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Mehr als Manischewitz, Masken und Megilla

01.März 2015 | Beiträge – jüdisches berlin | Feiertage

Gedanken zu Purim von Rabbiner Konstantin Pal

 

Manischewitz, Masken, Megilla – das sind die ersten Stichwörter, dir mir persönlich einfallen, wenn ich an Purim denke. All diese Dinge sind positiv besetzt. denken wir dabei doch an ausgelassenes Feiern, an ein Fest der Verwandlung und auch an eine Art sanktioniertes Ausbrechen aus gesellschaftlichen Normativen des Alltages. Kurzum, wenn dieses Jahr in Köln, Rio und Mainz alle ihren Rausch ausgeschlafen haben, fängt unser Rausch erst an. Denn davor und danach »stecken« wir im Ernst des Lebens fest, im Alltag mit all seinen negativen und positiven Momenten. Nur einmal im Jahr dürfen wir aus diesem Alltag ausbrechen und uns nicht mit dem Bekannten und Gewohnten befassen. Doch bevor wir uns eine Clownsnase anstecken, beim Purimspiel die Witze vom Vorjahr erzählen und dabei Hamans Ohren verspeisen, und gefühlte alle dreißig Sekunden unsere Gläser zum »Le Chaim!« heben, sollten wir auf einige ernste Aspekte dieses Tages eingehen.

Aus der Geschichte von Purim lernen wir, wie Juden in einer nichtjüdischen Gesellschaft lebten und leben. Wir sehen am Beispiel von Mordechai, dass Juden einerseits einen gewissen gesellschaftlichen Status erreicht haben, sich andererseits aber auch nicht unbedingt Jedem als Juden zu erkennen geben, wie am Beispiel von Mordechais Nichte Esther zu sehen. Dieses Verhalten erkennen wir auch in unserem eigenen Handeln als Juden und dem unserer Vorfahren in den vergangenen 200 Jahren – wir sind akzeptiert, aber wir versuchen, uns unauffällig zu verhalten und uns der Gesellschaft anzupassen.

Doch diese Lebensart scheitert, sowohl in der Zeit von Königin Esther als auch in den vergangenen zwei Jahrhunderten. Unser Versuch, die uns umgebende Gesellschaft nicht zu reizen, in dem wir uns verstecken, scheitert und führt zu Katastrophen. So ruft allein die Präsenz Mordechais bei Haman eine abnorme Reaktion hervor. Für Haman sind Juden ein Fremdkörper – fremde, andersartige, die nicht nach persischen Gesetzen leben – ein typisches Bildnis der Antisemiten und ihres Hasses. Der Entschluss Hamans soll letzten Endes in einen Völkermord münden, er richtet sich nicht gegen Mordechai als Person, sondern gegen alle in Persien lebenden Juden. Man könnte sagen, Haman ist der Prototyp des modernen Antisemiten, dem es nicht auf eine konkrete (jüdische) Person, sondern auf alle Juden ankommt. Und wenn wir uns die Schlagzeilen der letzten Wochen und Monate in Erinnerung rufen, sehen wir, dass dieser abgrundtiefe Hass gegen uns auch in der heutigen Zeit, nach allen Katastrophen, präsent ist und an Brutalität noch zunimmt.

Es ist sicher, dass Mordechai sich der Gefahr bewusst war und somit auch Strategien entwickelte, um sich und sein Volk zu retten. Das grundlose Böse, in diesem Fall in Haman personifiziert, das sich seiner Tat so sicher war und ohne Gewissen einen Mord an Tausenden plante, hängt schließlich an einem Baum, den er für seine ursprünglichen Opfer ausgewählt hat. Unsere Geschichte lehrt uns auch, dass wir uns nie genug verstellen werden können, um akzeptiert zu werden – Assimilation und Vaterlandsliebe brachten Zerstörung und Vernichtung. Am Ende bleibt uns unser Judentum, in allen seinen Facetten, mit dem wir diesem Hass, der sich gegen uns richtet, widerstehen können. So wie Esther es uns mit ihrer Geschichte vorgemacht und ihr Volk gerettet hat.

In der Tat hat Purim einen ernsten Hintergrund, den wir bei aller Freude und beim Feiern nicht vergessen dürfen. Purim gibt uns aber die Möglichkeit, mit Witz und Humor dagegen zu wirken, dem so oft traurigen Alltag zu entgehen und an diesem einen Tag alle unsere Sorgen und Probleme zu vergessen. Wir brechen aus der Normalität aus, dürfen aber nie vergessen, dass uns spätestens am Tag nach dem Fest die Realität wieder einholt.

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