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»Niemand greift mich ungestraft an«
01.Februar 2007 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur, Menschen
Ein Nachlass gibt Auskunft über jüdisches Verbindungsleben in Berlin. Von Daniela Gauding
Die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum bewahrt Erinnerungsstücke aus dem Nachlass der Familien Cohn und Marcuson auf, die großzügigerweise von Cati Holland, geborene Cohn, aus Hadera überlassen wurden. Diese Erinnerungsstücke haben eine Weltreise hinter sich, denn Cati Holland wurde 1937 in Ecuador, im Exil ihrer Familie, geboren. Nun, nach sieben Jahrzehnten, kehrten einige Andenken ihrer Eltern an ihren Ursprungsort zurück.
Neben alten Familienfotos ziehen besonders farbige Bänder und Abzeichen des jüdischen Studentenverbandes K.C. das Augenmerk des Betrachters auf sich. Sie gehörten dem Vater Cati Hollands, Siegbert Cohn. Er wurde 1899 in Berlin als Sohn der Putzmacherin Recha Cohn und des Besitzers einer Tabakladenkette, Moritz Cohn, geboren. Nachdem Siegbert als Soldat der kaiserlichen Armee im Ersten Weltkrieg gedient hatte, ermöglichten die Eltern ihrem einzigen Kind ein Medizinstudium.
Viele schlagende Studentenverbindungen der Bismarck- und der Wilhelminischen Ära verweigerten per Statut jüdischen Studenten die Teilnahme an Vereinen. Als Antwort darauf gründeten Juden in den 1880er Jahren eigene Korporationen, die sich an die Traditionen der deutschen Studentenvereinigungen anlehnten, sich jedoch untereinander in weltanschaulicher Orientierung und äußerer Form unterschieden.
Während des Ersten Weltkrieges hatten junge Männer wie Siegbert Cohn in der deutschen Truppe ebenfalls den Antisemitismus zu spüren bekommen: „Unsere Feldgrauen kehren „jüdischer“ heim, als sie hinausgegangen sind. (...) Die bittere Schmach der Judenzählung hat tief getroffen.“
Sicher war diese Diskriminierung der Grund dafür, dass sich der „stud. med. Siegbert Cohn“ 1919 bei der jüdischen Korporation „Sprevia“ in Berlin „aktiv meldete“, die wiederum dem 1896 gegründeten Studentenverband K.C. (Kartell-Convent jüdischer Korporationen) angehörte. Ihr Selbstbild und ihre Ziele beschrieben die K.C.-Brüder 1919 folgendermaßen: „Die Verbindungen im K.C. stehen auf dem Boden deutschvaterländischer Gesinnung. Sie haben zum Zweck den Kampf gegen den Antisemitismus in der deutschen Studentenschaft und die Erziehung ihrer Mitglieder zu selbstbewußten Juden, die im Bewußtsein, daß die deutschen Juden einen durch Geschichte, Kultur- und Rechtsgemeinschaft mit dem deutschen Vaterland unauslöslich verbundenen Volksteil bilden, jederzeit bereit und imstande sind, für die politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Juden einzutreten.“
Der Zulauf zur „Sprevia“ war nach Kriegsende so groß, dass am 10. Februar 1919 eine weitere Berliner Korporation, die „Silesia“, gegründet wurde. Siegbert Cohn trat freiwillig von der „Sprevia“ in die „Silesia“ über. Die Korporationsfarben der „Silesia“ waren violett-silber-hellgrün und es wurden hellgrüne Mützen getragen. Ein Foto zeigt Siegberts K.C.-Bruder Herbert Rummelsburg in der Uniform der Verbindung, deren Wahlspruch lautete: „Nemo me impune lacessit“ – „Niemand greift mich ungestraft an“.
Treffpunkt der K.C.-Brüder war ab 1919 das K.C.-Heim in der Charlottenburger Englischen Straße 27. Die Zahl der „neuen Füchse“ in der „Silesia“ wuchs schnell. Das Verbindungsleben war rege und neben den üblichen studentischen Ritualen, Bierabenden, Frühschoppen und „Bällen mit Damen“, geprägt von Vorträgen und Diskussionen.
Nach der Promotion 1923 etablierte sich Siegbert Cohn erfolgreich als Arzt am Krankenhaus Neukölln. 1927 heiratete er seine langjährige Braut Else Marcuson. Sie war Putzmacherin und betrieb zusammen mit Siegberts Mutter das Geschäft „Conrad Sonja Modellhüte“ am Kurfürstendamm 229. 1929 wurde Töchterchen Gerda Eveline Miriam geboren. Die junge Familie lebte in der Rüdesheimer Straße 10, seine Praxis führte Cohn in der Spessartstraße 15. Else und Siegbert genossen das Berliner Kulturleben: sie sangen im Chor der Berliner Ärzte und Siegbert war Mitglied im Charlottenburger Hockey-Club.
1933 erkannte Siegbert Cohn schnell, dass das Wohl seiner Familie gefährdet war. Noch im selben Jahr emigrierte er allein nach England, um später seine Familie nachzuholen. Doch die Engländer erkannten sein medizinisches Examen nicht an. Cohn reiste nach Chile weiter, wo bereits sein Onkel Maximo Bash lebte. 1934 folgten ihm Frau und Tochter sowie seine Eltern.
Der Neubeginn im Exil war schwer. Siegbert mußte nach Ecuador – dort konnte er die für die Approbation nötigen Kurse und Prüfungen in spanischer Sprache in „nur“ zwei Jahren absolvieren. Während dieser Zeit ernährte Else Cohn die Familie mit den Einnahmen aus einem Hutgeschäft, das sie in Santiago de Chile eröffnet hatte. Da die ecuadorianischen Behörden Siegbert nicht nach Chile ausreisen ließen, zogen Frau und Tochter 1936 zu ihm nach Guayaquil. Hier wurde 1937 die Stifterin Catalina Esther Rosalia Cohn geboren und wurde Siegbert Cohn auch Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. 1951 kehrte die Familie nach Chile zurück und wanderte 1966 nach Israel weiter.
All die Jahre, bis zu seinem Tod 1971 blieb Siegbert Cohn in Kontakt mit seinen auf der ganzen Welt verstreut lebenden K.C.-Verbindungsbrüdern.
Wenn die Humboldt-Universität 2010 ihr 200-jähriges Gründungsjubiläum feiert, möchte das Centrum Judaicum das Leben und die Leistungen ehemaliger jüdischer Studenten und Lehrender in der Öffentlichkeit würdigen. Wir wären sehr dankbar, wenn auch andere ehemalige Berliner und ihre Familien helfen, mit ihren Fotos und Erinnerungsstücken den Alltag jüdischer Studenten und Dozenten an deutschen Universitäten darzustellen.
Kontakt: Daniela Gauding, Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 28-30, 10117 Berlin, gauding@cjudaicum.de, Fax: 880 28-405
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