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Judentum von unten

29.Mai 2009 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur

Das 2. bundesweite jüdische Lernfestival Limmud zog 450 Teilnehmer an

Einerseits, so der Jerusalemer Rabbiner Adin Steinsaltz, meide er Deutschland, andererseits faszinierten ihn russische Juden, also kam er, um »auf jüdische Weise über nicht-jüdische Dinge« zu sprechen. Erfolg und Glück sind dennoch universell, so blieb ihm zu klären, was für wen warum historisch, jüdisch und persönlich bedeutsam ist. Aus solcher Sicht war das ganze Treffen ein großes Glück und ein Riesenerfolg. Limmud heißt Lernen – und Neugier, Spaß am Dialog, Bereitschaft zum Disput und die Fähigkeit, gegensätzliche Ansichten zu akzeptieren. Die Volonteers, hilfsbereit und an Stickern zu erkennen, können stolz auf das Erreichte sein. Sie haben ein Jahr lang das zweite jüdische Lernfest in Deutschland für fast 450 nationale und internationale Teilnehmende vom Säugling bis zu den Urgroßeltern logistisch vorbereitet und 159 deutsch-, englisch- und russischsprachige Veranstaltungen und 81 Referenten koordiniert. Vom 30. April bis 3. Mai war im europäischen Begegnungszentrum Werbellinseee die Jüdischkeit zu Hause. Den Eruw und die Kaschrut sicherten orthodoxe Experten, das von der Disko zur egalitären Synagoge konvertierte Gebäude blieb außen vor. Parallel wurden Schabbatgottesdienste einschließlich Hawdala orthodox, konservativ, egalitär, liberal, reformiert, familiär oder experimentell abgehalten; gebetet und gesungen wurde im Stibl, in Sälen, einer Jurte und unter freiem Himmel. Sonne, Viertelmond und Sterne waren dem Treffen wohlgesonnen. Beim Schabbat für Atheisten im vollgestopften Seminarraum wurde Rabbiner Daniel Katz in eine heiße Debatte um Säkularität, Tradition und die Engstirnigkeit bei Zentralrat/Gemeinden verwickelt, Judentum nicht (auch) jenseits von Religion begreifen zu wollen. Überhaupt wurde vieles praktisch angegangen: die Konversion und Aufnahmekraft der Gemeinden, nichtjüdische Ehepartner und deren Integration, die Frage, wo jene bleiben, die sich keiner Gemeinde anschließen, aber nach jüdischer Gemeinschaft suchen. Wer lieber israelisch oder modern tanzen wollte, wurde so fündig wie jene, denen nach liturgischen oder chassidischen Liedern zumute war. Dichter lasen, André Herzberg rockte, Philosophen erklärten die Welt, der interreligiöse Trialog nebst Islam wurde kritisch nach jüdischen, auch feministischen Aspekten befragt wie das Thema Israel und Palästina, Halacha, Tora und Talmud, Ethik, Gemeindemanagement, Diaspora, Familienforschung oder Organtransplantationen. Dok-Filme entführten auf eine interreligiös-multikulturelle Insel in der Türkei, Studentenfilme von Ma’ale, Israels orthodoxer Filmschule, bebilderten koscher informativ bis komisch Blind Dates, Intima und Siedlungspolitik. Gesunde Reaktionen auf den verbalen Antisemitismus und einfachere Verspannungen konnten durch gutes Atmen geübt werden.

Limmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith KesslerLimmud 2009, Foto: Judith Kessler

Kurzum, das Prinzip Limmud heißt Vielfalt. Lehrende sind Lernende und umgekehrt. Jüngere Russischsprachige zog es dabei meist in die bunte Menge deutsch, englisch oder hebräisch Debattierender, die Älteren verharrten sprachgebunden eher unter sich. Zu den Referierenden gehörten Ilan Mor, Eveline Goodman-Thau, Micha Brumlik, Lala Süsskind, Michael Bodemann, Walter Rothschild, Gesa Ederberg und Günter B. Ginzel. Die meisten Stichwortgeber, in gleicher Intensität dem Prozess der Wissensvermittlung und des Wissenserwerbs verpflichtet, waren weniger bekannt. Wie immer kam das Beschnuppern, Auffrischen von Bekanntschaften, Austausch von Erfahrungen, Ideen und Mail-Adressen dazu. Wenn die Halacha der Weg ist, sind Limmud-Treffen die Wegweiser. Auch Küche und Maschgiach gaben ihr Bestes. Die leibliche Kost war fast so schmackhaft wie die geistige. Von Toleranz und Kinderfreundlichkeit ist auch zu schwärmen. Selbst die Dauerversorgung mit Kaffee, Mineralwasser und Kuchen klappte fast immer und nicht zuletzt war auch die An- und Abfahrt mit Bussen geregelt. Schon jetzt mitmachen – das wäre eine Losung für ein erfolgreiches drittes Limmudtreffen 2010. 

Irene Runge