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»Jüdin mit Zitronen« und »Polnische Dörfer«

28.September 2011 | Beiträge – jüdisches berlin | Ausstellung, Kultur

In der Ausstellung »Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte« im Martin-Gropius-Bau sind auch wertvolle und seltene Objekte der jüdischen Geschichte zu sehen

Polen und Deutschland blicken auf eine mehr als 1000-jährige gemeinsame Geschichte zurück, die sich in Kultur, Religion, Sprache und Wirtschaft niedergeschlagen hat. Die komplexe Historie dieser Nachbarschaft ist von politischen Ereignissen geprägt, die Gemeinsamkeiten oft in den Hintergrund treten ließen. Das deutsche wie das polnische kulturelle Gedächtnis ist von Emotionen und Vorurteilen mitbestimmt und beide Nachkriegsgesellschaften haben größtenteils versagt, wenn es darum ging, die traumatischen Erinnerungen aufzuarbeiten. Erst der Fall der Mauer hat hier eine Wende eingeläutet, selbst wenn beide Seiten immer noch wenig über die jeweils andere wissen.

Die groß angelegte Ausstellung »Tür an Tür«, die das nächste Vierteljahr auf 3200 Quadratmetern in 19 Sälen des Martin-Gropius-Baus zu sehen ist, will hier einen Lernprozess anstoßen. Mit einem wissenschaftlichen Beirat unter Prof. Wladislaw Bartoszewski und einer streitbaren und kompetenten Chef­kuratorin wie der russisch-polnisch-jüdischen Kunsthistorikerin Anda Rottenberg wurden wohl auch genau die Richtigen für diesen hochsensiblen und facettenreichen Themenkomplex ins Boot geholt. Und so sind unter den 700 Exponaten der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte eben nicht nur Jan Matejkos Monumentalwerk »Preußische Huldigung« und Figuren von Veit Stoss oder die Manuskripte von Nikolaus Kopernikus zu finden: In jeder Epoche der polnisch-deutschen Geschichte gab es auch jüdische Einflüsse, die sich in Objekten der Ausstellung wieder finden.

Frank Stella: Narowla I, aus der Serie »Polish Villages«, 1971. Sammlung Hoffmann, Berlin. VG Bild-Kunst 2011Yael Bartana: »Entartete Kunst Lebt«, 2010. Der Animationsfilm der Israelin mit polnischen Wurzeln entstand zu Otto Dix‘ Gemälde »Kriegskrüppel«, das von den Nazis als »Entartete Kunst« zerstört, hier wieder zum Leben erweckt wird. Courtesy Annet Gerlink Gallery Amsterdam

Jüdische Kaufleute gab es in Polen schon früh. Die Familie des Lewko wurde im 13. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Kreditgeber Kasimirs III. in Krakau, wie es später italienische und böhmische Juden für die Könige des 14. und 15. Jahrhunderts wurden. Zu der Zeit gab es auch schon eine Talmudhochschule in Posen, die Lamdej Posna, und Polen galt als sicherer Hafen für (zum Beispiel im deutschsprachigen Raum) verfolgte Juden. Im 16. Jahrhundert avancierte dann wieder Krakau zum Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit, unter anderem wurde hier eine neue Lehrmethode propagiert, der Pilpul, das intensive Studium und die scharfe Diskussion einzelner Teile des Talmuds. In der Lubliner Jeschiwa wiederum wurde unter anderem Moshe Isserles ausgebildet, der den Schulchan Aruch den Bedürfnissen der aschkenasischen Juden anpasste. Und Anfang des 17. Jahrhunderts bildeten die polnischen Jeschiwot schon die Mehrzahl der Rabbiner aus, die im Alten Reich tätig waren. Glückl von Hameln erinnert sich in ihren Memoiren, dass jeder jüdische Haushalt, der es sich leisten konnte, einen polnischen Hauslehrer beschäftigte. Das jüdische Geistesleben in Polen hatte einen solchen Aufschwung genommen, dass es fortan auf die Juden im Westen ausstrahlte.

So zeigt die Ausstellung jüdische Kultgeräte aus dieser Zeit, aber auch ein Neues Testament auf Deutsch in hebräischen Lettern, 1540 in Krakau von einem konvertierten Juden gedruckt, der das Christentum unter den Juden verbreiten wollte (die Druckerei gehörte ebenfalls einem Konvertiten – Paul Helic, vormals Aszer Helicz), sowie das Buch »Ozar Nechmad« von Israel ben Moses Halevi, ein Kommentar zum Sefer ha-Kusari, der höchstwahrscheinlich von Mendelssohn persönlich abgeschrieben wurde (Halevi war aus Zamość nach Berlin gekommen und in den 1740er Jahren der Mentor von Aaron Solomon Gumperz und Moses Mendelssohn). Eine Rarität dürfte auch diese Handschrift von 1814 sein: Friedrich Schillers »Ode an die Freude«, übersetzt ins Hebräische (»Shir Simcha«), oder das Bildnis Abraham Sterns, eines Gelehrten, der unter anderem Rechenmaschinen für alle fünf Rechenarten konstruierte und 1817 als erster Jude in der Warschauer Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften Aufnahme fand.

Wenig später, 1823, veröffentlichte Heinrich Heine unter dem Titel »Ueber Polen« Notizen über eine Polenreise und schildert seine Eindrücke über Bauern, Juden, Frauen, aber auch über politische Verhältnisse, Literatur, Sprache und Theater. Viel bekannter ist Alfred Döblins »Reise in Polen« von 1925 geworden, in der er vor allem die jüdischen Lebenswelten beschrieb – die Originalhandschrift ist ebenfalls ausgestellt.

Zu sehen sind daneben Bilder des jung verstorbenen jüdischen Genremalers Maurycy Gottlieb, der wie viele Polen im damals weltoffenen München studiert hatte, genauso wie Aleksander Gierymski, dessen berühmte »Jüdin mit Zitronen« ausgestellt ist, neben mehreren Bilder von Jankel Adler aus den 1920er Jahren und dem einzigen erhaltenen Ölbild von Bruno Schulz: »Junger Chassid und zwei Frauen«.

Die Schoa wird etwa in Objekten wie den Noten von Arnold Schönbergs »A Survivor from Warsaw« thematisiert, einem Sieben-Minuten-Werk, in dem er im kalifornischen Exil Berichte aus dem Warschauer Ghetto verarbeitet hat, in den Holocaust-Bildern aus Gerhard Richters »Atlas« von 1997, in den Entwürfen von Tadeusz Kantor und Józef Szajna, zweier bedeutender polnisch-jüdischer Theatermacher, oder in »Narowla I« aus Frank Stellas Bildserie »Polish Villages«: Zwischen 1971 und 1973 schuf der Amerikaner diese über 100-teilige, großformatige Serie aus Mixed-Media-Gemälden und Collagen aus Holz, Karton, Filz und Metall, die an Architekturstudien erinnern. Thema sind die von den Deutschen zerstörten wunderschönen alten polnischen Holzsynagogen, von denen es heute allenfalls noch einige Schwarz-Weiss-Fotos gibt. Die Namen, die Stella für seine Gemälde gewählt hat, repräsentieren diese unwiederbringlich verschwundenen Stetl mit ihren Synagogen und die Auslöschung einer ganzen Kultur: Piaski, Felsztyn, Mogielnica, Jablonow, Nasielk, Kozangrodek, Lunna Wola, Chodorow, Brzozdowce, Zabludow und so weiter. Auch das ist deutsch-polnische Geschichte.

Judith Kessler

_»Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre
Kunst und Geschichte« – bis 9. Januar 2012, Martin-Gropius-­Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin, Mi–Mo 10–20 Uhr, Eintritt: 12,-/7,-, bis 16 Jahre frei