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Nadelöhr

01.Januar 1970 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft

Weniger Zuwanderer und Mitglieder in den Jüdischen Gemeinden


Das seit einigen Jahren diskutierte demographische Szenario schrumpfender Jüdischer Gemeinden in Deutschland wird durch die neue Mitgliederstatistik der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland erneut bestätigt. Die Statistik wird jährlich von der ZWST auf Grundlage der gemeldeten Daten aus den einzelnen Gemeinden erhoben. Auch die aktuellen Zahlen für 2012 spiegeln vor allem den Abwärtstrend bei der Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wider sowie die weitere dramatische Überalterung der Gemeinden

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg hat für das vergangene Jahr erstmals unter 1 000 jüdische Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gemeldet (auch die Einwanderung nach Israel ist mit 16 577 Menschen in 2012 rückläufig). In den 20 Jahren davor waren jährlich zwischen zehn- und zwanzigtausend Juden (und nichtjüdische Familienmitglieder) eingewandert, von denen etwa die Hälfte in Jüdische Gemeinden eingetreten sind.

Für das Erliegen der Zuwanderung gibt es etliche Gründe: Die meisten Juden, die starke Migrationsmotive hatten, sind bereits ausgewandert, das Leben in Deutschland ist weniger attraktiv als erwartet, die Arbeitsmarktlage ist zunehmend schwierig und die Hürden für eine Einwanderung sind deutlich höher geworden. Denn 2005 wurde das Kontingentflüchtlingsgesetz abgeschafft und durch ein allgemeines Zuwanderungsgesetz ersetzt, das 2007 für jüdische Zuwanderer aus den GUS-Ländern noch modifiziert wurde. Es sieht im Vorfeld den Nachweis von Sprachkenntnissen, Altersbeschränkungen, positive »Integrationsprognosen« (wer jünger als 30 ist und älter als 45 gilt als nicht genug qualifiziert bzw. schwer vermittelbar), Aufnahmezusagen von jüdischen Gemeinden in Deutschland und natürlich den Nachweis der jüdischen Herkunft vor. Auch darf der Zuwanderungskandidat keine Funktion innegehabt haben, »die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems als bedeutsam galt«, so das Innenministerium 2011.

Nadelöhr

Der Rückgang der Einwanderung hat Auswirkungen auf die Mitgliederzahlen der Gemeinden. Wir erinnern uns: Ende 1989 hatten die Jüdischen Gemeinden in Deutschland gerade einmal 27 711 Mitglieder. Dank der enormen Zuwanderung seit Anfang der 90er Jahre erreichten die Zahlen 2006 ihren bisherigen Höchststand mit 107 794 Mitgliedern. Danach jedoch ging es sukzessive wieder abwärts, und der Trend hält an: Anfang 2013 zählen die Gemeinden nur noch 102 135 Mitglieder. Es gab insgesamt doppelt so viele Abgänge wie Zugänge, wobei große Städte (Gemeinden) zugleich von der Fluktuation aus kleineren Städten profitieren, wie Heike von Bassewitz feststellt, die bei der ZWST die Statistik erstellt. Diese Verschiebungen mag den geringeren Arbeitsmarkt- und Bildungschancen in kleineren Orten geschuldet sein.

Der zweite wesentliche Grund für das Schrumpfen der Mitgliederzahlen ist die weiter zunehmende Überalterung. In Berlin sind 43% der Mitglieder über 60 Jahre alt und 11% unter 19 Jahre – eine Proportion, die im Bundesdurchschnitt noch ungünstiger und in einigen Gemeinden nahezu dramatisch ausfällt. Eine klassische Zuwanderergemeinde wie Potsdam beispielsweise hat sogar 61% über 60-Jährige und nur 2,5% bis 18-Jährige zu melden gehabt. Angesichts einer solchen Altersstruktur konnten 2012 bundesweit nur 199 Geburten registriert werden, denen 1 282 Todesfälle gegenüberstanden – ein Verhältnis der Geburten- zur Sterberate von etwa 1 : 6,5.

Hoffnung macht da allein der Zuzug aus dem Ausland, unter anderem von jungen Israelis. Hier kann vor allem Berlin punkten mit 249 Zugängen aus anderen Ländern und 99 aus anderen Gemeinden (bei 112 Austritten, 43 Wegzügen in andere Gemeinden und 33 ins Ausland sowie 181 Todesfällen); zum Vergleich: 2011 gab es 104 Austritte und 2010 waren es 140. Insgesamt hatte die Berliner Gemeinde zum 31.12.2012 10 237 Mitglieder (1990: 6 835, 1998: 10 724, 2000: 11 190, 2011: 10 214) und ist vor München nach wie vor die größte Stadtgemeinde Deutschlands.       

Judith Kessler