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Ruth Galinski ist tot
01.Oktober 2014 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
Die Schoa-Überlebende und Witwe unsere ehemaligen Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski ist verstorben
Ruth Galinski ist tot. Sie starb in den Morgenstunden des 18. September im Jüdischen Krankenhaus Berlin. Die Witwe des ehemaligen Gemeindevorsitzenden und Zentralratspräsidenten, Heinz Galinski, wurde 93 Jahre alt.
Ruth Sonja Weinberg wird 1921 in Dresden als Tochter eines Kaufmanns aus Bialystok und einer Dresdnerin geboren. Schon während der Volksschule treibt sie leidenschaftlich gern Sport – Leichtathletik, Speerwerfen, Hochsprung, Handball. Nach 1933 ist das nur noch in jüdischen Vereinen möglich, sie trainiert beim SC Bar Kochba. Über diese Zeit urteilte sie im Nachhinein: »Der Sport hat mir das Leben gerettet. Wir hatten ja sonst nichts anderes.«
Im Oktober 1938 wird sie im Rahmen der »Polenaktion« mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Polen deportiert: »Ich konnte kein Wort Polnisch, lernte aber schnell«, wird sie später sagen. In einem Lager bei Warschau, in dem die drei bis Kriegsbeginn untergebracht waren, lernt Galinski den jungen Anwalt Leon Davidson kennen. Sie heiraten, nach einem halben Jahr können sie mit falschen Papieren aus dem Warschauer Ghetto auf die polnische Seite fliehen, leben weiter im Versteck. 1943 will Leon seine Eltern aus Lemberg holen – und kommt nie wieder zurück.
Ruth Galinski schlägt sich nach dem Warschauer Aufstand allein durch und kann sich unter dem Namen Sonja Kowalska einer polnischen Partisanengruppe anschließen: »Dort durfte ich aber niemandem sagen, dass ich Jüdin bin«. Anfang 1945, nach Ankunft der sowjetischen Armee, findet sie Arbeit in einem Geschäft in Krakow, lässt sich bei der Jüdischen Gemeinde registrieren und tritt dem Sportklub »Cracovia« bei. Dann trifft plötzlich ein Brief von Abram Weinberg aus Argentinien ein: »Mutter und Bruder sind wohlauf, fahr nach Berlin und warte auf dein Visum! Vater.«
Hier lernt sie 1947 Heinz Galinski kennen. Er sollte ihr eine Urkunde überreichen – sie ist Kapitänin einer jüdischen Handballmannschaft von TuS Makkabi. Die beiden verlieben sich ineinander, an Ruths Geburtstag feiern sie Verlobung, wenige Monate später, im Oktober, heiraten sie. Als das Visum für die USA eintrifft, ist sie schwanger mit ihrer Tochter. Und bleibt in Berlin. Ihre Mutter und ihr Bruder emigrieren nach Argentinien zum Vater.
Der betritt Deutschland nie wieder und lernt auch seinen Schwiegersohn nie kennen, der als Gemeinde- und Zentralratsvorsitzender nicht nur die Berliner Jüdische Gemeinde und das Bild des Nachkriegsjudentums in Deutschland über Jahrzehnte prägen wird, sondern auch das Leben seiner Frau. Die gibt ihren Sport auf, lernt mit ihm und durch ihn Staatsoberhäupter und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens kennen, läuft über rote Teppiche, übt Hofknickse und kauft sich flache Schuhe, um ihren Gatten nicht zu überragen.
Trotz allem: Ruth Galinski ist nicht nur die Frau an der Seite eines bald berühmten Mannes. 1953 gehört sie mit Jeanette Wolff und Lilli Marx zu den (Wieder-)Gründerinnen des Jüdischen Frauenbundes. Noch 2012, als der International Council of Jewish Women seinen 100. Geburtstag feiert, ist sie Ehrengast der Veranstaltung. Sie sitzt in zahlreichen Vorständen, wird als einzige Frau für den Zentralrat der Juden in den Beirat der Stiftung Gedenkstätten Mittelbau-Dora berufen, ist Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Hilfe für krebskranke Kinder.
Nach dem Tod ihres Mannes – er stirbt 1992 an ihrem Geburtstag, seitdem feiert sie nicht mehr – wird es ruhiger um Ruth Galinski. Nach einigen Jahren zieht sie in das Seniorenheim, das den Namen ihrer Mitstreiterin Jeanette Wolff trägt, ist aber weiter im Vorstand der Heinz-Galinski-Stiftung aktiv, politisch interessiert und besucht hin und wieder Gemeinde- und Gedenkveranstaltungen.
Ruth Galinski war eine Frau der Tat, nicht der schönen Worte. Noch in diesem Jahr hat sie durch eine großzügige Spende mithilfe des Keren Hayesod den Aufbau der »Ruth-und-Heinz-Galinski-Bibliothek« in der Denmark High School in Jerusalem ermöglicht. Sie war eine der letzten Zeugen, Beteiligten, Betroffenen der Schoa, aber auch der Zeit des »Aufbaus nach dem Untergang«. Und sie war ihren Freunden eine wahre Freundin, eine lebenskluge Ratgeberin und Seelenverwandte, unprätentiös, mitfühlend, geerdet und mit einem gesunden Menschenverstand gesegnet. Wir werden sie nie vergessen.
Die Lewaja von Ruth Galinski sel. A. fand am Sonntag, den 21. September 2014 auf dem Friedhof Heerstraße statt.
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