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Regenbogenbrücken bauen

04.Oktober 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Menschen

Überlebende des Attentats auf einen Schwulenklub in Tel Aviv waren auf Einladung des Senats und Berliner Projekte an der Spree zu Gast

Gal, Micha, Mor, Yoni… Sie haben aufgeatmet bei ihrem Besuch in Berlin und Köln, sich abgelenkt, sich erholt, Spaß gehabt – elf traumatisierte junge Israelis, die Opfer eines fanatischen Anschlags geworden sind, nur weil sie dem eigenen Geschlecht zugetan sind.

Damals, vor gut einem Jahr, am 1. August 2009, stürmte ein Maskierter den Klub »Agudah«, ein kleines Beratungszentrum für junge Homosexuelle im Tel Aviver Norden, wo sie (vermeintlich) sicher sind und Selbstvertrauen und Strategien für ihren Alltag lernen können. Er schoss wild um sich – der 26-jährige Nir Katz aus Givatayim und die 16-jährige Liz Trubeshi aus Holon starben sofort, 15 andere Gäste erlitten Schussverletzungen, zwei sind dauerhaft querschnittsgelähmt. Der Täter konnte unerkannt fliehen und wurde bis heute nicht gefasst. Die jungen Leute, die das Attentat miterlebten, sind bis heute traumatisiert…

Das israelische Oberrabbinat nannte die Tat ein »unvorstellbares, abscheuliches Verbrechen«. Ministerpräsident Binyamin Netanyahu sagte nach dem Anschlag: »Ich möchte allen Bürgern Israels sagen: Wir sind ein demokratisches Land, ein Land der Toleranz, ein gesetzestreuer Staat, und wir werden jede Person unabhängig von seinen oder ihren Überzeugungen achten.« Und Oppositionsführerin Tzipi Livni erklärte: »Ich hoffe, dass dieser fürchterliche Tag euch auch Stärke verleiht und einen Wendepunkt markiert. Dieser Tag sollte Kindern die Kraft geben, ihren Eltern zu sagen: ‚Ich bin schwul’. Dieser Tag sollte Eltern die Kraft geben, ihre Kinder für das zu lieben, was sie sind. Dieser Tag sollte der israelischen Gesellschaft die Kraft geben, einen Wandel herbei zu führen, so dass sie stolz auf ihre Gay Community sein wird.«

Trotz aller formalen Rechte Homosexueller, der inzwischen weltbekannten Tel Aviver Gay-Szene und dem Umstand, dass die Knesset sogar die Gay Pride Week in Tel Aviv (die größte im Nahen Osten) mitfinanziert, ist dies im »Macho-Land« Israel ein Problem. Das zeigt die tägliche Praxis. Die Dunkelziffer der nicht angezeigten Übergriffe gegen Schwule und Lesben ist hoch und die Vorurteile in der Bevölkerung, bei Behörden oder bei der Polizei sind nach wie vor ausgeprägt.

Auch die Besucher des Klubs »Agudah« können davon ein Lied singen. Sie selbst haben oftmals vor ihren Familien verheimlicht, dass sie homosexuell sind. Ein Teil der Eltern hat erst durch das Attentat und die Medien davon erfahren – und kann nur schwer oder gar nicht damit umgehen.

Die Idee, einige der Betroffenen zu einem Erholungsaufenthalt nach Deutschland zu holen, hatte Bastian Finke vom schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo. Der Berliner Verein hatte nach dem Attentat bereits zahlreiche Mahnwachen in Europa organisiert und schließlich den Kontakt zur Tel Aviver Stadtverwaltung hergestellt. Gemeinsam mit Tom Schreiber, Mitglied der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, und in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wurde das Projekt »Schwul-Lesbische Regenbogenbrücke Berlin – Tel Aviv – Köln« auf die Beine gestellt.

Die Organisatoren konnten wichtige Unterstützer für das Projekt gewinnen, so den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, Innensenator Ehrhart Körting, Kulturstaatssekretär André Schmitz, den deutschen Botschafter in Israel, Harald Kindermann, und den israelischen Botschafter in Deutschland, Yoram Ben Zeev (die Regenbogen-Magen-David-Buttons auf unserem Titelbild etwa hat die Israelische Botschaft in Berlin gestiftet, die auch einen Flyer über die Rechte von Homosexuellen in Israel herausgibt). Der Senat, Sponsoren und die Berliner Klubszene haben die »Regenbogenbrücke« finanziert.

Die Gäste gedachten am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Tiergarten der Opfer des Tel Aviver Anschlags.   Foto: Hendrik KoscheFlyer

Zusammen mit den Jugendlichen und ihren Betreuern kam auch eine Delegation mit Sozialarbeitern, Stadtverordneten und Vertretern der Polizei und Verwaltung von Tel Aviv nach Berlin, um sich mit Senats- und Bundestagsabgeordneten, dem Polizeipräsidenten, Vertretern des Landeskriminalamtes und mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin auszutauschen. Denn von einem eigenen Ansprechpartner für die Belange Homosexueller bei der Polizei oder speziellen Schulungen können die Israelis bislang nur träumen. Während die Agudah-Kids mit ihren Betreuern und Berliner Jugendlichen die Sehenswürdigkeiten der Stadt und die Klubszene kennenlernten, trafen sich die »Offiziellen« unter anderem mit Aktivisten von Anti-Gewalt- und Opferhilfe-Projekten.

Die Gruppe gedachte am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten aber auch ihrer toten Freunde. Yael Dayan, Vorsitzende des Stadtrates von Tel Aviv, und die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind, sprachen den Jugendlichen Mut zu. Zum Gedenken wurden eine Regenbogenfahne mit eingenähter israelischer Fahne und Blumen niedergelegt. »Ich bin stolz auf diese Fahne», sagte Süsskind, »könnt ihr euch eine solche Fahne in einem arabischen Land vorstellen?« Auch wenn Homosexuelle in Israel und Deutschland noch nicht überall akzeptiert seien, hoffe sie, dass die Gäste merkten, wie weltoffen und gastfreundlich Deutschland geworden ist. Dazu hatten die Jugendlichen dann auch noch in Köln Gelegenheit, wo sie ebenfalls die Jüdische Gemeinde besuchten und an den Gay Games 2010 teilnahmen.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hat das Projekt von Anfang an unterstützt und war aktiv an der Vorbereitung und Planung der Reise beteiligt. Sie hat sich auch bereits letztes Jahr dem Berliner »Bündnis gegen Homophobie und Hassgewalt« angeschlossen.

Die »Regenbogenbrücke« ist ein weiterer Schritt zu gelebter Toleranz. Die Jugendlichen waren allesamt begeistert von ihrem Aufenthalt, fühlten sich sehr wohl hier und schlossen neue Freundschaften. Ziel ist es auch im Fortgang des Projektes, die Beziehungen zwischen beiden Städten dauerhaft zu etablieren, so dass irgendwann vielleicht eine offizielle Städtepartnerschaft entsteht, die es bislang zwischen Berlin und Tel Aviv noch nicht gibt. Für das kommende Jahr ist jedenfalls bereits ein Gegenbesuch in Tel Aviv geplant. Für diesen hat sich schon der eine oder andere Politiker angemeldet.       

André Lossin

 

_Israelische Seite für schwul-lesbischen Tourismus: gayisrael.org.il/tourism.php

_Ausführliche Darstellung der Rechte von Schwulen und Lesben in Israel:  hagalil.com/01/de/Israel.php?itemid=2196

_agudah.israel-live.de