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»Miss Persien« und der verborgene Gott
01.März 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Religion
Rabbinerin Gesa Ederberg über Purim als Modell für Gottes Handeln in der Gegenwart
Nicht Indianer, Cowboys und Prinzessinnen, sondern Mordechai und Königin Esther! Die Hauptpersonen der Esthergeschichte prägen jüdische Kindheiten, denn zu Purim verkleidet man sich, und besonders gerne natürlich als die Helden oder Bösewichter der zugrundeliegenden Geschichte. Überall auf der Welt, sei es in den Gemeindehäusern oder auf den Straßen der Stadt, wird am 15. Adar Purim gefeiert, und in Erinnerung an die Errettung der Juden Persiens vor einem Pogrom auf das Wohl von Königin Esther und ihrem Onkel Mordechai angestoßen. Ein Märchen wie aus Tausendundeiner Nacht – und es spielt sogar in Persien – hat seinen Weg in den Tanach und jüdische Tradition gefunden. Und das, ohne dass Gott darin ausdrücklich erwähnt wird!
Aber es liegt nicht nur am märchenhaften Charakter der Geschichte oder an der zeitlichen Nähe zum Karneval, dass Masken und Verkleidung eine so zentrale Rolle an Purim spielen. Schon der Name von Esther wird in der rabbinischen Literatur erklärt als ein Hinweis auf »Hester panim« – das verborgene Gesicht.
Und die Geschichte als Ganze ist eine einzige Maskerade, deren Protagonisten in dramatischer Weise die Rollen wechseln: Mordechai kleidet sich in Sack und Asche, um kurz darauf »im Königsgewand und mit goldener Krone« verwandelt zu erscheinen. Esther verbirgt ihre Identität als Jüdin, steigt sozusagen »verkleidet« auf zur Königin und »outet« sich dann als Angehörige einer verfolgten ethnischen Minderheit. Haman, der Bösewicht, scheint der getreue Untertan zu sein, der verborgen sein Unheil anrichtet, und wird in einer dramatischen Szene von Esther »demaskiert«. Und nicht zuletzt Gott, der im ganzen Buch nicht erwähnt wird, sondern erst durch die jüdische Tradition eingefügt wird, in dem der »Ort«, von dem »die Rettung kommt« mit Gott identifiziert wird – Gott als der andere, der unsichtbare und verborgene Gott. Die Verwechslung der Rollen spiegelt sich bis hinein in das Gebot, dass man so fröhlich und ausgelassen sein soll, mit Masken, Verwechslungen und alkoholischen Getränken, bis man Gut und Böse, Mordechai und Haman nicht mehr voneinander unterscheiden kann.
Viele Generationen haben Purim als Paradox erlebt: Damals hat Gott einen Pogrom verhindert, sein Volk aus den Intrigen der Machthaber gerettet. Und was ist mit all den Pogromen, die die feiernde Gemeinde selbst erlebt hat? Purim bietet ein Ventil, mit eigener Diskriminierung und Verfolgungserfahrung umzugehen, die eigene Geschichte als Märchen mit Happy End neu zu erzählen.
Warum hat Gott das zugelassen, wo war Gott und warum schwieg er, ist die wiederkehrende Frage, mit der Überlebende aller Zeiten fassungslos ihrem Unglück gegenüberstehen – egal, ob es sich um Naturgewalten, Krieg, Terror oder Pogrome handelt.
In einer paradoxen Verschränkung kann gerade die Esthergeschichte, in der das Unglück abgewendet wird – und Gott eben gerade nicht erwähnt wird – eine Antwort geben auf die Frage, wie heute überhaupt von Gott gesprochen werden kann. In der Esthergeschichte kommt Gott als Verborgener vor, Gott kann gesucht werden, und gefunden werden in den Zufällen des Lebens – ohne dass dies zwingend ist!
Purim, das Fest, hat seinen Namen vom »Los«, vom Zufall des Glückspiels. Und viele »Zufälle« prägen den Lauf der Erzählung: Zufällig sieht Haman Mordechai, als der sich nicht verbeugt. Zufällig schlägt der König in einer schlaflosen Nacht gerade den Bericht über Mordechais bisher nicht gewürdigte Heldentat auf.
Oft wird in der Tradition Purim mit Pessach verglichen, dem Auszug aus Ägypten, der im liturgischen Kalender nur wenige Wochen später gefeiert wird. Die Ähnlichkeiten sind verblüffend, die Unterschiede öffnen eindrucksvolle Perspektiven: Beide Geschichten spielen außerhalb des Landes Israel, einmal in Persien, das andere Mal in Ägypten. Beide Male hat man es mit dem absolutistischen Herrscher einer Großmacht zu tun, und es droht die physische Vernichtung. Beide Male werden die Juden auf wunderbare Weise gerettet.
Doch während die staatenlosen Kinder Israels mit der Befreiung und Flucht aus Ägypten den ersten Schritt zu einer nationalen Identität tun, bleiben die Juden in Persien im Land wohnen – und ihre Identität bleibt eine genauso assimilierte und unklare wie zuvor. Während mit dem Auszug aus Ägypten jüdische Tradition und Observanz begründet werden, ist es gerade die vollständige Assimiliertheit von Königin Esther, die es ihr ermöglicht, wenn auch unwillig, zur Anwältin ihres Volkes zu werden. Während Mordechai als frommer Jude beschrieben wird, gelingt es Esther lange, ihre jüdische Identität zu verheimlichen – was am persischen Königshof bestimmt nicht möglich wäre, wenn sie auch nur minimal religiös observant wäre! Eine koschere Küche jedenfalls wird der persische König bestimmt nicht gehabt haben.
Während also Pessach die große, einmalige Befreiung feiert, feiert Purim den kleinen Sieg, der mit Diplomatie, weiblicher Finesse und Raffiniertheit errungen wird – ohne dass auch nur die Absicht besteht, die Grundsituation des Lebens in der Diaspora zu kritisieren oder gar zu ändern.
Und während es an Pessach ausdrücklich Gottes »starke Hand« ist, der persönlich sein Volk in die Freiheit führt, scheint die Rettung in Persien eher zufällig zu sein, und wenn überhaupt dann Hofintrigen und Verführungen zu verdanken zu sein. Und gerade mit dieser Ambivalenz wird die Esthergeschichte zu einem Modell für Gottes Handeln in der Gegenwart.
Im Unterschied zu Pessach wird die Purimgeschichte auf der Textebene ganz ohne jedes Wunder erzählt, es ist wohldurchdachtes menschliches Verhalten, das die Wendung der Ereignisse herbeiführt. Genau so würden wir uns eine politische Analyse, einen journalistischen Hintergrundbericht über die Vorgänge am persischen Hof, und die Hintergründe ethnischer Unruhen heute vorstellen.
Und die Heldin ist nicht eine religiöse Heilige oder gar Märtyrerin, sondern sie ist die ehemalige »Miss Persia«, heute amtierende Gattin des Regierungschefs, die sehr nachvollziehbare und menschliche Techniken benutzt um ihre Ziele zu erreichen.
Und erst durch das Verständnis, durch die Interpretation der Leser wird daraus ein heiliger Text, in dem Spuren von Gottes Handeln sichtbar werden. Die von Mordechai vage beschriebene Rettung, die er von »einem anderen Ort« erhofft, wird im Verständnis der rabbinischen Leser zu einem klaren Hinweis auf Gott. Gottes Gegenwart und Gottes Handeln ist im Verborgenen zu suchen und zu finden.
Es mag leichter gewesen sein, nach den dramatischen Ereignissen des Auszuges aus Ägypten Gottes Handeln in der Geschichte zu erkennen, als mitten im vollkommen diesseitigen Handeln von säkularen, nicht-observanten Jüdinnen und Juden am Hof des persischen Königs, aber es entspricht vielleicht mehr der heutigen Wirklichkeit, in einer vielfältigen und verwirrenden Welt mit unklaren Identitäten Gott im Verborgenen zu finden.
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