoko-Formen bis hin zu Urformen des Konstruktivismus: Kugelsegmente, Kegel, Würfel, Zylinder. Das Design nahm die Formensprache der 50er Jahre vorweg.
Die Werkstatt florierte und exportierte in alle Welt. Kein Wunder, traf doch Grete Heymann-Loebenstein genau das Bedürfnis der aktiven Frau der 20er Jahre nach klaren Formen und kräftigen Farben. Elemente der außereuropäischen Kunst machten die Keramik zu damals hypermodernen Art Déco-Objekten: Haël-Keramik war ein Must have.
Claudia Kanowski vom Berliner Bröhan-Museum, in dessen Dauerausstellung ebenfalls Haël-Keramik zu sehen ist, sagt: »Grete Heymann-Loebenstein war eine sehr experimentierfreudige und innovativ arbeitende Keramikerin«.
Ihr Erfolg wurde schnell überschattet: der Ehemann und sein Bruder kamen bei einem Autounfall ums Leben. Mit Datum vom 26. 8. 1928 berichtete die Veltener Zeitung davon, und auch der Totenschein stammt von 1928. Die Nationalsozialisten änderten das Jahr des Unfalls später auf 1930, um die Vermutung zu untermauern, die junge Witwe sei als Künstlerin nicht zur Leitung des Unternehmens fähig gewesen. Dies und die Weltwirtschaftskrise von 1929 hätten zum Niedergang der Hael-Werkstätten geführt.
Ohne Zweifel hatte die Krise 1929 Spuren in der Firma hinterlassen. Aber die Keramikerin reagierte geschickt: Sie brachte ein für ihr Form- und Farbverständnis konventionelles Service auf den Markt: »Norma« ist etwas bieder mit gemütlich bauchiger Kaffeekanne und in harmlosem hellen Gelb. Ein Service, das die Massen ansprach und noch bis in die 60er Jahre produziert wurde.
Grete Heymann-Loebenstein war mit der Geschäftsführung keinesfalls überfordert und führte ihren Betrieb erfolgreich weiter. 1930 kaufte sie einen vierten Brennofen für fast 20 000 Reichsmark. Ihre Auftragsbücher waren prall gefüllt.
1933 präsentierte die Keramikerin ihr Programm ein letztes Mal auf der Leipziger Messe. In der Fachpresse wurde sie wie immer gelobt. Da traf ein weitere Schlag die junge Frau: Ihr sechsjähriger Sohn erlitt beim Spielen am Badeofen tödliche Verbrennungen, als sein Schal Feuer fing – wie damals üblich, war er gegen eine Halsentzündung mit Gänsefett getränkt. Zwei Wochen später starb der Junge im Krankenhaus.
Die Feindseligkeit der Nazi-Umgebung gegen die jüdische Unternehmerin war weder zu übersehen noch zu ertragen. Grete Heymann-Loebenstein äußerte, dass Regimekritiker im nahegelegenen provisorischen Konzentrationslager in einer Oranienburger Fabrik »um die Ecke gebracht« würden. Prompt wurde sie im Sommer 1933 von einem ihrer eigenen Angestellten »wegen Verächtlichmachen und Herabmindern der deutschen Staatsautorität und wegen schlechter Behandlung ihrer Arbeiter« bei der NSDAP denunziert. Darauf folgte ein Haftbefehl, dem sie und ihr älterer Sohn sich nur durch Flucht nach Dänemark entziehen konnten.
Das gesamte Haël-Lager im Wert von 10 000 Reichsmark wurde beschlagnahmt. Nun betrat die Keramikerin Hedwig Bollhagen die Szene. Sie suchte eine Immobilie für eine eigene Manufaktur, als sie von dem aufgegebenen Haël-Betrieb hörte. Ein Freund der Bollhagen-Familie, Heinrich Schild, war als Generalsekretär des Reichsstandes des Deutschen Handwerks für die Gleichschaltung von Betrieben verantwortlich. Zuvor hatte sich die NSDAP-Ortsgruppe Velten schon an Schild gewandt, um den Loebensteinschen Betrieb zu »arisieren«. Das geschah schließlich weit unter Wert, für 45 000 Reichsmark statt der angemessenen 300 000. Schild wurde Teilhaber der Werkstätten, die nun Hedwig Bollhagen gehörten. Sie führte den Betrieb und reprivatisierte ihn nach der Wende von 1989. Massenhaft übernahm sie Haël-Design, das sie auf Messen präsentierte. Einige Entwürfe von Grete Loebenstein wurden bis in die 60er Jahre produziert.
Hedwig Bollhagen entwickelte ihre bodenständigen Formen mit pastellfarbener Glasur kaum weiter. Das heute interessant wirkende schwarzgrüne Dekor kam auf Grund von Materialengpässen in der DDR zustande. Bollhagen benutzte grüne Ofenkachelglasur für Geschirr. Noch einmal Claudia Kanowski vom Bröhan-Museum: »Hedwig Bollhagen wollte keine Kunst machen, sondern schlichte Gebrauchsgegenstände. Damit unterscheidet sie sich von Grete Heymann-Loebenstein und wird zu ihrem Gegenpol.«
Grete Heymann-Loebenstein emigrierte 1936 nach England. Als Designerin in großen Manufakturen wurden ihre Entwürfe wenig beachtet. Erst als sie mit ihrem zweiten Ehemann, Harold Marcks, die eigene Firma Greta Pottery eröffnete, konnte sie wieder erfolgreich arbeiten. Später wandte sie sich ganz der Malerei zu. Grete Heymann-Loebenstein-Marcks starb 1990 in England.
Judith Meisner
Info: Velten erreicht man in 40 Minuten ab Berlin-Friedrichstraße mit der S 25 bis Hennigsdorf, von dort weiter mit der RE 6 Richtung Kremmen oder RE 55 Richtung Neuruppin/Wittenberge. Das Museum liegt fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt in der Wilhelmstraße 32 und ist geöffnet von dienstags bis freitags von 11 bis 17 und am Wochenende von 13 bis 17 Uhr.
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