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Nathan, Jacob, Moritz, Berthold, Wilfrid…
01.Februar 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Menschen, Orte
Das Schicksal der Berliner Familie Israel und ihres Warenhauses
Der Modebazar Hermann Gerson & Camp. am Werderschen Markt war 1849 das erste Berliner Kaufhaus. Nach der Reichsgründung 1871 entwickelte sich Berlin zur Metropole, und weitere jüdische Unternehmer gründeten Warenhäuser. Zu den innovativsten zählten die Israels. Angehörige der Familie waren bereits 1741 aus Schneidemühl/Pommern nach Berlin gekommen und wurden zunächst als »Schutzjuden« geduldet. Jacob Israel (1753–1821), der am Molkenmarkt einen Kleiderhandel betrieb, erhielt 1809 das Bürgerrecht, sein Sohn Nathan (1782–1852) 1815. Nach drei Jahren Altkleiderhandel begann er in der Jüdenstraße 18 mit dem Handel schlesischer Leinenstoffe. Er gilt als Gründer des Kaufhauses Israel.
Der Erfolg Nathan Israels steht beispielhaft für die Emanzipation der deutschen Juden nach Bekanntgabe des »Edikts, betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in den Preußischen Staaten« vom 11. März 1812. Israel war auch Lotterie-Obereinnehmer und gehörte zu den Stiftern der Altersversorgungsanstalt der Jüdischen Gemeinde. 1830 verlegte er sein Geschäft zum Molkenmarkt 2, 1843 kaufte er das schmale dreiachsige, dreigeschossige Bürgerhaus Spandauer Straße 28.
Seine Söhne Jacob und Moritz eröffneten 1870 unter Hinzunahme des Nachbargrundstücks ein Warenhaus. 1879 bis 1883 arbeitete hier als »Konfektionär« Samuel Fischer, der mit seinem Verlag später berühmt wurde. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die Firma N. Israel über die Häuser Spandauer Straße 26–32 ausgedehnt. Anders als Tietz und Wertheim verzichtete die Familie Israel in der Folgezeit auf weitere Filialen. Moritz Israel ließ sich auszahlen und erwarb 1888 das Rittergut Schulzendorf bei Königs Wusterhausen, er starb 1895 und ruht auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee (Feld M 1). Sein Sohn Richard musste 1939 das Gutshaus Schulzendorf verlassen und in eine sogenannte Judenwohnung nach Berlin ziehen. Am 17. März 1943 wurden er und seine Frau nach Theresienstadt deportiert, er starb dort wenig später, die Ehefrau überlebte.
Jacob Israel – nach der Auszahlung von Moritz Alleineigentümer – war verheiratet mit Minna Adler, der Tochter des Oberrabbiners von England, und erhielt 1886 den Titel »Königlicher Kommerzienrat«. Die von ihm geleitete Firma N. Israel betrieb Einzel- und Großhandel mit Kunden in Deutschland und Osteuropa. Der Vertrieb lief auch über Handelsvertreter und Versandkataloge. Abnehmer waren u. a. das Militär, kirchliche Einrichtungen und Krankenhäuser. Jacob starb 1894 und verfügte testamentarisch, das Warenhaus könne in Zukunft auch am Sonnabend geöffnet werden, wenn die Firma der Jüdischen Gemeinde zu Berlin jährlich eine ansehnliche Spende zukommen ließe.
Nun waren Jacobs Söhne für das Familienunternehmen verantwortlich: Berthold Israel (1868–1935), sein Bruder Hermann beging 1905 Selbstmord, hatte bereits den Abriss der Bürgerhäuser in der Spandauer Straße zugunsten eines Neubaus verfügt. In drei Bauabschnitten entstand zwischen 1899 und 1914 nach einem Entwurf von Ludwig Engel auf den Grundstücken in der Spandauer Straße ein monumentaler Stahlskelettbau. Engels Bau war ein Beispiel für die beginnende Abkehr vom Historismus und beeinflusst von Alfred Messels Entwurf für das Warenhaus Wertheim in der Leipziger Straße. Das Warenhaus Israel belegte eine Gesamtgrundfläche von mehr als 5000 qm und umfasste 1914 eine Straßenfront von 200 Quadratmetern. In den beiden Lichthöfen führten großzügige Freitreppen und Aufzüge in die oberen Etagen. Das Haus bot auch Möbel an und präsentierte eine ständige Ausstellung eingerichteter Zimmer.
Berthold Israel öffnete das Geschäft ab 1907 auch am Schabbat, hielt das Haus aber als gläubiger Jude weiterhin an hohen jüdischen Feiertagen geschlossen. Er war Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde, Vorstandsmitglied der Synagoge Lützowstraße und unterstützte finanziell die konservative Deutschnationale Volkspartei.
Der Nachwuchs für das Haus wurde in einer eigenen Handelsschule herangezogen. Das Warenhaus Israel sorgte durch eine eigene Alters- und Krankenversicherung für seine Angestellten und förderte die Freizeitaktivitäten durch Theatergruppe und Ruderclub.
1927 ließ Berthold Israel die Verkaufsfläche in der Königstraße 9–10 durch einen Erweiterungsbau im Stil der Neuen Sachlichkeit vergrößern, erbaut von Heinrich Straumer, dem Architekten des Berliner Funkturms.
Unter dem Hauptgesims angebrachte, verdeckte Lichtbänder hoben in der Dunkelheit die Fassade hervor. Der Mittelteil des Altbaus erhielt einen Verbindungstrakt zum Erweiterungsbau. Ein neuer marmorverkleideter Lichthof und gewaltige Beleuchtungskörper schufen ein festliches Ambiente. Der gesamte Komplex wurde im Krieg jedoch zerstört und später abgeräumt.
Berthold Israel, seit 1912 Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins, hatte seine Cousine Amy Solomon geheiratet und lebte mit ihr und den Söhnen Wilfrid und Herbert abwechselnd in seiner Villa auf Schwanenwerder und in der Tiergartener Hildebrandstraße. 1928 übergab er die Direktion an Sohn Wilfrid. Zu dieser Zeit beschäftigte das Haus etwa 2000 Arbeiter und Angestellte. Nach der Machtübernahme der Nazis lehnten die Brüder am 30. März 1933 die Forderung eines SA-Kommandos nach Entlassung aller jüdischen Mitarbeiter kategorisch ab. Am 1. April 1933 standen vor allen Eingängen des Warenhauses SA-Posten, die potentielle Kunden auf die jüdischen Eigentümer hinwiesen. Rafael Buber, der Sohn des Religionsphilosophen Martin Buber, arbeitete als Verkaufsleiter bei der Firma Israel. Wilfrid Israel konnte am 5. April seine Freilassung aus SA-Haft erst erwirken, als dieser sein Ausscheiden aus dem Unternehmen versprach. Israel zahlte ein volles Jahresgehalt und half Rafael Buber bei der Emigration. WiIfrid Israel hatte, in London geboren, neben der deutschen auch die britische Staatsangehörigkeit. Er engagierte sich in Hilfsorganisationen für jüdische Emigranten. Sein Vater Berthold starb 1935 im Alter von 67 Jahren in seinem Haus in der Hildebrandstraße und fand auf dem jüdischen Friedhof Schönhauser Allee die letzte Ruhe (Feld L3). Rabbiner Leo Baeck, Präsident der Reichsvertretung der Deutschen Juden, hielt die Trauerrede.
Wilfrid Israel wurde 1935 seines Postens als »Betriebsführer« enthoben, bestimmte im Hintergrund aber weiter die kaufmännischen Belange. Erst nach dem Pogrom vom 9. November 1938 sah sich die Familie 1939 zum Verkauf des Unternehmens an die Emil-Köster-AG gezwungen. Das Warenhaus nannte sich nunmehr »Das Haus im Zentrum«. WiIfrid Israel half durch seine internationalen Beziehungen seinen entlassenen jüdischen Angestellten bei der Emigration und siedelte selbst im Mai 1939 nach London über (sein Bruder in die USA). Hier setzte er seine humanitäre Arbeit fort. Ende März 1943 flog er nach Lissabon, um dorthin geflüchteten Juden die Weiterreise nach Palästina zu ermöglichen. Auf dem Rückflug wurde das Flugzeug am 1. Juni 1943 über dem Golf von Biskaya von der deutschen Luftwaffe abgeschossen, Wilfrid Israel starb mit allen anderen Insassen.
An der Rathausstraße Ecke Spandauer Straße vor dem Nikolaiviertel erinnern zwei Stolpersteine an das frühere Warenhaus Israel und das Schicksal von Wilfrid Israel.
Martin Mende
Herzlichen Dank an den Autor und den Verein für die Geschichte Berlins für die Abdruckgenehmigung.
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