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Jona, der uneinsichtige Prophet
01.September 2020 | Beiträge – jüdisches berlin | Gemeinde, Feiertage
Gedanken zu Jom Kippur von Gemeinderabbiner Boris Ronis
Die Geschichte des Buches Jona, die wir an Jom Kippur lesen, ist leicht zu erfassen. Jonas Handlungen aber richtig zu begreifen, das ist das echte Mysterium. Die meisten Menschen in der Tora sind leicht zu verstehen und es ist einfach mit ihnen zu sympathisieren. Aber nicht mit Jona. Es gibt kein anderes Buch in unserer Tradition, in welchem der Held so rebellisch und so reuelos ist wie er. Jona ist ein Mann mit einem großen Talent. Er hätte ein großer Prophet werden können, vielleicht zum größten aller Propheten werden sollen.
Vorerst lebt er sein Leben normal, bis eines Tages Gott ihm aufträgt in die große Stadt Ninive zu gehen, um den Menschen zu verkünden, dass Gott sie und ihre Stadt Ninive vernichten wird. Anstatt Gott zu gehorchen, flieht Jona nach Tarschisch. Seine Flucht macht jedoch keinen Sinn, da er versucht sich vor seiner Verantwortung zu drücken und sich vor Gott zu verstecken.
Wir hoffen, während wir die Geschichte lesen, dass Jona seinen Fehler einsieht. Und tatsächlich singt er ein Loblied zu Ehren Gottes und verspricht: »Was ich gelobt habe, das werde ich halten.«
Er geht wie befohlen nach Ninive und überbringt den Menschen die Botschaft des Ewigen. Die Antwort dieser einfachen Leute, die Gott nicht kennen und Götzen anbeten, ist verblüffend einsichtig. Auf Geheiß ihres Königs kleiden sich alle in Sackleinen, alle Menschen und Tiere fasten dazu auch noch drei Tage lang. Sie geloben schnell Besserung und trennen sich von ihrem schlechten Weg. So aufrichtig ist ihre Wendung (Teschuwa), dass Gott sie verschont, die Stadt nicht vernichtet.
Doch Jona ist mit dem Ausgang und der Entscheidung Gottes, die Menschen in Ninive zu verschonen, nicht glücklich. Er ist tief gekränkt, dass er diesen Leuten geholfen hat, Teschuwa (Rückkehr) zu ermöglichen und das seine prophetische Voraussicht dadurch nicht eingetreten ist. Er beklagt sich beim Ewigen, dass das, was er vorhergesehen hat, nicht eingetroffen ist und er fürchtet um seine Reputation. Er ist so bedrückt, dass er den Ewigen bittet, ihn zu töten.
Als Gott ablehnt, geht Jona in die Wüste, um dort zu leben, und Ninive aus der Ferne zu beobachten. Dort wächst eine Pflanze neben ihm, und Jona liebt diese Pflanze. Gott sendet aber einen Wurm und einen heißen Wind, um die Pflanze in einer Nacht zu zerstören – und Jona trauert sehr um sie.
Der Ewige versucht, mit Hilfe der Pflanze, die Gefühle Jonas dafür zu verwenden, um ihm verständlich zu machen, dass sich Gott um die Leute von Ninive sorgt, genauso wie Jona sich um die Pflanze gesorgt hat. Die Geschichte endet hier. Jona gibt nicht zu erkennen, dass er sich geändert hätte oder gar etwas daraus gelernt oder verstanden hat.
Am Ende bleiben er und seine Motivationen ein Mysterium.
Jona sieht an dem Rückkehrwillen der Leute aus Ninive, was es heißt, Teschuwa zu begehen. Er sieht es, aber er nimmt es nicht auf. Die Leute aus Ninive zeigen ihm deutlich, was es heißt, mit dem Herzen zu sehen und die Botschaft Gottes richtig zu interpretieren. Jona schaut ihnen zu, verschließt aber sein Herz. Genau wie Pharao einst sein Herz verstocken ließ und Gott ihn durch Moses zwingen musste, die Kinder Israel gehen zu lassen… Er sieht die Leute, aber das Gesehene dringt nicht in das Herz des Verstockten.
Jona ist für uns zur Zeit von Jom Kippur ein Paradebeispiel, wie man nicht auf den rechten Weg der Tora zurückkehrt. Und dabei ist es doch einfacher als gedacht: Man öffne das eigene Herz, man höre auf die Worte Gottes durch die Worte der Tora und man erlaube sich selbst, den falsch begonnen Weg wieder zurückzugehen.
Auch für uns heute ist die Rückkehr, die Teschuwa, kein Mysterium mehr. In unserem Herzen wissen wir, wohin wir gehen müssen. Und das interessante ist: Unsere Beine tragen uns von selbst, nur schlagen sie die Richtung ein, die uns von unserem Herzen und unserem Willen vorgegeben wird!
Allen ein leichtes Fasten – Zom kal und Chatima tova!
jüdisches berlin
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