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J. Rosenblatt gegen J. Airplane
01.Januar 2010 | Beiträge – jüdisches berlin | Kultur
Der großartige, bisher jüdischste Film der Coen-Brüder kommt ins Kino
»Nimm in Einfachheit alles hin, was dir passiert.« Raschi
Larry Gropnick ist Physikprofessor. Er lebt mit Frau und Kindern in einer kleinen jüdischen Gemeinde in Minnesota. Seine Erfüllung ist es, die Wurzel aus 0,007 a Quadrat zu ziehen und Tafeln mit Zahlen zu bekritzeln. Das Leben plätschert. Doch plötzlich beginnt alles, aus dem Ruder zu laufen: Die Universitätsleitung bekommt anonyme Briefe, die seine Verbeamtung gefährden. Der koreanische Gaststudent versucht, mit einem Bündel Dollarscheinen seine Klausurnote aufzubessern. Larrys heulsusiger Bruder Arthur, der sich bei ihm eingenistet hat und entweder die Couch oder das Bad blockiert (wo er die Talgzyste in seinem Nacken entleert), wird beim illegalen Glücksspiel geschnappt. Der Nazityp vom Nebenhaus verlegt mal eben die Grundstücksgrenze. Ehefrau Judith nimmt sich den schleimigen »Macher« Sy Ableman mit dem sanften Aaaales-wird-gut-Timbre zum Liebhaber, will den Get, räumt Larrys Konto leer und verfrachtet ihn ins Motel und seinen (schnarchenden) Bruder gleich mit. Sohn Danny interessiert sich für genau zwei Dinge: Kiffen und Jefferson Airplane, auch wenn er mit Jossele-Rosenblatt-Platten für seine Bar Mizwa lernen soll und seine Schwester angiftet (»Ich studiere die Tora, Du Arsch!«), die ihrerseits partout nur eins will: einen Nose-Job…
Der korrekt-brave Larry hingegen verstrickt sich tiefer und tiefer in Katastrophen Hiobscher Ausmaße (die Coens: »Wir fanden immer wieder neue Wege, wie wir Larry quälen konnten«). Er dudelt jiddische Depri-Schnulzen (»Di reder drejen sich, di joren gejen sich un elend bin ich wi a stajn.«) und ist am Verzweifeln. Weil er nicht kapiert, was er falsch macht. (Gar nichts.)
Joel und Ethan Coen tauchen mit »A serious man« tief in die eigene Kindheit ein und sie tun dies komischer, schräger, klüger, absurder denn je. All dies in einer Low-Budget-Produktion (Ethan: »Wenn du einen Film über eine jüdische Gemeinschaft im Mittleren Westen drehst, der 1967 spielt, und Fred Melamed ist der Sextyp, dann geben sie dir nicht viel Geld…«) und mit No-Name-Darstellern. Die rekrutieren sich größtenteils aus der örtlichen Kehille, und auch die Profis, lauter lokale »authentische Juden«, scheinen sich selbst (oder etwa Mitglieder der Berliner Gemeinde?) zu spielen. Die wichtigste Beschäftigung ist 1967 offenbar das Richten von Fernsehantennen, der Universalausruf der Jugend ist »Fuck!« und der der (jüdischen) Erwachsenen: »Jesus Christ!« (so beim Heben der sauschweren Torarollen im Gottesdienst).
Der Film ist zum Schreien komisch und sehr, sehr jüdisch. Der Prolog spielt im Stetl, auf Jiddisch. Es wimmelt vor Hebräismen – von Schiwe, Dibbuk, Aguna, Ez monim und Naches bis hin zur Konjugation von »lalechet ha baita«; statt Antworten gibt‘s immer nur neue Fragen und alles, was komisch ist, ist zugleich tief traurig und existentiell. Die Phantasien sind angstbesetzt, in Larrys Alpträumen treiben sich juden-erlegende Jäger herum und schon Danny flüchtet ständig wie ein Hase vor dem fetten Nachbarsjungen durchs Bild.
In seiner Not sucht Schlemihl Larry rabbinischen Rat. Der »Junior Rabbi«, bei dem er als erstes landet, kommentiert all die Fürchternisse mit »This is life!«, während der älteste und weiseste weit und breit ihn von seinem Vorzimmerdrachen abwimmeln lässt: »Der Rabbi ist beschäftigt… Er denkt nach.«
Nummer Drei fällt zu Larrys Fall die Story von Zahnarzt Sussman ein, der eines Tages eine Botschaft des Ewigen im Gebiss eines goischen Patienten findet – Hebräisch steht da: Hilf mir! Sussmann, fortan appetit- und schlaflos, versucht verzweifelt herauszufinden, was HaSchem ihm damit sagen will… – »Und?«, fragt Larry. – Der Rebbe: »Man kann nicht alles wissen.«
Irgendwann scheint sich das Blatt wieder zu wenden. Oder doch nicht? Larrys Arzt möchte seine Röntgenbilder mit ihm besprechen (»Ja, am besten gleich.«) und in Dannys Religionsschule sollen wegen eines aufziehenden Tornados alle in den Keller. Doch die Kids bleiben diskutierend draußen stehen. Die schwarze Wand rollt heran. Cut! Ende. »Please, accept the mystery«!
Judith Kessler
_»A Serious Man«: ab 21. 1. im Kino
_JFFB-Preview: 17. 1. 18 Uhr, »Kurbel«, Giesebrechstr. 4, Karten: 88 91 59 98
jüdisches berlin
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