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01.Juni 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Gesellschaft
Die Ausstellung »Zwischen den Zeilen? Zeitungspresse als NS-Machtinstrument«
Im alten Zeitungsviertel, wo sich heute das Dokumentationszentrum Topographie des Terrors befindet, saß ab 1932 in der Wilhelmstraße die Redaktion von Joseph Goebbels’ antisemitisch-antikommunistischem »Kampfblatt« Der Angriff. Wenige Meter entfernt wurden der Völkische Beobachter und Das Schwarze Korps verlegt und um die Ecke im »arisierten« Ullstein Verlag weitere wichtige Blätter der NS-Presse. Die Stiftung Topographie des Terrors zeigt nun in einer umfassenden Ausstellung einen Querschnitt durch die Presselandschaft der NS-Zeit von der Hauptstadt bis in die Provinz, der die vorgebliche Pressevielfalt veranschaulicht, die verschiedenartige Leser ansprechen und vereinnahmen sollte. Von der Presse der Weimarer Republik, die sich mit mehr als 4000 Zeitungen durch Vielfalt, Kritikfreude und Meinungsstreit ausgezeichnet hatte, war nach 1933 in kürzester Zeit nichts mehr übrig. Zeitungen wurden verboten, Verlage enteignet, Berufsverbände reglementiert, unliebsame Journalisten verfolgt (etwa 2500 Autoren gingen ins Exil). Das System der Gleichschaltung und Presselenkung, das Goebbels und sein steter Konkurrent Reichspressechef Otto Dietrich seit 1933 ausübten, war von den meisten in vorauseilendem Gehorsam angenommen worden und funktionierte gut. Es hatte jedoch zugleich unerwartete negative Folgen: Klagen über die »Verödung« der Presse, sinkende Abonnentenzahlen und unwillige Leserreaktionen. Dem Juristen Rolf Rienhardt, der 1935 zusammen mit Hitlers mächtigem Vertrauten Max Amann für eine staatliche Monopolisierung des Zeitungswesens sorgte und unter dem Dach des NSDAP-Parteiverlages den größten Pressekonzern der Welt schuf, war bewusst, dass scheinbare Meinungspluralität dem Regime weitaus mehr nutzte als eine allzu offensichtlich gelenkte Presse. Und so durften die meisten Zeitungen, die nach der Zerschlagung der Oppositionspresse noch bestanden, bis zu einem gewissen Grad ihr gewohntes Erscheinungsbild und ihren vertrauten Tonfall beibehalten. Die Presse im »Dritten Reich« funktionierte also weitaus komplexer, als es das Bild vom Gegensatz einer manipulativen Parteipresse und einer »gefesselten« kritischen Presse lange Zeit nahelegte, wie Kuratorin Judith Prokasky betont. Ersichtlich wird auch, dass die ideologisierte Darstellung von Ereignissen von den meisten Lesern hingenommen und stillschweigend Teil eines gesellschaftlichen Konsenses wurde, damit alltäglich und »normal« – und dass die Propaganda am erfolgreichsten wirkte, wenn die Beeinflussung unmerklich »zwischen den Zeilen« geschah. Nachdem eine unzensierte Berichterstattung ab Sommer 1935 aber nicht einmal mehr in Nischen möglich war, dienten die Journalisten, »verstrickt in das Dilemma von Anpassung und Kollaboration«, dem NS-Regime mehrheitlich bei seiner Selbstdarstellung, wie die Ausstellung in exemplarischen Porträts zeigt. Die Berufsverbände übten weder Kritik an der Verfolgung von Kollegen noch leisteten sie Widerstand gegen ihre eigene »Gleichschaltung«. Der Romanist Victor Klemperer notierte am 5. Oktober 1935 in sein Tagebuch: »Ich habe nun doch wieder nach monatelanger Pause eine Zeitung (Dresdener NN) abonniert. Mir wird beim Lesen jedesmal übel; aber die Spannung ist jetzt zu groß, man muß wenigstens wissen, was gelogen wird.«
Die Ausstellung thematisiert auch, wie Wirkungen gezielt gesteuert wurden. Propagandaminister Goebbels hatte im Fall der Novemberpogrome 1938 beispielsweise die Redakteure angewiesen, die Gewalttätigkeiten zu bagatellisieren: »…keine Schlagzeilen auf der ersten Seite… vorläufig keine Bilder« usw. Indem die Presse die hässlichen Seiten des Nationalsozialismus – Judenverfolgung, Staatsterror, Kriegswirklichkeit – weitgehend ausblendete und von den Sportnachrichten bis zum Fortsetzungsroman den Anschein eines vertrauten Alltags produzierte, stabilisierte sie die Diktatur. Selbst die jüdische Presse wurde, um den Schein zu wahren, zunächst nur reglementiert; erst nach November 1938 wurden die 65 jüdischen Blätter mit einer monatlichen Gesamtauflage von 900 000 Exemplaren verboten. Bei der Selbstinszenierung als wehrhafte »Volksgemeinschaft« leisteten die Medien von Anfang an einen unschätzbaren Beitrag. Als beim Nürnberger Parteitag 1935 das deutsche Volk darauf eingeschworen wurde, dass es sich gegen äußere und innere Feinde (sprich: Bolschewismus und Judentum) wehren müsse, wurden zugleich die »Nürnberger Gesetze« verkündet, und die Medien sorgten für deren Verbreitung und Akzeptanz. Erinnert sei an effektvolle Wochenschau-Verfilmungen von Leni Riefenstahl oder daran, dass der NS-Rundfunk über den »Volksempfänger«, die »Goebbelsschnauze«, fast jeden Haushalt erreichte. Dass die Deutschen damit aber auch deutschsprachige Programme von Radio Moskau oder der BBC hörten, beweisen die zahlreiche Todesurteile für »Feindhörer«, besonders seit 1943. 1943 steht auch für den grundlegenden Richtungswechsel der Propaganda. Hatten die Medien den Lesern bis dahin eine unbesiegbare Wehrmacht »verkauft«, musste nun die Kapitulation der 6. Armee bei Stalingrad vermittelt werden. Goebbels schürte in seiner Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 vor 14000 ausgewählten Zuhörern die Angst vor den »Bolschewisten« und forderte den »totalen Krieg«. Doch die Bevölkerung war durch Luftangriffe und Todesmeldungen demoralisiert und reagierte zunehmend ablehnend. Ausgestellte Zeitungsausgaben im Reprint zeigen, wie die Presselandschaft aussah und wie sie sich nach Stalingrad veränderte. Die Medien waren angewiesen worden, »Trauer und Sentimentalität« zu vermeiden und Begriffe wie »Ordnung, Disziplin und Menschheit« zu betonen. In Hardliner-Blättern wie dem Stürmer nahmen die Forderungen nach Opferbereitschaft und Kampfkraft weiter zu, ebenso die antisemitische und antisowjetische Hetze. Doch die Juden waren ohnehin bereits fast alle deportiert. Schon seit Ende 1941 hatte Reichspressechef Otto Dietrich täglich »Tagesparolen« erlassen, die mit den Presseanweisungen seines Widersachers Goebbels zusammengefasst wurden, um den Redaktionen Verwirrung zu ersparen. Zugleich wurde der Pressesektor immer mehr vom Auswärtigen Amt und dem Oberkommando der Wehrmacht dominiert. Der Abzug von Männern an die Front und Rohstoffmangel führten 1943 zu zahlreichen Zeitungsschließungen. Andere Informationsquellen gab es ohnehin kaum noch. »Feindliche« Auslandspresse war nicht mehr erhältlich und illegale Publikationen erreichten nur wenige Leser. Die studentische Widerstandsgruppe Weiße Rose verfasste seit Sommer 1942 regimekritische Flugblätter. Bei ihrer sechsten Flugblattaktion, die unmissverständlich die Verbrechen des Regimes benannte und die Deutschen zur Auflehnung aufforderte, wurden die Geschwister Scholl beim Verteilen entdeckt und kurz darauf hingerichtet.
Vor Kriegsende spielten Zeitungen dann kaum noch eine Rolle. In der einstigen Zeitungsmetropole Berlin erschien ab Ende April 1945 überhaupt keine Zeitung mehr. Nachrichten verbreiteten sich durch Hörensagen. Die Kapitulation bedeutete das Ende auch aller bisherigen deutschen Zeitungen...
Ein weiteres Kapitel, das die Ausstellung streift, ist die unrühmliche Tatsache, dass überzeugte Nationalsozialisten und NSDAP-Mitglieder später in der Bundesrepublik über Jahrzehnte das Gesicht öffentlicher Medien bestimmen konnten – wie Werner Höfer als Moderator des Internationalen Frühschoppens oder Herbert Reinecker als Drehbuchautor für TV-Serien wie Der Kommissar und Derrick. Ironie der Geschichte ist es gewiss nicht, dass auch der Darsteller des Derrick in der Waffen-SS war, wie wir nun auch seit ein paar Wochen wissen.
Judith Kessler
_Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, 10963 Berlin, bis zum 20.10.2013, täglich 10–20 Uhr
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