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»Remember Us«

01.November 2007 | Beiträge – jüdisches berlin | Jugend, Gedenken

Bar- und Bat-Mizwa und Schoa – ein neuer Ansatz aus Amerika. Von Stephen Tree

Wie mit der Schoa umgehen? Deren Ungeheuerlichkeit übersteigt oft die Fassbarkeit der direkt davon Betroffenen, geschweige denn die der Nachgeborenen, selbst wenn sie jüdisch sind. Ein neuer, interessanter Ansatz kommt aus Kalifornien, wo der 71-jährige Religionslehrer Gesher Calmenson seinen jungen Schülern die Bedeutung der Schoa nahezubringen suchte – wobei es ihm darum ging, ihnen jenseits der grausamen Scheußlichkeit der Vorgänge eine Möglichkeit an die Hand zu geben, die Schoa in einen Zu­sammenhang mit ihrem nun beginnenden, persönlichen Lebensentwurf zu stellen.

Angesichts der Tatsache, dass es immer weniger Zeitzeugen gibt, die sich ihnen für einen Austausch zur Verfügung stellen können und dass es in Zukunft, wie zu befürchten steht, gar keine mehr geben wird, schlug er seinen Schülern vor, bei ihrer Bar- oder Bat-Mizwa eines kindlichen Holocaust-Opfers zu gedenken, das, anders als sie, diesen Ehrentag nicht hatte erleben dürfen, durch Erwähnung bei der Festrede, durch Wohltätigkeit, durch Kaddisch-Sagen sowie durch die Verpflichtung, sich im Gedenken an die eigene Bar- oder Bat-Mizwa zeitlebens diesem einen Kind und damit der Schoa als Ganzem verbunden zu fühlen.
Kinder wie Eltern waren von dem Vorschlag sehr angetan, und bald ist daraus eine amerikaweite Bewegung, „Remember Us“, entstanden, die mit sehr bescheidenen Mitteln (drei Halbtagsstellen und vielen Freiwilligen) solche „Paarungen“ vornimmt.

Bis jetzt haben 6 000 Kinder daran teilgenommen, und jedes Jahr werden es 40 Prozent mehr, junge Juden aus Amerika, Israel, Mexiko und Australien. So entstand eine Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat,
1) jüdischen Kindern dazu zu verhelfen, sich als wichtige Träger jüdischen Erinnerns zu begreifen,
2) ihnen zu zeigen, wie man Erinnern und Handeln miteinander verbinden kann,
3) das eigene Selbstwertgefühl zu stärken, indem sie der jüdischen Gemeinschaft mit gutem Beispiel vorangehen,
4) ihnen eine Möglichkeit an die Hand zu geben, die Konfrontation mit der schmerzlichen Geschichte des Holocaust aktiv zu bewältigen,
5) sich in der Generation der Nachgeborenen als lebendige Träger der Erinnerung zu betrachten.


Ob daraus, wie der begeisterte Gründer Gesher Calmenson meint, ein feststehendes Ritual wird, ähnlich dem des zerbrochenen Glases bei der Hochzeit, das an die Tempelzerstörung erinnern soll, muss sich erst erweisen. Einem Kind an der Schwelle zum Erwachsenenalter, das gerade die gewiss nicht leichte Verpflichtung zum lebenslangen Jude-Sein auf sich nimmt, wird dadurch eine gewichtige Zusatzlast aufgebürdet. Wobei das in Deutschland wohnende hauptsächlich osteuropäische Judentum ohnehin stark vom Holocaust gezeichnet ist und Kinder oft die Namen Umgekommener tragen und durch Berichte (oder das Verschweigen) ihrer Eltern oder Großeltern geprägt sind. Auch scheint die Freiwilligkeit entscheidend: Ist sie nicht mehr gegeben, dürfte dies eher zur Abwehr der schwierigen eigenen Geschichte als zu deren Akzeptanz führen. Das Projekt muss sich, notgedrungen, auf das Gedenken kindlicher jüdischer Holocaust-Opfer mit gesicherten Lebensdaten be­schränken. Und das vielleicht noch zu lindernde Leiden lebender Kinder mag manch einem höher zu veranschlagen scheinen als ein noch so gut gemeinter Dienst an Toten, die als Märtyrer der Schoa, die „um des Namens willen“ starben, vielleicht weniger auf unsere Bemühungen als wir auf ihre Fürsprache angewiesen sind. Dennoch: Ein zwangsläufig nicht allen Anforderungen gerecht werden könnendes Gedenken an die größte Katastrophe des europäischen Judentums beim Übergang ins jüdische Erwachsenenalter ist dem Vergessen oder Verschweigen auf jeden Fall vorzuziehen.

Interessierte wenden sich an: www.remember-us.org, E-Mail: remember@sonic.net,
Telefon: 001-707-570-2883; Anfragen (Re: „Cynthia Calmenson“) werden gerne auch auf Deutsch entgegen genommen.

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