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Nazikollaborateur als neuer Held der Ukraine
01.April 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Politik
Stepan Bandera (1909–1959), eine der umstrittensten Figuren der ukrainischen Geschichte, war unter kommunistischer Herrschaft jahrzehntelang verpönt. Nun entdecken ihn ukrainische Nationalisten für sich.
Im Juni 1941 wurden mehrere Tausend ukrainische Nationalisten nach einem gescheiterten Aufstand in den Lemberger Gefängnissen inhaftiert und im Zuge des Vormarsches der deutschen Truppen im Auftrag des russischen Volkskommissariats ermordet. Bereits einige Tage später, am 30. Juni, wurde Lemberg von der deutschen Wehrmacht und dem von Stepan Bandera mitinitiierten ukrainischen Freiwilligenbataillon »Nachtigall« eingenommen. Im Zweiten Weltkrieg hatte der Gründer der Ukrainischen Aufständischen Armee und Führer einer der beiden Flügel der ukrainischen Nationalistenorganisation OUN seine Anhänger für den Kampf gegen die Sowjetunion von Deutschen ausbilden lassen. Die Deutschen ließen noch am selben Tag Flugblätter und Plakate verteilen, in denen »jüdische Bolschewiken« für die Morde in den Gefängnissen verantwortlich gemacht wurden. Unmittelbar danach kam es zu Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung Lembergs. Die OUN verhaftete Juden und trieb sie in Massen zu den Gefängnissen, in dem sich die Leichen der vormaligen Insassen befanden. Diese mussten sie aus Massengräbern und Zellen holen und zur Leichenschau in die Gefängnishöfe bringen. Sie wurden misshandelt, unter anderem wurden sie einem für viele tödlich ausgehenden Spießrutenlauf ausgesetzt. Allein an diesem Tag wurden über hundert Menschen erschlagen und unzählige verletzt. Innerhalb der ersten drei Tage nach dem Einmarsch der Deutschen wurden ungefähr 7 000 Juden umgebracht. »Volk! Das musst Du wissen, Moskowiten, Polen, Ungaren und Juden – sie sind deine Feinde. Vernichte Sie! Das musst Du wissen! Deine Führung – das ist die Führung der ukrainischen Nationalisten, die OUN. Dein Führer – Stepan Bandera«, so lautete die Propaganda für diese Gräuel in einer Ansprache aus dem Führungskreis am 1. Juli.
Im Laufe des Monats kam es unter der deutschen Besatzung zu weiteren, gut geplanten Pogromen. Unter anderem erschossen deutsche »Sondereinheiten« über 3 000 Juden. Nach unterschiedlichen Quellen lebten in Lemberg bis zu 140 000 Juden; die wenigsten überlebten die Zeit der deutschen Besatzung.
Bandera selber, der am Tag des Einmarsches der Deutschen den unabhängigen Staat Ukraine ausgerufen hatte, wurde dies zum Verhängnis – die Unabhängigkeit war mit den Plänen der deutschen Nazis nicht kompatibel. Deshalb wurde er verhaftet und kam in das KZ Sachsenhausen. 1944 wurde Bandera entlassen. Nach Kriegsende lebte er in Deutschland und setzte seinen Kampf gegen die UdSSR fort. Wegen seiner antisowjetischen Umtriebe verurteilte man ihn in der Sowjetunion in Abwesenheit zum Tode. Ständig auf der Flucht vor dem Geheimdienst KGB wurde er 1959 in München entdeckt und von einem KGB-Agenten mit Blausäure vergiftet.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion unternahmen verschiedene Historiker und Politiker im Rahmen einer nationalen Selbstfindung den Versuch, Banderas Rolle zum Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit umzudeuten, trotz der ideologischen Übereinstimmung zwischen Bandera und den Nazis. Der russische Historiker Ilja Altman, Autor von »Opfer des Hasses: Holocaust in der UdSSR«, weist nach, dass die Pläne der OUN inhaltlich an die »Endlösung der Judenfrage« des deutschen Nationalsozialismus anknüpfen. Im April 1941, also noch vor dem Einmarsch der Deutschen, lautet der Beschluss eines OUN-Kongresses: »Die Juden sind die am meisten ergebene Stütze des bolschewistischen Regimes und die Avantgarde des Moskauer Imperialismus in der Ukraine. OUN kämpft gegen die Juden, weil sie die Stütze des Moskauer bolschewistischen Regimes sind, gleichzeitig wird den Volksmassen erklärt, dass Moskau der Hauptfeind ist.« Im Mai 1941 heißt es in einer Instruktion »Zum Kampf und die Tätigkeit der OUN während des Krieges«, dass Juden im Gegensatz zu Polen und Russen auch in der Phase nach dem Krieg nicht assimilationsfähig sind, sie also vernichtet oder zwangsumgesiedelt werden müssten.
Kurz vor Ende seiner Amtszeit zu Beginn diesen Jahres verlieh der ehemalige Präsident Wiktor Jusch-tschenko Bandera die höchste Auszeichnung, die die ukrainische Regierung ihren Bürgern zu verleihen hat: den Titel »Held der Ukraine«.
Die Ehrung rief eine Welle der Empörung sowohl im Ausland, besonders in Russland und Polen, als auch in der Ukraine selbst hervor. Das Europäische Parlament protestierte mit einer Resolution gegen Banderas Glorifizierung und äußerte die Hoffnung, dass der neue Präsident der Ukraine diesen Präsidialerlass revidiere. Mehrere jüdische Organisationen, darunter das Simon-Wiesenthal-Zentrum, verurteilten die Ehrung und wiesen darauf hin, dass Bandera Mitschuld am Tod von Tausenden Juden trage.
Nach den internationalen Protesten hat der neue ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch die Rücknahme der Ehrung Banderas in Aussicht gestellt. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht nur bei Worten bleibt, sondern die Verleihung des Ehrentitels an Bandera tatsächlich rückgängig gemacht wird – zur Not mit Hilfe weiterer Proteste im In- und Ausland.
Andernfalls müsste die Glorifizierung Banderas als grundsätzlicher Mangel in der ukrainischen Erinnerungsarbeit gedeutet werden, in einem Land, in dem es zum Genozid am jüdischen Volk kam.
Levi Salomon, Isabella Hobe, Hannes Tulatz
jüdisches berlin
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