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»Paul wer?«

01.Februar 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Menschen

Zum 100. Todestag des jüdischen Berliner Sozialdemokraten Paul Singer

Am 31. Januar jährte sich der Todestag von Paul Singer zum 100. Mal. »Paul wer?«, werden viele fragen. Dabei war der gebürtige Berliner einer der Bedeutendsten und Populärsten der frühen Sozialdemokratie und zugleich einer ihrer größten Mäzene.

Singer wurde am 16. Januar 1844 als jüngstes Kind in einer jüdischen Händlerfamilie geboren. Seinen Vater verlor er bereits mit vier Jahren. Das brachte die Familie in große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Er musste die Realschule verlassen, begann mit 14 Jahren eine kaufmännische Lehre und war anschließend in der Konfektionsbranche in Berlin tätig. Zu Wohlstand gelangte er erst, als er gemeinsam mit seinem älteren Bruder Heinrich 1869 die Damenmäntelfabrik »Gebrüder Singer« gründete.

Politisch war er schon früh interessiert. Nach Umwegen über die Liberalen wurde er 1869 Mitglied der gerade gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Er lernte Wilhelm Liebknecht und August Bebel kennen und schätzen. Mit ihnen verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Politisch hielt er sich im Hintergrund, unterstützte seine Partei aber materiell. Dafür engagierte er sich für den von ihm mitbegründeten »Berliner Asylverein für Obdachlose«, dem er sein Leben lang auf das Engste verbunden blieb.

Als die Sozialdemokratie 1878 im Kaiserreich verboten wurde, begann er, offen für sie aktiv zu werden. Seine finanzielle Unabhängigkeit und die Zeit, die er aufbringen konnte, ließen ihn schnell wichtige Funktionen übernehmen.

Paul Singer, Zeichnung aus dem »Vorwärts« vom 5.2.1911

Paul Singer, Zeichnung aus dem »Vorwärts« vom 5.2.1911

Seit den Wahlen vom Oktober 1883 war er Stadtverordneter in Berlin und blieb dies bis zu seinem Tode. Im Oktober 1884 wurde er im Berliner Wahlkreis 4 direkt in den Reichstag gewählt. Immer wieder gab es antisemitische Anfeindungen und Verleumdungen. So wird es ihn gefreut haben, dass er bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit errang und den Kandidaten der antisemitischen Deutschkonservativen Partei mit großem Abstand schlug. Sein politischer Freund Richard Fischer erinnerte sich 1911: »Singers Eintritt in die Partei erfolgte ja gerade zu der Hochflut der antisemitischen Hetze jenes Hofdemagogen [Stoecker] ... Er hätte es für einen Akt der Feigheit gehalten, sich in jener Zeit von der Seite derer, die mit ihm verfolgt wurden, zu trennen, bloß um den Gegnern eine Waffe zu entwinden. So blieb er seiner Gemeinde treu und trat stolz den niederträchtigen Verleumdungen entgegen.« (Vorwärts, 7.2.1911)

Singer blieb zeitlebens Mitglied der jüdischen Gemeinschaft. Dass er als überzeugter Sozialist dabei der Religion distanziert gegenüberstand, sollte nicht verwundern.

Auch in den Reichstag wurde er immer wieder gewählt, wobei er stets im Berliner Wahlkreis 4 antrat, der aus heutiger Sicht das östliche Kreuzberg und große Teile Friedrichshains umfasste.

Im Juni 1886 wurde er aus Preußen ausgewiesen und zog nach Dresden. Die Ausweisung hatte auch berufliche Auswirkungen. Er schied zum 1. Januar 1888 aus der Geschäftsleitung seiner Firma aus.

Nach dem Auslaufen des »Sozialistengesetzes« 1890 wählte ihn die sich nun SPD nennende Partei gemeinsam mit Alwin Gerisch (ab 1892 mit August Bebel) zu einem ihrer beiden Vorsitzenden. Diese Funktion übte er bis zu seinem Tod aus.

»Er war«, schrieb Theodor Wolff im Berliner Tageblatt am 31. Januar 1911, »groß, breitschultrig und wuchtig von Gestalt, sein Organ war durchdringend, seine Gesten zeugten von unerschütterlicher Sicherheit. Man brachte ihn nie aus dem Gleichgewicht, weder in einer stürmischen Volksversammlung noch im Parlament Er wurde () von allen, die mit ihm arbeiteten, ungemein geschätzt () und half über manche Schwierigkeiten der Diskussion mit seinem behaglichen Humor, seiner gemütlichen Ironie hinweg.«

Er war unbestechlich in seinen Anschauungen, nur seinem Gewissen und Gerechtigkeitssinn verpflichtet. Schon zwei Tage nach den Berliner Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung 1883 hatte sich in der Neuen Zürcher Zeitung eine bemerkenswerte Einschätzung gefunden: »Unter den gewählten Sozialisten befindet sich ein Mann, der in der Tat große Aufmerksamkeit verdient, denn er dürfte in der sozialistischen Bewegung noch einmal die Rolle eines Führers spielen. Herr Paul Singer, als Arbeiterkandidat aufgestellt, ist einer der stillsten und tätigsten Sozialdemokraten Berlins und dabei Inhaber eines der größten Berliner Konfektionsgeschäfte. Sein Wohltun ist sprichwörtlich, sein Wesen trotz aller Güte energisch und bestimmt. Bestechend und gewinnend wirkt auf jeden, daß er sich aus Liebe zu den Armen und Bedrückten der Arbeiterbewegung widmet, in Erinnerung daran, daß er selbst aus jenen Schichten emporstieg.«

Sein Engagement für die Schwachen und Hilfsbedürftigen haben ihm, dem im besten Sinne »Volkstribun«, die Berliner nicht nur bei den Wahlen nicht vergessen. Hunderttausende folgten am 5.2.1911 seinem Sarg und säumten die Straßen von der Lindenstraße in Kreuzberg bis zum Friedhof in Friedrichsfelde, wo er bei seinen politischen Weggefährten bestattet wurde. Sein Grabmal, ein schöner schwarzer Obelisk, ist heute in die Gedenkstätte der Sozialisten integriert.

Holger Hübner