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Rosch Haschana 5779
01.September 2018 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage
Betrachtungen von Gemeinderabbiner Jonah Sievers
Wenn man der nichtjüdischen Umwelt mitteilt, dass wir demnächst unser Neujahrsfest feiern und bei weiterer Nachfrage erzählt, dass wir das Jahr 5779 zählen, stößt man oft auf erstaunte Gesichter: Nicht nur die Jahreszahl mutet archaisch an, sondern auch allein die Tatsache, dass wir unser Neujahrsfest im Herbst feiern, löst Verwunderung aus. Und dies nicht grundlos.
Das christliche bzw. säkulare Neujahrsfest fällt bekanntlich auf den 31.12,. findet also nur wenige Tage nach der Wintersonnenwende statt. Von diesem Zeitpunkt an, also ab dem 21.12, werden die Tage wieder länger und man geht mit einer optimistischeren Grundstimmung auf das neue Jahr zu, als ob das Schlimmste schon überwunden sei.
Bei uns liegen die Dinge jedoch ein wenig anders. Unser Neujahr fällt immer weit vor die Wintersonnenwende in eine Zeit des abnehmenden Lichtes. Es fällt in den Herbst und in die Dämmerung des Jahres oder bezogen auf einen Tag, fällt es in die Abenddämmerung.
Zu dieser Jahreszeit wurde in Israel wahrscheinlich schon die zweite der beiden Ernten eingebracht. Am Ertrag entscheidet sich die Frage, wie gut man über den Winter kommen wird. Auf der einen Seite können wir uns über unsere Ernte freuen und tun dies ja auch nur ein paar Tage nach Jom Kippur zu Sukkot. Auf der anderen Seite ist es eine Zeit der Vagheit und Unsicherheit. Wird die Ernte reichen? Werden wir alle versorgt sein?
Noch ein Vergleich drängt sich auf: Der Vergleich zum Lebensalter selbst. Bei diesem Vergleich würde der Herbst dem langsamen Übergang vom »Jungsein« zum »Älterwerden« entsprechen. Auch diese Zeit ist eine der Ungewissheit und Zweifel. Wir fragen uns, was kommen wird in unserem Lebenswinter. Sind wir gut betreut, was werden wir ohne unsere Arbeit machen, wie wird es uns gesundheitlich gehen?
Hierbei erinnere ich mich daran, was mich mein Lehrer Lionel Blue gelehrt hat: Er sagte, in der Jugend sei man bis ins Erwachsenenleben hinein damit beschäftigt, Sachkenntnisse und Fertigkeiten zu lernen. Nun käme irgendwann der Punkt, an dem man nicht mehr lernen muss, Dinge und Fertigkeiten zu beherrschen, sondern man müsse lernen, erworbenes Können, Wissen und Routinen abzugeben und zu lernen, dass alles nicht mehr so ginge wie früher.
Rosch Haschana passt also genau in diese Zeit. Zu Rosch Haschana befinden wir uns genau an dem Zeitpunkt, zu dem wir realisieren (sollten), dass es nicht unbedingt in allen Bereichen unseres Lebens so weitergehen kann wie bisher. Wir blicken auf das vergangene Jahr zurück und müssen uns fragen, ob alles so bleiben kann wie bislang. In der Regel lautet die Antwort zu einigen Fragen: Nein, es muss sich etwas ändern!
Hierzu gibt ein Vers der Parascha Nizawim Aufschluss: »Das Verborgene ist stets bei dem Ewigen, was aber offenbart ist, liegt uns und unseren Kindern auf ewig ob, dass wir alle Worte dieser Lehre tun« (5. BM 29:28)
Das Verborgene, so sagt die Tora, ist etwas, worüber wir uns nicht den Kopf zerbrechen müssen. Es steht bei Gott und nur Er weiß hierüber Bescheid. Mit dem Offenbarten ist es jedoch anders. Dieses liegt vor uns wie die Ernte des vergangenen Jahres.
Es gibt aber einen gewichtigen Unterschied im Vergleich des Jahres mit dem Lebensalter. Während der Mensch unwiderruflich auf sein Ende zugeht, folgt dem Herbst der Winter und dann wieder der Frühling und Sommer. Und hier ist das für uns Wichtige: Obwohl wir jetzt an einem kritischen Punkt angekommen sind, so ist dieser nicht das Ende unserer Bemühungen, sondern auch gleichsam ihr Anfang. Durch unsere Umkehr ist ein neuer Anfang denkbar – und dieser Neuanfang ist zu jeder Jahreszeit möglich!
Die besondere Mizwa zu Rosch Haschana ist, das Schofar zu hören, das an die Bindung Isaacs erinnert und uns zur Umkehr aufruft. Es wird nach der der Haftaralesung sowie im Mussafgebet geblasen. Darüber hinaus ist die Synagoge in Weiß gehalten. Am Nachmittag des ersten Tages wird Taschlich gesagt, hierzu geht man an ein Gewässer, um den Ewigen zu bitten, unsere Sünden in die Tiefen des Wassers zu werfen. Es ist auch üblich, ein Stück Apfel mit Honig zu essen und ebenso wird die Challa in Honig und nicht in Salz getunkt. Dies alles für ein süßes neues Jahr.
Ich wünsche Ihnen ein schönes, gesundes, gebenschtes Neues Jahr 5779. Schana Towa!
jüdisches berlin
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