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Rhapsodie über ein biblisches Motiv
03.Januar 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Menschen
Der Komponist und Jazzmusiker Max Doehlemann mischt sich mit Projekten wie dem Kultursalon »Shkoyach!« und seiner neuen CD »Jakobs Traum« phantasievoll in die jüdische Musikszene Berlins ein
»Bei mir biste plain« krächzt Walter Rothschild gut gelaunt süffisant ins Mikro und legt noch hüftschwingend seinen Rap »When My Cousin Harold Went Frum« oder einen flotten Spruch aus seinem Rabbineralltag nach, während schräg hinter ihm stoisch lächelnd ein Mann (dunkler Anzug, Fliege) Klavier spielt, der mit seiner felshaften Ruhe das ganze Gegenteil des quirligen Singe-Rebben zu sein scheint: Max Doehlemann. Der bestreitet mit seinem Jazztrio und wechselnden Gästen seit einiger Zeit die Reihe »Shkoyach!« im Grünen Salon der Volksbühne und hat inzwischen schon eine treue Fangemeinde, vor allem dann, wenn die Musiker mit der bissig-witzigen Unterstützung des Rabbiners als »Walter Rothschild And The Minyan Boys« auftreten.
Doch der Mann am Klavier tanzt auf vielen Hochzeiten. Max Doehlemann ist nicht nur ein guter Jazzpianist, sondern sieht sich auch selbst in erster Linie als Komponist. 1970 in Hamburg geboren, schrieb er mit zwölf seine ersten Stücke und »wollte schon mit 13, 14 Komponist werden«. Als Wehrdienstverweigerer, so erzählt er, hatte er das Glück, in einem Pilotprojekt »Soziale Betreuung durch Musik« zu landen. Sein Zivildienst war eine sehr intensive Zeit, angefüllt mit Konzerten und musiktherapeutischer Arbeit, beispielsweise in einer Geriatrie. Anschließend habe er sich an der Münchener Musikhochschule beworben und sei auch gleich angenommen worden, so dass Plan B (Medizin) nicht zum Einsatz kam. Anstatt Chirurgie hat er also klassische Komposition studiert und später, nachdem ihn Sten Nadolny nach Berlin geholt hatte, an der Hochschule der Künste noch fünf Semester Orchester-Dirigieren drangehängt. Theoretisch könnte er, dank Diplom auch »staatlich anerkannt«, Musik und Klavier unterrichten, das musste er aber noch nie...
Der alleinerziehende Vater wohnt mit seinem älteren Sohn Leo (der in die Jüdische Schule geht und selbst schon Schlagzeug spielt) in einer großen Charlottenburger Altbauwohnung, wo er komponiert, mit der Band probt, Aufnahmen macht… Er hat die Musik zu 60 Folgen der Seifenoper »Marienhof« geschrieben (einen Auftrag, den er in der Kantine der Musikhochschule an Land gezogen hat), war Korrepetitor an der Komischen Oper und besucht auch schon mal in Sachen Truppenbetreuung Afghanistan, um als Pianist einen Karl-Valentin-Abend bei der Bundeswehr in Masar-e-Scharif zu begleiten. Zusammen mit Martin Fonfara, dem Schlagzeuger in seinem Jazz Trio, der viel für das Gripstheater arbeitet, hat Doehlemann die Wilhelm-Busch-Revue »Helene, Max & Co« im Berliner Ensemble komponiert und dort auch das Kinderstück »Schule mit Clowns« mit ihrer eigenen Musik aufgeführt.
Doehlemanns musikalisches Interesse ist breit gefächert, er ist vielseitig, sein Aktionsradius weit. Und er brauchte wohl erst einmal selbst Erdung und Orientierung, um sich nicht in zu vielen Richtungen zu verzetteln und
(s)eine »Linie« zu finden. So wie ihn der Kontrast zwischen dem Hebräischen als kantig-kehliger Sprache und dem weichen Klang von Klavier- oder Violin-Tönen fasziniert, versucht er als Komponist (mit einem Mathe-Fimmel und Faibel für Kombinatorik) auch in der Musik Verbindungen herzustellen. Schließlich sei es kein grundsätzlicher Widerspruch, meint der 40-jährige, ob man in Skalen oder in Reihen denkt, ob mal also zur Debussy- oder Messiaen-Fraktion gehört oder zu Schönberg, Webern und Stockhausen. Er habe versucht, etwas zu entwickeln, wodurch beide verbunden werden können.
Der umtriebige Max schreibt an einem Orgel-Chorstück in hebräischer Sprache, Psalm 95, für den Chor der Synagoge Pestalozzistraße mit Regina Yantian und Isaak Sheffer; er bastelt an einem Projekt für das Jüdische Museum, bei dem es um mittelalterliche Lyrik, Piutim, gehen soll, will weitere Theaterstücke »bespielen« und auch mit den »Minyan Boys« eine CD machen. Zuletzt, im Herbst 2010, ist seine CD »Jacobs Traum. Neue jüdische Lieder« erschienen. Auf ihr sind Liturgie- und Psalmvertonungen sowie »musikalische Midraschim« zur hebräischen Bibel zu hören. Doehlemann knüpft hier beim Komponieren zwar an die Traditionen der Synagogalmusik an, findet aber eine sehr eigene, moderne, genreübergreifende Interpretation. Er hat liturgische Texte wie das Haschkiwenu aus dem Abendgebet, Uwa Lezion oder den klagenden Psalm 137 (»An den Strömen Babylons, da saßen wir und weinten…«) in expressiver neuer Weise vertont und von einer Sopranistin (Andrea Chudak) singen bzw. wie im Gottesdienst mit Teamim/Kantillation (Esther Kontarsky) vortragen lassen. Als »Reflexionen zur hebräischen Bibel – musikalische Midraschim« hat er außerdem Elemente aus dem 1. Buch Samuel (wie dieser durch die Musik Davids zur Ruhe kommt), aus den Klageliedern des Jeremias und aus dem »Eiferer« Pinchas musikalisch »übersetzt«. Hier kommen zum traditionellen Rezitationsgesang und dem Klavier diverse Schlagzeuginstrumente zum Einsatz – Vibraphon, Marimba, Glockenspiel und Trommeln, die sich wie in den Geschichten als Kommentare und Nebenstränge um den ursprünglichen, überlieferten Erzählkern – hier das jeweilige Bibelzitat – ranken und so Erhellendes, Neues erzeugen. Die letzte geheimnisvoll anmutende Komposition »Jakobs Traum« (für die er übrigens gerade mit dem »International Music Prize for Excellence in Composition 2010« ausgezeichnet wurde) nennt Doehlemann selbst eine »Rhapsodie über ein biblisches Motiv«. Rabbiner Tovia Ben-Chorin lobt so auch überschwänglich in seinem Vorwort »eine wunderbare Vereinigung jüdischer Texte aus Tanach und dem Gebetbuch in einer modernen Vertonung«, die Juden wie Nichtjuden, Religiöse wie Zweifler auffordere: »Singet dem Herrn ein neues Lied«.
Judith Kessler
_Max Doehlemann: Jacobs Traum. Neue jüdische Lieder. Mit einem Vorwort von Rabbiner Tovia Ben-Chorin, Antes Edition 2010. Die CD ist für 19,95 u. a. in der »Literaturhandlung« Joachimstaler Straße 13 erhältlich
_ Sonnenfinsternis, Jazztrio Doehlemann-Schantz-Fonfara, Bella Musica 2008
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