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Prinz Jussuf in Berlin
03.Januar 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Ausstellung, Kultur
Zeichnungen von Else Lasker-Schüler im Hamburger Bahnhof
»Else Lasker-Schüler. Die Bilder«. Der knappe Titel bezeichnet die umfangreichste Ausstellung von Werken jener Dichterin, die Kenner eine »Poetin der Zeichenfeder« nennen. Die Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof zeigt ab 21. Januar rund 150 Zeichnungen, Collagen und Briefe der Wahlberlinerin. So kehren Else Lasker-Schülers Arbeiten symbolisch zurück in die Galerie, in der sie bis 1937 schon einmal hingen. Die Nationalsozialisten diffamierten die farbenfrohen, expressionistischen Blätter als »entartet«. Nach dem Krieg gerieten sie nahezu in Vergessenheit. Mit dieser Ausstellung erfährt Else Lasker-Schüler erstmals kunsthistorische Wertschätzung als bildende Künstlerin.
1869 in Elberfeld zur Welt gekommen, aber »geboren in Theben, Ägypten« sagte die exzentrische Dichterin über sich selbst und nannte sich »Prinz Jussuf von Theben«.
In den frühen Jahren von 1895 bis 1900 verstand sich Else Lasker-Schüler als bildende Künstlerin. Sie war seit 1894 mit dem Arzt Berthold Lasker verheiratet, möglicherweise eine Vernunftehe, in der es der temperamentvollen jungen Frau bald zu langweilig wurde. 1895 nahm sie Zeichenunterricht bei dem Max-Liebermann-Schüler Simson Goldberg und hatte ein eigenes Atelier. Wenige Jahre später, sie hatte sich nicht als bildende Künstlerin etablieren können, wandte sie sich der Lyrik zu. Ihre Briefe versah sie inzwischen mit gezeichneten Kommentaren: Sterne, Kometen oder Serien von Augen. Später illustrierte sie ihre schriftstellerische Arbeit selbst. Die Ehe mit dem bürgerlichen Arzt war inzwischen gescheitert. Else Lasker-Schüler hatte von da an zeitlebens mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie sagte: »Ich gehe immer unter den Balkonen durch die Straßen, so dass meine Eltern im Himmel meine Armut nicht sehen können!«
In Wilhelminischer Zeit schockte sie die Gesellschaft mit einem freizügigen Leben als allein erziehende Mutter. 1914 wurde sie in München insgesamt vier Mal verhaftet, weil ihre Garderobe Aufsehen erregte: Die zarte schwarzhaarige Frau mit den großen dunklen Augen trug gern glänzende Pluderhosen zu bunten Blusen, damals verpönten Glasperlenschmuck und sogar Glöckchen an den Fußgelenken. Heute wäre sie vermutlich eine Punkerin. Sie setzte sich für kostenfreie Verhütungsmittel und die Abschaffung des Paragraphen 218 ein.
Einer ihrer Geliebten war der Dichter Gottfried Benn. An ihn schrieb sie Gedichte in expressionistischer Manier und voller starker Bilder: »Ich weiß nicht, dass meine Hände so verschiedene Dinge tragen, in der rechten halte ich Sonnenblumen, in der linken eine Peitsche.«
Sie nannte sich Hieroglyph, dessen Tätigkeit »Worte vergolden« war, schrieb Dramen und erhielt den Kleistpreis, den damals wichtigsten Literaturpreis in Deutschland (jedenfalls die eine Hälfte des Preises, die andere bekam ein heute vergessener Schriftsteller-Kollege, Richard Billinger).
Ein thebetanisches Brautpaar. Zwischen 1927 und 1933, Kreiden auf Papier, Jüdisches Museum Frankfurt/Main, SMB
Altägyptische Grabungsfunde, die sie in einer Ausstellung im Berliner Neuen Museum 1913 kennen lernte, beeinflussten ihr literarisches wie zeichnerisches Werk. Else Lasker-Schüler griff Anregungen aus dem Altertum auf, stattete damit jene wichtige Figur »Jussuf, Prinz von Theben« aus. Diese sagenhafte Gestalt, angelehnt an den alttestamentlichen Josef, setzte sie zusammen aus ägyptischen Bezügen, aber auch aus jüdischen, islamischen und christlichen Elementen. Um die Jahrhundertwende waren mythologische und religionsgeschichtliche Fragen aktuell, und sicher haben Else Lasker-Schüler und ihre Freunde darüber diskutiert. So entstand ihr Kosmos voller orientalischer Theben-Motive.
Sie griff allerdings nicht nur auf die erwähnte historische Formensprache zurück, sondern übernahm Muster von den ihr nahe stehenden Künstlern. Der Maler des Blauen Reiters, Franz Marc, war ein enger Freund. Daneben trat Triviales in ihren Bildern auf, wenn sie etwa gold- und silberfarbenes Bonbonpapier in ihre Collagen klebte oder Flitter verwendete: Sie war nicht nur eine moderne und freiheitsliebende Frau, auch in ihrer Kunst setzte sie neue Maßstäbe und gehörte zur Avantgarde, indem sie Alltägliches wie Stanniolpapier verwendete. Etwa zeitgleich experimentierten Picasso und Bracque in Paris mit Tapeten in ihren Collagen, und Kurt Schwitters in Hannover klebte seine so genannten Merzbilder.
Oft wirken Else Lasker-Schülers bildnerische Arbeiten wie schnell hingeschrieben, ganz ähnlich einem handschriftlich aufgezeichneten Text. Meist benutzte sie Pastellkreiden, um Flächen mit gekringelten Mustern zu füllen oder sie schraffierte einfarbige Flächen. Die Bilder zeugen von sensiblem Gespür für Flächenaufteilung, Farbe und Komposition. Und zwar mit enorm sicheren Strich, der keinerlei Korrekturen benötigt.
Im April 1933 verließ Else Lasker-Schüler Berlin. Als jüdische Künstlerin der Avantgarde war sie doppelt gefährdet. Sie lebte eine Weile in der Schweiz, überwacht von der Fremdenpolizei und aus unerfindlichen Gründen mit Schreibverbot belegt. 1937 auf der zweiten Reise nach Palästina schrieb sie das Prosawerk »Das Hebräerland«. Darin feierte sie die Pioniere, »die Palästina aus seinem tausendjährigen Sagenschlaf erweckt« hätten.
Schließlich, bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, als die Schweiz ihr die Einreise verweigerte, ließ sie sich endgültig in Palästina nieder. Sie besuchte auch Ägypten, die Heimat ihres zweiten Ichs, Jussuf von Theben. Doch die Konfrontation mit der Realität bekam der Kunstfigur nicht gut: Sie unterschrieb Briefe aus Jerusalem mit »Prinz von Theben (ade)«. Sie erfand eine neue Gegenwelt zur Wirklichkeit und bevölkerte ihre Zeichnungen mit Indianern. Sie erschuf sich neue Gestalten, etwa »der blaue Jaguar« oder »Pampeia«.
Das Ende des Nationalsozialismus in Deutschland hat Else Lasker-Schüler nicht mehr erlebt. Schwer krank und einsam starb sie im Januar 1945 in Jerusalem und wurde auf dem Ölberg beigesetzt.
Judith Meisner
_ »Else Lasker-Schüler. Die Bilder«: 21.1.– 1.5.2011, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, Invalidenstr. 50-51. Di – Fr 10–18, Sa 11–20, So 11–18 Uhr.
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