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»Kein Feier ohne Meier«
01.Februar 2013 | Beiträge – jüdisches berlin | Israel
Ein Wörterbuch über die Sprache der Jeckes ist in Israel ein Bestseller
Federbett, Katzenwäsche, Streuselkuchen, Heinzelmännchen, Kaffeeklatsch, Kuchengabel, Nachthemd, Waschlappen, Stinkkäse, Stammtisch… Was könnte typischer deutsch klingen?!
Es war ein Aufruf des »Irgun Jeckes«, der »Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft« in deren 1932 gegründeten »MB (= Mitteilungsblatt) Jakinton«, dem fast 400 Leser folgten und drei Jahre lang Begriffe und Redewendungen jener deutschsprachigen Einwanderer zusammentrugen, die mit der Fünften Alijah in den 1930er Jahren nach Palästina gekommen waren. Etwa 900 von ihnen fanden Eingang in das »Lexikon der Ben-Jehuda-Straße – Wörterbuch des gesprochenen Jeckisch in Israel«, das es im Herbst 2012 innerhalb von vier Wochen auf die Bestsellerlisten Israels geschafft und inzwischen mehrere Auflagen erfahren hat. Sie hätten alle diese Worte und Wendungen, »die früher einmal durch unsere Jeckeswohnungen zogen, unter einem Dach versammelt, damit sie erhalten bleiben und nicht leise verschwinden wie unsere Jeckesvorfahren, deren Zahl schrumpft und die bald der Geschichte angehören werden«, schreibt Alisa Harth, eine der Autorinnen.
Das gesprochene Jeckisch, jeckit meduberet oder jeckemed, ist heute 80 Jahre alt. Deutsch made in Israel »kennt weder Grammatik noch Syntax, es hat keine Etymologie oder geordnete Morphologie«, schreibt Reuven Merhav, ebenfalls Jecke der zweiten Generation. »Es besteht aus nach Gutdünken zusammengewürfelten deutsch-hebräischen Brocken«.
Am augenfälligsten wird das Kuddelmuddel bei den deutsch-hebräischen Mix-Begriffen – entweder hängten die Jeckes nur eine deutsche Endung an ein hebräisches Wort wie bei Menuwelschen (»Menuwal« ist so etwas wie »Idiot«) oder mischten Redewendungen wie in »lalechet spazieren«, »einen Tiul ans Jam« (Ausflug ans Meer) machen. Eine Steigerung ist die wörtliche Übertragung ganzer Redewendungen in die andere Sprache – denn da wird der »Quatsch mit Soße« zu »Schtujot we miz agwaniot« und aus »wenn schon, denn schon« wird »im kwar, as kwar«.
Die deutschsprachigen Einwanderer, etwa 60.000 waren es, brachten ihre Werte, ihre Mentalität (siehe gemütlich), ihre Kultur (siehe Konzertabonnement) und ihre Sprache (siehe also) mit. Sie schafften es, sich von ihrer Heimat zu trennen, von ihrer Sprache konnten sie nicht lassen. In den sprachlichen Kapriolen spiegelt sich ihr Überlebenskampf und ihr neuer Alltag: das Wetter, die Hitze, Verständigungsprobleme, die fremden orientalischen Bewohner, die kahle Landschaft, die Trauer um die unwiederbringlich verlorene Heimat, oftmals auch um Familie und Freunde. Anders als die unmittelbaren Schoa-Überlebenden hatten sie meist noch die Möglichkeit, einen Teil ihres Hausstands und ihrer Bücher mitzubringen. In den meisten Jeckes-Bücherschränken standen die gleichen Autoren: Heine, Schiller, Grimms Märchen…
Daher ist es kein Wunder, dass die Beiträger dieses Wörterbuches, das unter anderem mit Unterstützung der Kuratorin Ruthi Ofek sowie Stef Wertheimers und seines »Museums des deutschsprachigen Judentums« zustande gekommen ist, sich unisono an Oma, Omama, Omi und die Märchen ihrer Kindheit erinnerten: Rotkäppchen, Rumpelstielzchen, Schneewittchen und »wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heut«, genauso wie an die Spiele, die sich in allen Jeckes-Häusern ähnelten: »Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er…«
Die Kinder wurden mit »Morgen früh, so Gott will, wirst du wieder geweckt...« in den Schlaf gesungen und vielleicht mit »Alle meine Entchen...« geweckt.
Insofern ist das neue Interesse an der Sprache der Eltern und Großeltern und dieses Wörterbuch auch eine Aufarbeitung der Kindheit vieler Israelis und vielleicht deshalb so ein Renner in den Buchläden.
Illustriert ist das Ganze mit Werbeanzeigen der 1930/40er Jahre aus dem »MB Jakinton«. Auch sie spiegeln Werte und Prioritäten: Versicherungen, Sommerlager, Sport und Spiel für die Kleinen, den Stolz auf die Herkunft (»Dr. XY, ehemals Frankfurt am Main«), die eigene Mode und den Kampf gegen Sand, Hitze und Dreck (»Sie müssen nicht in Schweiß gebadet sein« in einem Unterhemd von OBG), die eigene Küche (Butterbrot und Sauerkraut), das Café (beispielsweise das »Atara«, in dem der Jecke zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten Platz – seinen Stammplatz – einnahm, um bestimmte Leute zu treffen und eine bestimmte Zeitung zu lesen, die knittergeschützt im Zeitungshalter klemmte, natürlich).
Die Witze und Lästereien über diese deutschen Einwanderer sind Legion. Die Jeckes, welche Mühe sie sich auch gaben, waren ihr Leben lang am Akzent oder an Sprachwirrungen zu erkennen. Sie galten daneben als stur, ordentlich, fleißig, höflich, zugleich aber hart zu sich selbst und ihren Kindern. Aufforderungen wie »Sitz grade!« oder »Hör auf zu meckern!« stehen daher genauso in dieser Sammlung wie allerlei nette Bezeichnungen für die lieben Mitmenschen: Großmaul, Vollidiot, Nervensäge, beleidigte Leberwurst, Dreikäsehoch, treulose Tomate, alte Schachtel, er hat einen Vogel, er schwitzt wie ein Esel oder Alles, was sie hatte, war Watte (der Hinweis auf einen flachen oder falschen Busen).
Die zweite Generation erinnerte sich für das Buch vor aber auch an – der unsicheren Lebenslage ihrer Eltern angepasste – Sinnsprüche wie »Was auf dem Teller ist, wird aufgegessen«, »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen«, »In der Not frisst der Teufel Fliegen«, »Jedem Tierchen sein Pläsierchen«, »Kommt Zeit, kommt Rat«, »Warum ist die Banane krumm«, »Keine Feier ohne Meier«, »Ordnung muß sein«, »Mit Geduld und Spucke fängt man eine Mucke«.
Einige dieser Redewendungen sind mit ihren Benutzern verschwunden und klingen inzwischen sogar hierzulande antiquiert. Andere Begriffe, so führt das Buch auf, werden bis heute verwendet und sind in den allgemeinen hebräischen Sprachgebrauch eingegangen, meist ohne dass ihre Benutzer wissen, woher sie kommen: Schlager, Schluck, Biss, Zimmer, Strudel, Schlafstunde sind Beispiele für überlebende deutsche Alltagswörter; im Ingenieur- oder Bauwesen sind es Begriffe wie Spachtel, Stecker, Kupplung oder Kurzschluss.
»Ach so«, kann der Leser jetzt ausrufen und »Juchhu«, weil er nun den Hintergrund versteht und damit am Ende gleich noch zwei Schlüsselbegriffe aus dem studierenswerten »Lexikon der Ben-Jehuda-Straße« verwendet hat.
Judith Kessler
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