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Kantoren für Europa
01.Oktober 2008 | Beiträge – jüdisches berlin | Jugend
Am neuen Berliner »Jewish Institute of Cantorial Arts« werden ab sofort Kantoren, Musiker und Gemeindeleiter ausgebildet.
Die jüdischen Gemeinden Europas – vor allem auch die Berlins – können auf eine reichhaltige Tradition synagogaler Musik zurückblicken. Mit der Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden in der Schoa konnte jedoch auch die große Tradition klassischer Synagogalmusik nur noch von wenigen Juden und Jüdinnen an nachkommende Generationen weitergegeben werden. In Berlin war es vor allem Estrongo Nachama sel.A., der von 1947 bis 2000 Oberkantor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin war und unter anderem die Werke berühmter Komponisten wie Louis Lewandowski (1821–1894) und Salomon Sulzer (1804–1890) in den Nachkriegsjahren aufrecht erhalten hat.
In der jüngsten Vergangenheit wurde deutlich, wie sehr in deutschen Gemeinden gut ausgebildetes und qualifiziertes Personal in den leitenden Kultuspositionen, also im Rabbinat und Kantorat, fehlt – Menschen wie »Eto« Nachama, der nicht nur durch seine Musik, sondern auch durch sein soziales Engagement auf sich aufmerksam gemacht hat. Es sind vor allem die neuen jüdischen Einwanderer aus der früheren Sowjetunion, die immer wieder entwurzelt und ihrer Identität beraubt worden sind, jetzt aber die Gemeinden in Deutschland ausmachen. Es werden also neben Rabbinern auch Kantoren dringend benötigt, die die Mitglieder der Gemeinden auch an ihr musikalisches Erbe heranführen und sie auf ihrer Suche nach der verlorenen Identität begleiten. Doch ist es nicht nur die Aufgabe eines Kantors synagogale Musiktraditionen an die zukünftigen Generationen weiter zu geben, sondern auch, sie zu aktualisieren.
Der Ernst-Senff-Chor, das Ensemble Resonanz und Kantorin Mimi Sheffer bei der Eröffnung der Jüdischen Kulturtage 2008 in der Synagoge Rykestraße © JKT
Im Sommer diesen Jahres wurde am Abraham-Geiger-Kolleg mit der Gründung des »Jewish Institute of Cantorial Arts« ein bedeutender Schritt in diese Richtung unternommen. Die Berliner Kantorin Mimi Sheffer hat diese europaweit einzige Ausbildungsstätte für die musikalische Gestaltung des synagogalen Gottesdienstes ins Leben gerufen und wird ihr mit ihren Erfahrungen als Programmdirektorin künftig zur Verfügung stehen. Am
14. September 2008 wurde das Institut feierlich eröffnet. An den Eröffnungsfeierlichkeiten nahmen zwölf international bekannte Kantoren und Kantorinnen sowie Professoren aus Deutschland, den USA, Kanada und Israel teil. Darunter waren einige Vertreter des Hebrew Union College-Institute of Jewish Religion, mit dem das Berliner Institut auch zukünftig eng zusammenarbeiten wird.
Den Auftakt zur Einweihung bildete eine Reihe von Gottesdiensten, in denen Berliner Kantoren die spezifische Berliner Tradition synagogaler Musik vorstellten und Gastkantoren aus aller Welt ihre Kunst präsentierten. Ein besonderer Höhepunkt war ein Morgengottesdienst in der Synagoge Oranienburger Straße, der unter anderem von den amerikanischen Kantorinnen Josee Wolff, Elena Schwarz, Marina Shemesh und Yvone Shore gestaltet wurde. Für all diejenigen, die Synagogalmusik einmal praktisch erleben wollten, boten Vorträge und Workshops eine einmalige Gelegenheit, die verschiedenen Traditionen kennenzulernen.
Bereits die Eröffnung der Jüdischen Kulturtage stand im Zeichen jüdischer Sakralmusik. Im Mittelpunkt des Konzertes in der Synagoge Rykestraße standen die Werke des Israelis Yehezkel Braun. Der 1922 in Breslau geborene Komponist hat sich unter anderem auf die Schöpfung liturgischer chor-sinfonischer Musik spezialisiert. Unter der Leitung des Dirigenten Hans Rotman wurden seine und andere Kompositionen vom Ernst-Senff-Chor Berlin und dem Hamburger Ensemble Resonanz dargeboten. Als Solistin fungierte Kantorin Mimi Sheffer. Den Abschluss der Feierlichkeiten bildete der eigentliche Festakt zur Eröffnung des Instituts am Samstagabend in der Synagoge Pestalozzistraße.
Die ersten Studenten am Jewish Institute of Cantorial Arts werden der Serbe Nikola David aus Augsburg, sowie die beiden Israelis Leonid Ryvo und Alexander Zakharenko sein, die in der ehemaligen Sowjetunion geboren wurden. Alle drei Kandidaten sind bereits professionell ausgebildete Sänger, die zukünftig als Kantoren jüdische Gemeinden in Europa leiten werden. Nachdem sie ein erstes Ausbildungsjahr an der School of Sacred Music am Hebrew Union College in Jerusalem absolviert haben und gründlich modernes und liturgisches Hebräisch gelernt haben, beginnt ihr eigentliches Ausbildungsprogramm in Berlin. Dieses ist mit einem dreijährigen Bachelor-Studiengang in Jüdischen Studien und Musikwissenschaft an der Universität Potsdam gekoppelt. Das Studium am Institut für Kantorenausbildung ist vor allem auf die Bedürfnisse in den europäischen Gemeinden ausgerichtet. Somit vermittelt es seinen Studenten und Studentinnen ein breites Spektrum an praktischen, theoretischen, pädagogischen und musischen Fähigkeiten – also nicht nur Stimmbildung und Musiktheorie, sondern auch aus der Tora zu lesen und jüdische Kenntnisse zu unterrichten, ein Lehrhaus zu gründen und eine Gemeinde zu organisieren. Denn zur Aufgabe eines Kantors oder einer Kantorin gehört heute nicht nur die Leitung des Gottesdienstes, sondern auch die persönliche Begleitung der Gemeindemitglieder durch alle Lebensphasen. Um die Studenten besser auf die praktische Gemeindearbeit vorzubereiten, beinhaltet das Studienprogramm zudem ein längeres Praktikum in ihrer Gemeinde. Die Kandidaten werden ihr Studium mit einem Bachelor in Jüdischen Studien und Musik abschließen. Doch viel entscheidender als der akademische Grad werden für ihren Beruf als Kantor oder Kantorin die vielfältigen Erfahrungen sein, die sie während ihrer Jahre am Institut sammeln werden.
Sarah Ross
Informationen:
Kontakt: Jewish Institute of Cantorial Arts, Postfach 120 852, 10598 Berlin
Tel. (0 30) 31 80 05 87, www.sacredmusic.eu
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