Beitragssuche
Jude, Preuße, Deutscher
01.März 2012 | Beiträge – jüdisches berlin | Menschen
Julius Schoeps‘ Biografie über den Berliner Aufklärer David Friedländer (1750 Königsberg – 1834 Berlin), einen der Väter des Preußischen Emanzipationsediktes für die Juden vom März 1812
Daniel Friedländer ist von Kindheit an mit dem Ringen um die Rechte der Juden in Preußen vertraut, mit ihren kleinen Erfolgen und den großen Rückschlägen. Er wird 1750 geboren, in dem Jahr, in dem Friedrich II. (»Wir haben zuviel Juden in den Städten«) ein neues engmaschiges Judenreglement erlässt, das sechs Klassen von Juden unterscheidet, von den »Generalprivilegierten«, die kaum Beschränkungen unterlagen (was sich Friedrich gut bezahlen ließ) bis zu den völlig Rechtlosen, die ohnehin nur zeitweise toleriert wurden. Friedländer jedoch ist Sohn des privilegierten Königsberger Textilhändlers Joachim Moses, der dank seiner wirtschaftlichen Erfolge selbstbewusst wie kaum ein anderer Jude für sich und seine Familie Rechte beim König einfordert und erwirkt. Und Königsberg ist eine Stadt, in der etliche die Protagonisten der jüdische Aufklärungsbewegung, Maskilim wie Isaak Euchel zuhause sind, die David und seine Brüder ebenfalls beeinflussen.
Friedländer ist 21, als er, ausgestattet mit diesen Voraussetzungen, in Berlin ankommt. Die Stadt »boomt« und hat bereits über 133 000 Einwohner, davon 3 500 Juden. Ein Jahr später heiratet er Blümchen, die Tochter des begüterten, angesehenen Berliner Juden David Itzig (als sie 42 Jahre später stirbt, lässt er auf ihren Grabstein meißeln: »… die Erde ist um eine Edle vermindert, der Himmel um einen Engel vermehrt …«). Moses Mendelssohn lernt er gleich in seinem ersten Berliner Jahr kennen und wird – wie Marcus Herz oder Salomon Maimon – einer seiner treuesten »Jünger«. Der junge Kaufmann ist erfolgreich, er gründet eine Seidenfabrik, die floriert und expandiert, er umgibt sich mit Kunst und guter Literatur und mischt sich in die Debatten der Zeit ein. Junge Adlige und Intellektuellen beginnen jüdische Häuser zu frequentieren (umgekehrt wäre dies undenkbar gewesen), es herrscht »eine anregende Atmosphäre, geprägt von Kantischer Vernunft, den Ideen der Aufklärung, aber auch von romantischer Schwärmerei«, schreibt Julius Schoeps in seiner eben erschienenen Biografie über Friedländer, die das Wechselspiel von Anpassung und Ablehnung, Akzeptanzbemühung und Judenfeindschaft beleuchtet, in dem der Aufklärer und seine Zeitgenossen lebten und wirkten.
Friedländer war eng mit Wilhelm von Humboldt befreundet, verkehrte mit dem Bildhauer Schadow, korrespondierte mit Heine und tauschte mit Goethe Münzen und Kunstobjekte. 1778 gründete (und finanzierte) er zusammen mit seinem Schwager Isaak Daniel Itzig die »Freyschule« (Chevrat Chinuch Nearim, also »Gesellschaft für Knabenerziehung«), die ihren Namen auch deshalb trug, weil Minderbemittelte kein Schulgeld zahlen musste. Die Schule war unzweifelhaft ein Projekt der Haskala, ist aber auch im Kontext der allgemeinen Erziehungsreformen der Zeit zu sehen. Die zunächst 70 bis 80 Schüler waren nicht nach Alter, sondern nach Lerngruppen eingeteilt. Unterrichtet wurden sie von jüdischen und christlichen Lehrern (später wurden auch christliche Schüler aufgenommen) und Beobachter waren »geradezu fasziniert« vom Wissen, den Redekünsten und den Fremdsprachenkenntnissen der Zöglinge. Friedländer und Itzig legten Wert auf weltliche Fächer und »nützliche Kenntnisse«; das Tora-Talmud-Studium überließen sie den Eltern und der Gemeinde (Strenggläubige übten dementsprechend Kritik an dem Konzept). Ihr »Lesebuch für Jüdische Kinder« von 1779 gilt als das erste jüdische Schulbuch in deutscher Sprache. Es enthält die zehn Gebote und 13 Glaubensartikel, hebräische Fabeln und deutsche Gedichte, belehrende Aphorismen und Sprichwörter wie »Der Mann ehrt die Stelle, nicht die Stelle den Mann« (Taanith 21b).
Friedländer legte seine theoretischen Ansichten zur Pädagogik 1788 erstmals in Form eines Sendschreibens dar, in dem er unter anderem forderte, zugunsten des Deutschen auf den Gebrauch des Jiddischen zu verzichten und Mädchen in die Erziehung einzubeziehen, damit »sie Gelegenheit bekämen, Kopf und Herz zu bilden, und die Pflichten kennenzulernen, die ihnen, als die nicht minder wichtige Hälfte des menschlichen Geschlechts obliegen«. Später versuchte er sich vor dem Hintergrund der einsetzenden Gleichstellungsdebatte mit seinen auf Vernunft und Nützlichkeit basierenden erziehungsprogrammatischen Schriften zunehmend auch an die christliche Öffentlichkeit und die Beamtenschaft zu wenden.
Nach dem Tod Mendelssohns wurde David Friedländer eine Art geistiger Nachlassverwalter des Weltweisen. Er unterstützte ideell und materiell maßgeblich dessen Projekt einer Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache, geschrieben in hebräischen Buchstaben – was die jüdische Leserschaft erreichen und die Bibel wieder ins Zentrum des religiösen Studiums rücken sollte. »Netivot ha-schalom« erschienen 1783, gefolgt von seinen Psalmenübersetzungen, die mit den, so Friedländer, »verdrechselten, verkünstelten und verschnitzten« bisherigen Übersetzungen aufräumten, zugunsten eines poetischen Blicks, von Klarheit, Fasslichkeit und Worttreue. Die Pentateuch-Übersetzungen wurden für viele Juden, auch in Osteuropa (die Jiddisch konnten), ein Hilfsmittel, um sich der deutschen Schriftsprache zu nähern, und die zeitgemäßen Kommentare (»Biurim«), die Hebräisch verfasst waren, leiteten eine Renaissance des Hebräischen ein. Dennoch belegten einige orthodoxe Rabbiner das Werk mit dem Bann, weil die heiligen Texte in eine profane Sprache übersetzt worden waren. Friedländer, der sich zu einem Gegner der Rabbiner entwickelt hatte, die er für unfähig hielt, Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit zu finden (und finden zu wollen), sah sich bestätigt. Den Talmud könne man nur noch als historisches Dokument lesen, nicht aber als Handlungsanweisung für die Gegenwart, meinte er, und: »Ich kenne kein Gesetz in der Welt, das mich abhalten kann, meine Pflicht gegen Menschen, und wenn es Hottentotten wären, zu thun … nun sehe ich tagtäglich, dass man zweimal Teffilin legen, zwei Stunden dawnen... die koschersten Mazzot… haben und doch ein Schurke gegen seine Mitmenschen sein kann…«
Schoeps geht in seinem Buch auf etliche weitere Streitpunkte zwischen Traditionalisten und Aufklärern ein, die die Gemüter erregten und in denen Friedländer Partei ergriff. Sei es bei der Begräbnisdebatte, der Frage nach (den vermehrten) Eheschließungen mit Christen oder dem »Versuch einer Glaubensvereinigung« von Judentum und Protestantismus, der Friedländer den Vorwurf des Verrats einbrachte, obgleich es ihm wohl um politische Rechte, nicht um Religion gegangen war. Nicht verwunderlich angesichts einer bereits zu seiner Zeit bestehenden eliminatorischen Judenfeindschaft à la »Köpfe Abschneiden« (Fichte) und »Ausrotten wie die Wölfe« (Grattenauer), und zumal er in seinen späten Schriften das Judentum vehement verteidigte – gegen seine Gegner und gegen die Einmischung des Staates (»Was geht diesen meine Vorhaut an?«).
Als »Adelsbürger« und Wortführer der preußischen Judenheit ist Friedländer jedoch vor allem die treibende Kraft hinter den Bemühungen um eine Gleichstellung der Juden, wie sie 1781 erstmals auch ein prominenter Nichtjude, der preußische Beamte Christian Wilhelm Dohm (von Friedländer »edler Menschenfreund« genannt) in seiner berühmt gewordenen Schrift »Über die bürgerliche Verbesserung der Juden« einfordert. Friedländer als Deputierter der »jüdischen Kolonie« und Mitunterzeichner von Petitionen, Memoranden und Reformentwürfen muss erleben, dass trotz französischer Revolution und aller treffender Argumente die Gegner der Judenemanzipation Oberwasser behalten. Erst fast zwei Jahrzehnte, einen verlorenen Krieg und unzählige Interventionen und »Untertänigkeitsadressen« später (Mendelssohn und Friedländer schrieben zu diversen Anlässen Gedichte und Gebete für König und Vaterland), Friedländer war inzwischen Gemeindeältester und Stadtrat, war es soweit: das Edikt von 1812 erklärte die in Preußen lebenden Juden zu »Einländern« und »Preussischen Staatsbürgern«. Dazu mehr im nächsten jb…
Judith Kessler
_Schoeps, Julius: David Friedländer. Freund und Schüler Moses Mendelssohns. 471 S., Olms 2012, 22,80
jüdisches berlin
2012_24 Alle Ausgaben
- Dezember 2024
- November 2024
- Oktober 2024
- September 2024
- Juni 2024
- Mai 2024
- April 2024
- März 2024
- Februar 2024
- Januar 2024
- Dezember 2023
- November 2023
- Oktober 2023
- September 2023
- Juni 2023
- Mai 2023
- April 2023
- März 2023
- Februar 2023
- Januar 2023
- Dezember 2022
- November 2022
- Oktober 2022
- September 2022
- Juni 2022
- Mai 2022
- April 2022
- März 2022
- Februar 2022
- Dezember 2021
- November 2021
- Oktober 2021
- September 2021
- Juni 2021
- Mai 2021
- April 2021
- Januar 2018
- März 2021
- Februar 2021
- Mai 2020
- Januar 2021
- Dezember 2020
- November 2020
- September 2020
- Oktober 2020
- Juni 2020
- April 2020
- März 2020
- Februar 2020
- Januar 2020
- September 2019
- November 2019
- Juni 2019
- Mai 2019
- April 2019
- März 2019
- Februar 2019
- Dezember 2018
- Januar 2019
- Mai 2015
- November 2018
- Oktober 2018
- September 2018
- Juni 2018
- Mai 2018
- April 2015
- März 2015
- März 2018
- Februar 2017
- Februar 2018
- fileadmin/redaktion/jb197_okt2017.pdf
- September 2017
- Juni 2017
- April 2017
- November 2017
- Januar 2017
- Dezember 2016
- November 2016
- Oktober 2016
- September 2016
- Juni 2016
- Mai 2016
- April 2016
- März 2016
- Februar 2016
- Januar 2016
- Dezember 2017
- Dezember 2015
- November 2015
- September 2015
- Juni 2015
- Oktober 2015
- Februar 2015
- Januar 2015
- Dezember 2014
- November 2014
- Januar 2022
- Oktober 2014
- September 2014
- Juni 2014
- Mai 2014
- März 2014
- Februar 2014
- Januar 2014
- Dezember 2013
- November 2013
- Oktober 2013
- Juni 2013
- Mai 2013
- April 2013
- März 2013
- Februar 2013
- Januar 2013
- Dezember 2012
- November 2012
- Oktober 2012
- September 2012
- Juni 2012
- Mai 2012
- April 2012
- März 2012
- Februar 2012
- Januar 2012