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Mit dem Smartphone zu Kempinski

01.September 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Das neue Leitsystem für die jüdischen Friedhöfe führt zu 160 Gräbern

Zur Einweihung des Friedhofes Weißensee am 9. September 1880 zu Erew Rosch Haschana sagte Rabbinatsassessor Dr. Frankl: »Das Geschlecht ehrt sich selbst, das seine Toten ehrt«. Dieser Grundsatz jüdischer Friedhofskultur war über 130 Jahre später auch bestimmend für das elektronische Leitsystem, das für die Friedhöfe Weißensee, Schönhauser Allee und Große Hamburger Straße entwickelt wurde und jetzt mittels Smartphone über Gräber und Geschichte informiert.

Kurt Tucholskys Gedicht über den Friedhof Weißensee ist vielen Literaturinteressierten bekannt. Aber was haben der Komponist Louis Lewandowski, der Rabbiner Martin Riesenburger, der Hotelbesitzer Berthold Kempinski, der Verleger Rudolf Mosse, der Widerstandskämpfer Herbert Baum, der Künstler Lesser Ury und der Kaufhauskönig Adolf Jahndorf gemeinsam? Richtig! Sie alle sind auf dem größten noch erhaltenen jüdischen Friedhof Europas beerdigt.

»Hier kann man sich aber verlaufen« – ein nicht selten gehörter Satz in der Friedhofsverwaltung. Obwohl er vom Leipziger Stadtbaudirektor Hugo Licht streng geometrisch, nur durch Schmuckplätze aufgelockert, angelegt wurde, finden sich nur Eingeweihte und Kenner ohne Plan auf dem Friedhof zurecht – immerhin befinden sich auf den fast 43 Hektar nahezu 116.000 Gräber.

Hinweisschild auf dem Friedhof Weißensee

Hinweisschild auf dem Friedhof Weißensee

Das ändert sich nun: Am 20. Juni 2012 stellten der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Dr. Gideon Joffe, Landeskonservator Prof. Jörg Haspel, der Gemeindegeschäftsführer André Lossin und Dr. Dirk Krögel von der Senatskulturverwaltung das neue Leitsystem für die drei historischen Friedhöfe vor. Der Rundgang dauert vier Stunden und führt zu 81 Grabmälern von prominenten Künstlern, Verlegern, Ärzten, Industriellen, Gastronomen und Philosophen. »Hier liegt das gesamte wirtschaftliche Aufblühen unserer Stadt im 19. Jahrhundert«, betonte Dirk Krögel, im Senat für die Religionsgemeinschaften zuständig. »Der Friedhof betrifft deshalb alle Berliner.« Das Besondere an der Tour, die die Gemeinde mit Unterstützung der Klassenlotterie und des Landesdenkmalamtes erarbeitet hat: Sie lässt sich nicht nur anhand einer Broschüre nachvollziehen, sondern auch als GPS-Leitsystem kostenlos aufs Smartphone herunterladen. Auf einer Tafel am Eingang an der Herbert-Baum-Straße befindet sich der Hinweis auf die Internetseite www.juedische-friedhoefe-berlin.de und der QR-Code zum Herunterladen.

Seit 2005 bemüht sich die Gemeinde mit dem Berliner Senat, den Friedhof auf die UNESCO-Weltkulturerbeliste setzen zu lassen. Seitdem wurden rund 100 Grabanlagen und große Teile der kilometerlangen Mauer saniert, auch mit Mitteln des Landes und des Bundes. Jetzt sei der Friedhof in einem »ausgezeichneten Zustand«, lobte Landeskonservator Haspel. Nun wird der Senat die Nekropole der deutschen Kultusministerkonferenz zur Aufnahme in die Weltkulturerbe-Liste vorschlagen; diese wählt die interessantesten Vorschläge aus und reicht sie 2013 bei der UNESCO in Paris ein. Dort wird in einem mehrere Jahre dauernden Prozess über die Aufnahme entschieden. Landeskonservator Haspel glaubt, der Friedhof Weißensee habe »sehr gute Aussichten«.

Hendrik Kosche