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Lisa im Wunderland

05.Januar 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Gedenken

Ein neues Denkmal soll an die Kindertransporte nach England erinnern

»Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul« heißt es – zumal, wenn es Menschen gibt, die (zu Recht) glücklich darüber sind, dass man sich ihrer erinnert und wenn es eine Initiatorin gibt, die zufrieden ist, da sie ihr Ziel erreicht hat. Dennoch sind da ein paar, die nicht ganz so glücklich darüber sind, dass am Bahnhof Friedrichstraße zwischen »Rossmann« und Vietnam-Imbiss jetzt ein Denkmal steht, dass die »Kindertransporte« zum Thema hat, aber mehr an »Mary Poppins« und »Alice im Wunderland« erinnert als an die dramatische Aktion, der vor 70 Jahren 10 000 jüdische Kinder ihr Leben zu verdanken hatten. Sie waren zwischen 1938 und 1939 mit Hilfe der britischen Regierung und der Jüdischen Gemeinden in England nach Großbritannien gebracht und so gerettet worden, während die meisten ihrer Eltern der Schoa zum Opfer fielen.
Polizeipräsident Glietsch, Baustadtrat Gothe und Bundestagsvizepräsidentin Pau waren zugegen bei der Einweihung, ebenso wie Heinz Kallmann aus Berlin und etwa 50 weitere »Kinder«, die auf Einladung der deutschen Initiatorin aus New York oder Jerusalem angereist waren.
Auch Frank Meisler, der Bildhauer des Denkmals (dessen Pendants bereits seit 2006 an der Londoner Liverpool Station und seit 2008 am Wiener Westbahnhof stehen), ist mit einem dieser Kindertransporte nach England gekommen. Seine Bronzeskulptur stellt ein Bahngleis und sieben Figuren dar – zwei stehen für die geretteten, die anderen für die anderthalb Millionen deportierten und ermordeten Kinder.
Die Figurengruppe ist ein Geschenk des Künstlers und aus Spenden finanziert, und es geht um eine gute Sache. Darf man da nörgeln?
Zumindest darf man besorgt um eine Gedenkkultur sein, in der bei sensiblen Themen wie der Judenverfolgung scheinbar nur hinter vorgehaltener Hand gesagt werden kann, dass »der Kaiser nackt« ist oder in der das Motto gilt: »besser das als gar nichts«.

Frank Meislers Figurengruppe »Züge in das Leben. Züge in den Tod.« Fotos: Nadine BoseFrank Meislers Figurengruppe »Züge in das Leben. Züge in den Tod.« Fotos: Nadine BoseFrank Meislers Figurengruppe »Züge in das Leben. Züge in den Tod.« Fotos: Nadine BoseFrank Meislers Figurengruppe »Züge in das Leben. Züge in den Tod.« Fotos: Nadine Bose

Freilich, die Crux an Geschenken ist, dass kein demokratischer Entscheidungsprozess, keine Diskussion über einen Entwurf stattfindet, sondern die Gebenden oder Initiatoren die Geschmacks-, Gestaltungs- und Meinungshoheit haben und sie sich – wie in diesem Fall – auch nicht nehmen lassen. Gelegenheiten zum Einlenken hat es reichlich gegeben. Die Senatsverwaltung hatte schon früh Ambivalenz signalisiert; Alfred Fleischhacker und Inge Lammel hatten die Initiatorin stellvertretend für weitere als Kinder gerettete Berliner wie Gerdi Colden und Kurt Gutmann angeschrieben, weil sie als die eigentlich Betroffenen nicht einbezogen oder informiert worden waren und weil sie die Figuren sowie den geplanten Standort als unauthentisch ansahen. Sie konnten sich im Denkmalsentwurf nicht wiederfinden – eines der Kinder trägt einen Judenstern, obwohl diese erst 1941 eingeführt worden waren; die Transporte gingen nicht, wie hier suggeriert, von der Friedrichstraße, sondern vom Anhalter und Lehrter Bahnhof ab; und die adretten Figuren mit ihren Ranzen, Zöpfchen und Kniestrümpfen wirken wie unterwegs zu einer »lustigen Klassenfahrt« (Fleischhacker an die Initiatorin). Dürfen Ehrfurcht, Dankbarkeit, Obsеssion, Ignoranz oder sonstige denkbare Motive dazu führen, solche Einwände in den Wind zu schlagen? Vermutlich sind sie zu kleinlich. Schließlich tut da jemand der Mehrheit (und sich selbst) einen Gefallen. Außerdem hat die mosernde Minderheit doch eine Antwort bekommen. In der vergaß man zwar auf die historischen Fehler einzugehen, dafür aber wurden Namen jüdischer Befürworter aufgezählt. Gibt es bessere Argumente? Die vorsichtigen Einwände der Direktoren der Stiftungen »Centrum Judaicum« und »Topografie des Terrors«, Hermann Simon und Andreas Nachama, brachten Mittes Bürgermeister Christian Hanke immerhin dazu, noch kurz vor der Einweihung zur Krisensitzung zu laden. Hier einigte man sich darauf, Tafeln mit den korrekten historischen Fakten in der Nähe der Skulptur anzubringen. Wann das passiert und ob diese Schilder dann auch planmäßig von den Passanten beachtet werden, weiß natürlich niemand so genau. Eines ist aber jetzt schon nicht zu übersehen: der Name der Initiatorin, eingraviert auf dem Sockel des Denkmals. 

Judith Kessler